Für die deutschen Basketballer läuft es bei den Olympischen Spielen bisher rund. Im Viertelfinale geht es nun gegen Griechenland. Der Ex-Basketballer Patrick Femerling ordnet im Interview die Chancen im weiteren Turnierverlauf ein und erinnert sich an seine eigene Olympia-Erfahrung, die er mit einer Klassenfahrt vergleicht.
Herr Femerling, die deutschen Basketballer sind mit drei Siegen in drei Spielen inklusive einer beeindruckenden Vorstellung gegen Gastgeber Frankreich durch die Vorrunde marschiert. Wie ordnen Sie die bisherige Leistung des Teams ein?
Die Leistung ist schon wirklich gut, gerade beim vergangenen Spiel gegen die Franzosen vor schwieriger Kulisse. Das muss man erst mal so spielen, wie die Jungs das gespielt haben – sehr souverän, sehr physisch. Jeder hat seine Rolle voll erfüllt und sich trotzdem nicht zurückgehalten, wenn es darum ging, Offensivakzente zu setzen. Das ist eine sehr gute Mischung. Klar, wenn
Welche Spieler haben Ihnen bisher am besten gefallen? Bei wem gibt es auf der anderen Seite vielleicht noch Luft nach oben?
Ich muss schon ein bisschen zugeben, dass ich auch Fan von dieser Mannschaft bin, weil ich finde, dass sie sehr gut zusammenpasst. Sie sind aber trotzdem alle sehr professionell. Das ist nicht nur eine Halligalli-Truppe, sondern sie ist sehr fokussiert auf das, was sie macht und dabei trotzdem sehr angenehm. Man muss das andersrum aufziehen: Es gibt nur einen Ball. Und wenn es nur einen Ball gibt, dann kann ihn auch nur einer werfen. Und deswegen muss man ein bisschen davon Abstand nehmen, zu sagen, da geht mehr oder das ist nicht gut. Jeder wird in diesem Turnier seinen Moment haben. Viele hatten ihn schon und ich glaube, für jeden gibt es irgendwie die Rolle, die er erfüllen muss und das ist das Wichtigste.
Femerling gefällt der reife Auftritt der deutschen Basketballer
Hat sich die Mannschaft in Ihren Augen seit dem WM-Titel im vergangenen Jahr sogar noch weiterentwickelt?
Eine Mannschaft muss sich immer weiterentwickeln. Wenn man jetzt versucht, hauszuhalten, mit dem, was man hatte, oder das zu reproduzieren, ist das meiner Erfahrung nach fast gar nicht möglich. Dasselbe zu halten und mit demselben Skript nochmal abzuliefern, ist nicht möglich im Leistungssport, weil die Erwartungen der anderen Mannschaften und auch der eigenen Mannschaft anders sind. Ich finde, dass das Team sehr reif auftritt. Sie wollen Erfolg haben, sie spielen so, wie eine Mannschaft, die es gewohnt ist, zu gewinnen.
Das meine ich nicht negativ, sondern auf eine sehr positive Art. Man geht raus, um zu gewinnen und nicht, um vielleicht zu gewinnen oder eventuell. Das ist schon eine sehr fokussierte Gruppe, die aber nicht vergisst, was man machen muss auf dem Weg dahin. Da sind wir im obersten Segment des Leistungssports angekommen und da entscheiden einfach zwei, drei Prozent, ob du am Ende Erfolg hast oder nicht. Grundsätzlich hat sich die Mannschaft schön weiterentwickelt, so dass es ein Team ist, das mit einem Selbstverständnis rausgeht.
Lesen Sie auch
Nach der Vorrunde wechseln die Teams nun den Spielort. Von Lille geht es nach Paris. Kann so ein Wechsel während eines Turniers problematisch sein? Oder kann es sogar einen Motivationsschub geben, weil man jetzt in der eigentlichen Olympia-Stadt ist?
Ich glaube, dass es auf jeden Fall Motivation ist. Man ist plötzlich im Viertelfinale. Ich glaube aber auch, dass Veränderung immer eine Gefahr birgt. Die Mannschaft ist aber, wie gesagt, sehr darauf fokussiert, Spiele zu gewinnen und miteinander Spaß und Erfolg zu haben. Klar wird es nochmal anders sein, aber das ist ja für alle Mannschaften, die jetzt erst nach Paris kommen, anders. Außer bei den Amerikanern, die die ganze Zeit in Paris waren und nicht umziehen müssen.
