- Die ehemalige Monoskibobfahrerin Anna Schaffelhuber findet klare Worte für das Vorgehen des Paralympischen Komitees nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine.
- Die 29-Jährige äußert sich auch zur Leistung der Ukraine bei den Paralympics.
- Außerdem erklärt Schaffelhuber, was hinter dem "Klassendoping" von China steckt.
Frau Schaffelhuber, wie bewerten Sie das bisherige Abschneiden der deutschen Mannschaft bei den Paralympics?
Anna Schaffelhuber: Das bisherige Ergebnis war so nicht erwartbar, vor allem das nordische Team überstrahlt derzeit alles. Das freut mich wahnsinnig. Natürlich profitieren sie auch davon, dass die sieben stärksten Sportlerinnen und Sportler nicht am Start sind durch den Ausschluss von Russland und Belarus. Trotzdem ist das eine sehr starke Leistung. Im Alpin-Bereich ist alles im erwartbaren Rahmen, es fällt aber sehr auf, dass alle Medaillen von einer Person (Anna-Lena Forster; Anm. d. Red.) gewonnen werden. Das gibt ein bisschen zu denken.
Wie nehmen Sie als ehemalige Sportlerin die Stimmung bei den Paralympics wahr?
Ich habe viel Kontakt zu meinen ehemaligen Mannschaftskollegen. Von außen schwappt die Stimmung noch nicht wirklich über, dies liegt möglicherweise aber auch an den vielen anderen Themen, die derzeit für Schlagzeilen auf der Welt sorgen. Ich höre aber, dass die Stimmung vor Ort relativ gut ist. Am Anfang war es wohl relativ ungewohnt mit den vielen Tests und der strikten Quarantäne, aber seit der Eröffnungsfeier ist das paralympische Flair wohl bei allen da.
Die Ukraine führte zwischenzeitlich den Medaillenspiegel an. Welche Bedeutung hat das für Sie?
Ich habe wahnsinnigen Respekt vor den Sportlern aus der Ukraine. Es ist ohnehin schon schwer genug, sich bei einem Großereignis auf sich selbst zu konzentrieren. Aber mit diesem Krieg im Hintergrund ist es Wahnsinn, wenn man sich an den Start stellen kann und alles andere ausblendet und die Leistung abrufen kann. Das beeindruckt mich sehr.
Nach langem Hin und Her bis unmittelbar zu den Paralympics wurden Russland und Belarus doch ausgeschlossen. Wie bewerten Sie diesen Ausschluss und ist der Sport damit dann doch politisch, obwohl er immer als unpolitisch galt?
Ich fand es immer etwas scheinheilig zu sagen, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun hätten. Für mich persönlich ist es die richtige Entscheidung, wenngleich das Schicksal für den einzelnen Sportler enorm ist. Aber es muss auch ein unbelasteter Wettkampf garantiert sein und das ist beim gemeinsamen Antreten von russischen und ukrainischen Sportlern derzeit überhaupt nicht denkbar. Daher ist es das richtige Signal.
Warum hat das Internationale Paralympische Komitee (IPC) so lange gezögert und dann doch die Entscheidung zum Ausschluss von Russland und Belarus getroffen?
Die zwischenzeitliche Entscheidung, dass Russland und Belarus dabei bleiben dürfen, hat mich sehr überrascht. Das war für mich sehr mutlos. Noch überraschender war es für mich aber, dass am nächsten Tag die Gründe, die scheinbar zu schwerwiegend waren, auf einmal nicht mehr da waren. Letztendlich hat wohl einfach der Mut gefehlt und dann merkte man, dass es doch höhere Wellen geschlagen hat, als angenommen wurde. Insgesamt war es ein sehr unglücklicher Auftritt vom IPC.
Kommen wir zurück zu China. Dort war zuletzt die Rede von einer Art Klassendoping der chinesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Wie erklären Sie sich das?
Ich kenne die meisten Sportlerinnen und Sportler nicht, sondern sehe sie auch nur jetzt im Fernsehen. Aber es ist schon auffällig, dass sehr viele in Klassen starten, die einen großen Zeitbonus beinhalten. Wenn man es mit Sportlern vergleicht, die jahrelang im Weltcup dabei sind, kann man nicht wirklich Unterschiede erkennen. Warum sollte dies also zu einem "besseren" Faktor führen?
Wie kommt so etwas zustande?
Die Klassifizierung ist ein jahrelanger Prozess. Beim ersten Mal wird man auf Herz und Nieren getestet. Aber dies findet in einem Raum auf einer Liege statt, daher kann es passieren, dass sich die Behinderung bei der Ausübung der Sportart dann doch etwas anders auswirkt. Die Sportler werden also über mehrere Jahre beobachtet und dann kann auch im Lauf der Zeit etwas nachgesteuert werden. Bei den chinesischen Sportlern war es aber so, dass sie einmal klassifiziert wurden, sind dann aber von der Bildschirmfläche verschwunden und haben jahrelang in der Heimat trainiert. Dadurch war die Beobachtung von außen nicht mehr möglich. Das kann dann schon zu Verzerrungen führen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des paralympischen Sports?
Ich wünsche mir, dass die Nachwuchsförderung in Deutschland noch verstärkt wird. In den vergangenen beiden Jahren ist dort etwas passiert mit den Paralympics-Kadern, die eine höhere Förderung für mehr Sportler bietet. Außerdem ist es möglich, sich den Sportfördergruppen anzuschließen. Im nächsten Schritt würde ich mir wünschen, dass die Strukturen noch weiter geöffnet werden, auch in Richtung Nachwuchssportler, weil da die Förderung im Moment noch am meisten hakt. Wir hatten in Deutschland jahrelang keinen Nachwuchskader oder ein geregeltes Training, erst seit zwei, drei Jahren gibt es in Deutschland eine Trainingsstruktur für den Nachwuchs. An diesem Punkt muss weitergearbeitet werden.
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