Wie die Zeit vergeht. Gerade eben lief doch noch die erste Folge "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Jetzt ist es schon Nummer 7.510. Unser Autor hat die vergangenen 30 Jahre GZSZ irgendwie verpasst. Zur Jubiläumsfolge am Donnerstag hat er den Wiedereinstieg gewagt.

Christian Vock
Eine Satire
Diese Satire stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

1992 war ein merkwürdiges Jahr. Der VfB Stuttgart wird deutscher Fußballmeister, Microsoft bringt Windows 3.1 auf den Markt und Dieter Freiherr von Andrian-Werburg, der vor allem durch seine Briefmarkenentwürfe für die Deutsche Bundespost bekannt geworden ist, stirbt. Und dann gab es da noch ein Ereignis: Bei RTL läuft im Mai 1992 die erste Folge der Daily Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten."

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An die Meisterschaft des VfB kann ich mich noch gut erinnern, an Windows 3.1 leider auch. Zu Dieter Freiherr von Andrian-Werburg hatte ich schon vorher wenig Kontakt, was ausschließlich an mir lag. No offence. An GZSZ hingegen habe ich nur vage Erinnerungen. Eigentlich nur zwei. Zum einen an die Frage, warum man eine Serie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" nennt. Mit dem gleichen Esprit hätte man sie auch "Hinz und Kunz" oder "Schau mer mal" nennen können.

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Meine zweite Erinnerung ist die an einen Mann namens Jo Gerner. Damals offenbar der Bad Guy der Serie. Der Rest verschwimmt. Mir war damals anderes wichtiger als die guten und schlechten Zeiten mir fremder Menschen. Und ehe man sich versieht, sind 30 Jahre rum und RTL feiert mit einer Jubiläumsfolge das eigene Durchhaltevermögen. Ein Minutenprotokoll (und natürlich: Achtung Spoiler!):

Minute 1: Eine Limousine hält vor einem Ladengeschäft. Der dahinter fahrende SUV fährt viel zu dicht auf, parkt die Limousine quasi ein. Könnte mich bei so was jetzt schon aufregen. Den Limousinenfahrer scheint das aber nicht zu stören, offenbar gehören die beiden zusammen. Drei Männer steigen aus und betreten den Laden, augenscheinlich ein Friseursalon. Jemand bekundet dem Anführer der Gruppe, einem älteren Herrn, sein Beileid: "Ich hoffe, die kriegen den feigen Bastard." Ich kenne die Männer nicht, aber irgendwie hoffe ich das mit dem Bastard auch. Man hätte es vielleicht ein bisschen weniger derb formulieren können.

Minute 2: Der ältere Herr lässt sich zur Wellness-Behandlung auf einem Friseurstuhl nieder, bekommt das Gesicht mit einem feuchten Tuch bedeckt. Ich gönne das dem älteren Herrn. Gerade in Zeiten wie diesen sind Achtsamkeit und Selbstfürsorge wichtig. Doch da wird er von einem zweiten Mann mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze unterbrochen. Der lungerte schon ein Weilchem vor dem Friseur herum und bedroht nun den armen Mann mit einem Rasiermesser. Es ist – Jo Gerner! I werd narrisch! Fragen tauchen auf: Warum macht er das? Ist er der "feige Bastard"? Warum hat er den Absprung nicht geschafft und macht inzwischen was Anständiges? "Kampf der Realitystars" zum Beispiel. Egal, Gerner tauscht mit dem älteren Herrn Unhöflichkeiten aus, dann flüchtet er.

Kapuzen-Jo hat schlechte Zeiten

Minute 4: Offenbar hat Kapuzen-Jo gerade schlechte Zeiten, denn er wird augenscheinlich nicht nur von den Muskelmännern des älteren Herrn wegen Mordes gesucht, sondern auch von der Polizei. Laut eigener Aussage zu Unrecht. Das ist ein Stück weit beruhigend. Ich möchte zwar nie zu Unrecht des Mordes beschuldigt werden, aber wenn doch, dann soll mich bitte die Polizei suchen, keine Muskelmänner. Ich vertraue der Polizei da einfach mehr.

Minute 7: Gerner sucht bei einem Polizisten namens Matthias Hilfe, doch der holt lieber heimlich seine Pistole und telefoniert mit dem älteren Herrn. Mein Vertrauen in die Polizei schwindet. Jedenfalls kommt heraus, dass der ältere Herr Linostrami heißt und Gerner seine Tochter ermordet haben soll. Das GZSZ-Fan-Wiki verrät mir einiges über diesen Linostrami. Zum Beispiel, dass er Geld, Macht, Erfolg und seine Tochter mag, Jo Gerner hingegen nicht. Unter Beruf steht "Mafiaboss" und unter Wohnort "Gefängnis". Offenbar ist er umgezogen.

Minute 12: Gerner sucht erneut Hilfe, diesmal bei einer Kommissarin. Das läuft aber auch nicht so recht, daher klaut er ihr den Dienstlaptop. Das Passwort für den Laptop findet Gerner auf einem Zettel, den die Kommissarin unter den Laptop geklebt hat. Mein Vertrauen in die Polizei ist völlig dahin.