Im Viertelfinale wartet am Dienstagvormittag nun Griechenland. Deutschland gilt als Favorit in diesem Duell. Wie sehen Sie die Chancen aufs Weiterkommen?
Die Chancen sind gut. Aber die Griechen haben eine Mannschaft, die charakterlich stark ist. Das ist eine physische Mannschaft. Und wenn die auch noch anfangen, von außen zu treffen, dann ist das eine sehr schwer zu spielende Mannschaft. Sie sind physisch, sie sind defensiv gut, gut geschult. Der neue Nationaltrainer Vasilios Spanoulis hat schon alles gesehen in seinem Leben und ist da sehr versiert und trotzdem nah an den Spielern dran. Mit ein paar der Jungs hat er selbst noch gespielt. Das ist also eine Mannschaft, die nicht zu unterschätzen ist, gerade auch weil Giannis Antetokounmpo eine Waffe ist, die immer zuschlagen kann.
Sie haben die Waffe angesprochen. Bei den Griechen ragt NBA-Star Giannis Antetokounmpo heraus. Wie kann man ihn aus deutscher Sicht am ehesten in den Griff bekommen?
Alles, was im Open Court ist, ist schon wirklich schwer. Deswegen ist er auch da, wo er ist, weil er einfach fast nicht zu verteidigen ist. Er ist sicherlich nicht der konstanteste Werfer. Es kann auch gut sein, dass sich das auch noch anders entwickelt, aber das ist erstmal die größte Baustelle bei ihm. Dadurch, dass er so athletisch und lang ist und dass er auch den Ball auf den Boden setzen kann und viele verschiedene Dinge, auch für andere, machen kann, ist er definitiv eine Waffe. Da wartet ein ganzes Stück Arbeit. Aber auch diese Arbeit wird getan werden. Das haben wir vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft im Viertelfinale gegen die Griechen schon gezeigt. Es ist also eine Mannschaft, die wir schlagen können, aber Antetokounmpo kann man eigentlich nicht wirklich stoppen.
Was trauen Sie dem deutschen Team insgesamt noch zu? Ist für den amtierenden Weltmeister auch eine Olympia-Medaille drin oder muss sogar eine Medaille drin sein?
(lacht) "Muss eine Medaille drin sein", ist eine schöne Formulierung. Ich glaube, die Jungs haben Lust auf eine Medaille und sie sind hungrig und sie wollen gewinnen. Das ist das A und O und die Grundvoraussetzung für Erfolg. Ich glaube, eine Medaille ist schon drin. Es kommt auch darauf an, was bei den anderen Paarungen herauskommt und auf wen man dann im weiteren Verlauf noch trifft. Man kann auch von Gold träumen. Warum nicht? Aber das wird natürlich unfassbar schwer. Weil man, falls man ins Finale kommt, dort wahrscheinlich die Amerikaner vor der Nase haben wird und das wäre natürlich extrem schwierig.
Bundestrainer Gordon Herbert wird die Nationalmannschaft nach den Olympischen Spielen verlassen. Er wechselt zu den Basketballern des FC Bayern. Hat so etwas Auswirkungen auf eine Mannschaft?
Ich habe schon einmal erlebt, dass der Trainer von der anderen Seite gekündigt wurde. Ich glaube, dass das jetzt gar kein Thema ist. Für die Spieler und das Umfeld ist das nicht so wichtig, sondern nur das Hier und Jetzt. Die sind auch alle Profi genug, um zu wissen, dass es bei aller Liebe und bei allen Emotionen natürlich auch ein Job ist, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Und Herbert sucht denke ich einfach eine neue Aufgabe. Er hat das jetzt sehr gut gemacht in den vergangenen Jahren, hat eine Mannschaft zusammengebaut, die sehr gut funktioniert. Jetzt ist es doch schön, so eine Dramaturgie zu haben: Jetzt gehen wir in unser drittes Turnier und schauen, was wir nochmal schaffen können.
Der WM-Titel der deutschen Basketballer hatte laut Femerling einen "Rieseneffekt"
Im Vorfeld der WM der Herren im vergangenen Jahr haben Sie im Gespräch mit uns die Hoffnung geäußert, dass in Deutschland eine Basketball-Euphorie entstehen könnte. Das deutsche Team gewann anschließend sensationell den Titel. Hat sich in der Wahrnehmung in Ihren Augen seitdem etwas geändert?
Ich finde schon, dass sich die Wahrnehmung geändert hat. Dass sich auch die Aufmerksamkeit geändert hat. Wenn man beim Bäcker plötzlich angesprochen wird, dass wir ja Weltmeister sind, ist das eine Formulierung, die man normalerweise nur vom Fußball kennt. Das finde ich erst mal schön. Aber das reicht natürlich nicht. Es muss immer weitergearbeitet werden. Bei den Vereinen in Berlin, die ich so überblicke, gibt es schon Wartelisten und die Jungs und Mädchen wollen Basketball spielen.
Wo besteht noch Handlungsbedarf?
Es gibt leider nicht die Infrastruktur, um allen gerecht zu werden und das ist ein Knackpunkt, bei dem man ansetzen muss. Man muss auch neue Hallen oder Sportstätten bauen. Da geht es ja nicht nur um Basketball, sondern auch um alle anderen Sportarten. Man muss außerdem die Coaches noch besser ausbilden und vielleicht das Berufsbild auch ein bisschen schärfen und professionalisieren. Damit nicht nur Eltern in ihrer Freizeit als Jugendtrainer arbeiten, sondern dass es ein richtiger Beruf ist. Die Eltern als Trainer sollte es natürlich trotzdem geben. Ich finde, das hat sehr viel Charme und auch sehr viel Gutes, aber grundsätzlich zu sagen, wir wollen unsere Trainer besser ausbilden, ist alternativlos. Insgesamt ist da also noch viel Luft nach oben.
Trotzdem hat der WM-Titel von der Wahrnehmung her, was ich mitbekommen habe, einen Rieseneffekt gehabt. Und, um auch einen Schwenk zu den Frauen zu machen, die auch sehr erfolgreich bei Olympia sind: Das ist eine schöne Geschichte, die da gerade geschrieben wird.
Femerling hat Spaß an den deutschen Basketballerinnen
Sie sagen es, bei den Olympischen Spielen haben es nicht nur die Herren durch die Vorrunde geschafft, sondern auch die Frauen. Das Team musste im abschließenden Gruppenspiel am Sonntag gegen die USA zwar eine herbe Niederlage hinnehmen (68:87), war aber nach zwei Siegen aus den ersten beiden Partien bereits sicher für das Viertelfinale qualifiziert. Viele Experten hatten im Vorfeld mit einem Vorrundenaus gerechnet. Wie ordnen Sie die Leistung der Frauen ein?
Also von der Qualität fand ich das Team gut. Die Vorbereitung war sehr kompliziert mit Leonie Fiebich und den Sabally-Schwestern, die erst sehr spät zum Team stoßen konnten wegen ihrer Verträge in der WNBA. Dann gab es die lange Pause von Satou Sabally nach ihrer Schulterverletzung. Das sind quasi jetzt die ersten Spiele, die sie danach spielt. Da haben wir jetzt direkt Olympische Spiele und mir macht es einfach Spaß, ihnen zuzuschauen. Die kommen auch raus mit einem Feuer und mit einem Willen und jede macht alles, was sie dazugeben kann. Marie Gülich war noch krank vor dem Turnier und beißt sich da durch und spielt sich rein in die Situation. Du hast mit Alexis Peterson eine gute, offensiv starke, dribbelstarke, kreative Spielerin auf dem Point Guard. Das hilft dem Team.
Wer tut sich sonst noch hervor?
Auch die Bank ist stark. Alex Wilke kommt rein und macht und tut und wirft einen rein. Du hast Lina Sontag und Frieda Bühner, die beiden jungen Verrückten, die da immer reinkommen und sich erstmal für nichts zu schade sind und sehr mutig spielen. Das ist eine gute Mannschaft, die auch gut geführt wird. Deswegen freut mich das natürlich, dass es auch Erfolg gibt. Ich glaube, vor dem Turnier haben nur wenige auf diesen Erfolg getippt. Deswegen ist es manchmal umso schöner, wenn man die dann Lügen strafen kann (lacht).
Sie haben sie bereits angesprochen: Bei den deutschen Damen steht besonders Satou Sabally, die in der US-Profiliga WNBA spielt, im Fokus. Wie sehen Sie ihre Leistung bisher, speziell nach ihrer monatelangen Verletzung?