Minute 18: Eine blinde Frau namens Yvonne wird während der Arbeit heimlich von Herrn Linostrami fotografiert. Das macht man nicht. Herr Linostrami beginnt, unsympathisch zu werden. Jetzt bedroht er auch noch eine junge Frau: "Alle tun, was ich sage!", ist sich Linostrami sicher und bei mir unten durch.

Es wird gerannt, geschossen, geblutet und geflüchtet

Minute 28: Es wird plötzlich dramatisch. Gerner trifft sich mit der jungen Frau, doch irgendwie scheint das Treffen zu Linostrami durchgesickert zu sein. Jedenfalls ist beim Treffpunkt plötzlich ziemliches Gerummel. Eine Horde junger Männer, die alle aussehen wie der Cast von "Temptation Island", stürmt auf Gerner los. Es wird gerannt und geschossen, geblutet und geflüchtet. Vorne Gerner in einem Leichenwagen, dann die "Temptation Island"-Jungs und die junge Frau in einem Car-Sharing-Auto hinterher. Kannst du dir nicht ausdenken.

Minute 34: Jo Gerner kann zwar mit einem Trick entkommen, doch die Schießerei hat Spuren hinterlassen. Eine ist kreisrund und führt direkt durch seinen Oberarm. Aber immerhin glaubt nun der Rest der Welt, dass Gerner in einem brennenden Auto gestorben ist. Okay, nicht alle. Nur die Figuren der Jubiläumsfolge, der Zuschauer weiß natürlich, dass Gerner überlebt hat.

Minute 36: Mafiaboss Linostrami gönnt sich im Seidenmorgenmantel in seiner Villa ein Gläschen Schaumwein anlässlich Gerners vermeintlichem Tod. Waren Sie mal bei superreichen Leuten zu Hause? Furchtbar sieht das da aus. Völlig drüber das Ganze. Alles aus Gold und Glitzer, aber nichts passt zusammen.

Minute 40: "Dein Vater lebt", gibt eine dunkelhaarige Frau an Gerners Tochter Johanna eine Insider-Information weiter. Allerdings mit dem Hinweis, dass sie mit niemandem darüber reden darf. Super Idee! Weiß man ja, wie das ausgeht. Denken Sie jetzt bloß nicht an einen blauen Elefanten. Genau.

Minute 41: Gerner steht vor einem Haus am Meer. Entweder hat er sich im Dunkeln angezogen oder er weiß wirklich nicht, in welcher Reihenfolge man welche Klamotten anzieht. Vor dem Haus trifft er einen Mann, der mir bekannt vorkommt. Hat der mal als Koch gearbeitet? Egal. Die beiden kennen sich offenbar. Die dunkelhaarige Frau stößt dazu und erkennt sofort Gerners Problem: "Du siehst schlimm aus." Doch statt neuer Klamotten hat sie ihm nur einen neuen Pass mitgebracht und eine Reisegelegenheit nach Montevideo.

Minute 48: Gerners Schusswunde nässt. Keine Pointe.

Minute 51: Yvonne findet heraus, dass Gerner unschuldig ist. Das gute Ansehen Verstorbener ist wichtig. Gerade, wenn sie gar nicht verstorben sind.

Gerner beweist seine Unschuld!

Minute 59: Gerner hat seine Flucht nach Südamerika gecancelt und ist heimlicher Gast bei seiner Beerdigung. Es fließen reichlich Tränen. Der Jo Gerner, den ich in Erinnerung habe, war nicht so beliebt. Scheint, als hätte Gerner die vergangenen 30 Jahre für ein paar Karma-Punkte genutzt.

Minute 71: Die blinde Yvonne ist für ein Geschäftsgespräch bei Linostrami. Als der Herr Mafiaboss im Nebenzimmer ein Cocktailchen anrührt, findet Yvonne das Handy mit dem Video, das Gerners Unschuld beweist. Nach ein paar Sekunden. In einer riesigen, fremden Villa. Blind. Ich suche jeden Tag stundenlang mein Handy und finde es nicht. In meiner Hosentasche.

Minute 76: Im Naturkundemuseum ist irgendeine Produktpräsentation von Linostramis Firma im Gange und alle sind da. Plötzlich schneit Jo Gerner herein. Dicke Backen und große Augen bei allen, die ihn für tot gehalten haben. Besonders bei Linostrami. Ist aber auch kein Wunder, denn Gerner schlendert durch die Reihen der geladenen Gäste und spricht sich mal alles von der Seele, was ihn so an Linostrami stört: Dass er seinen Sohn Dominik entführt hat, zum Beispiel. Oder dass er ein Schwerverbrecher ist. Besonders zu wurmen scheint Gerner aber, dass es Linostrami war, der seine eigene Tochter erschossen und ihm den Tod dann in die Schuhe geschoben hat. Nun ist es mal ausgesprochen. Tut sicher beiden gut.

Minute 80: Tatütata. Auf einmal ist auch die Kommissarin da und nimmt Mafiaboss Linostrami erst fest und dann mit. Jetzt löst sich auch bei Gerner die Anspannung. Oder ist es der Verband? Jedenfalls sackt Gerner im Kreise seiner Liebsten zusammen. Alles Gute. Wir sehen uns dann in 30 Jahren.

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