Ihre Leistung bisher ist sehr gut. Es ist schwierig, wenn du lange nicht wirklich gespielt hast. Die Spielfitness zu haben, ist ja schon das eine. Dann so einen Spielrhythmus zu finden, ist nochmal ein anderer Schritt. Ich glaube, dass die Mannschaft ihr das auch leicht macht und dass auch das Spielsystem so ist, dass man da dann viele freie Situationen für sie kreiert. Es funktioniert also nur, wenn die anderen auch mitmachen.
Das Team von Trainerin Lisa Thomaidis trifft im Viertelfinale am Mittwoch (18:00 Uhr) nun in Paris auf Gastgeber Frankreich. Wie sehen sie die Chancen? Ist vielleicht auch hier sogar eine Medaille drin?
Ich hoffe, dass es noch weitergeht und ich glaube auch daran. Das Team hat im ersten Spiel gegen die Belgierinnen sehr gut defensiv agiert und war physisch sehr stark. Es war eine sehr kompakte Defensivleistung erstmal und dann offensiv natürlich auch. Es ist wichtig, dass du in den Korb triffst. Auf diesem Niveau musst du Bälle reinwerfen. Wenn du nur verteidigst, kommst du nicht weit. Insofern war das ein sehr gutes Spiel. Und wenn man gegen den amtierenden Europameister gewinnt, auch wenn da eine sehr wichtige Spielerin fehlt, sollte man das schon honorieren. Und klar, gegen die Französinnen hier, 17.000 Leute in der Halle, die werden wahrscheinlich nicht alle für Deutschland jubeln. Aber das ist ja auch Ansporn und es macht Spaß, solche Spiele zu spielen. Sie haben nichts zu verlieren. Du kannst nur rausgehen, alles geben, um dir noch ein Spiel zu erarbeiten. Ich bin zuversichtlich und freue mich richtig darauf.
Sie selbst waren bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mit dabei. Wie sind Ihre Erinnerungen daran? Was macht Olympia – beispielsweise im Vergleich zu einer WM – aus?
Sportlich ist die Erinnerung ernüchternd, muss man ehrlich sagen, weil wir die Chinesen eigentlich mehr oder weniger geschlagen hatten in einem Spiel, das wir nicht gut gespielt hatten, und dann doch nicht gewonnen haben und rausgeflogen sind. Aber die ganze Veranstaltung ist nochmal etwas ganz Anderes. Das war mir auch im Vorfeld nicht klar, weil ich ja auch das erste und einzige Mal dabei war bei Olympischen Spielen.
Dieses Olympische Dorf ist schon ein Brett. Wenn man nur das Team Deutschland sieht. Alle, die dazugehören, haben die gleichen Klamotten an. Man erkennt sich, man kommt in ein Gespräch, man grüßt sich. Da sind aber auch noch tausende andere Athleten und Athletinnen, die mit ihren Farben rumlaufen, mit ihren Klamotten. Und man kommt auch mit denen mal ins Gespräch. Und dann ist das eine Mensa und in der sitzen einfach hunderte und hunderte von Leuten, die essen. Und wir essen alle das gleiche Essen. Das sind alles Supersportlerinnen und -sportler, also die Top-Leute aus ihren Ländern, egal was das bedeutet im Medaillenspiegel, das sind Leute, die wahrscheinlich 20 Jahre darauf hingearbeitet haben, einmal dabei zu sein und alles dafür geopfert haben.
Das ist schon ein verrückter Blick darauf, wenn man sich das, vor allem im Nachhinein, so ein bisschen überlegt, was da los ist und was für Leute da rumlaufen. Dann ist das ein bisschen wie das verrückteste Feriencamp, das man sich vorstellen kann. Mit viel Leistungssport natürlich. Eine große Klassenfahrt, würde ich sagen. Das war Wahnsinn. Ich habe alles wahrscheinlich erst ein paar Wochen später realisiert. Es war eine tolle Erfahrung. Jetzt bin ich zugegebenermaßen auch ein bisschen neidisch, dass die Jungs und Mädels das alles erleben können. Aber ich freue mich auch ohne Ende für sie.
Zur Person
- Patrick Femerling zählte zu den besten Centern Europas und lief unter anderem für Alba Berlin und den FC Barcelona auf. Mit der deutschen Nationalmannschaft gewann er 2002 WM-Bronze in den USA sowie 2005 EM-Silber in Serbien und Montenegro. Inzwischen arbeitet er als TV-Experte und ist bei den Olympischen Spielen in Paris für Eurosport im Einsatz.
Verwendete Quelle
- Telefoninterview mit Patrick Femerling
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.