Michelle Timm
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Zuletzt haben mehrere ehemalige und aktive Turnerinnen schwere Vorwürfe gegen den Deutschen Turner-Bund (DTB) sowie den Schwäbischen Turnerbund (STB) erhoben. Konkret geht es dabei um die Zustände am Stützpunkt in Stuttgart. Angeprangert wird dabei unter anderem "systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch". Die Sportlerinnen berichten von teils schockierenden Vorfällen.
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Ende des vergangenen Jahres kommt die Skandal-Lawine ins Rollen, damals allerdings noch ohne konkrete Vorwürfe an den Stützpunkt in Stuttgart. Emelie Petz macht drei Tage vor Heiligabend öffentlich, dass sie seit langer Zeit an Essstörungen leide und extreme Selbstzweifel habe. "Meine Verletzung hat mir gezeigt, dass sich einige Leute nur für mich interessieren, wenn ich erfolgreich bin", schreibt die ehemalige Auswahl-Turnerin unter anderem.
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Konkret wird es dann wenige Tage später am 28. Dezember: Die frühere Top-Turnerin Tabea Alt berichtet in einem Instagram-Post von schockierenden Vorfällen. Sie habe mit gebrochenen Knochen turnen müssen, schreibt die heute 24-Jährige. "Es ist kein Einzelfall: Essstörungen, Straftraining, Schmerzmittel, Drohungen und Demütigungen waren an der Tagesordnung. Heute weiß ich, es war systematischer körperlicher und mentaler Missbrauch", berichtet die Olympia-Sechste mit der Mannschaft von 2016 in Rio de Janeiro mehr als drei Jahre nach ihrem Karriereende. In den Folgetagen machen immer mehr Turnerinnen Missstände öffentlich.
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Zu Beginn des neuen Jahres äußert sich Alt dann nochmals, diesmal im Interview mit dem "Spiegel". Alt spricht von einem "enormen" Vertrauensbruch durch die Trainer, die für junge Sportlerinnen oft so etwas wie Ersatzeltern seien. "Das ist ein Punkt, der mich auch im Leben beschäftigt. Ich musste mir das erst wieder mühsam aufbauen, dass es Menschen auch außerhalb der Familie gibt, denen man vertrauen kann und die es gut mit einem meinen. Das hatte ich weitgehend eingebüßt."
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Zeitgleich mit Alts Instagram-Post geht auch Carina Kröll an die Öffentlichkeit. Sie macht dem DTB Vorwürfe und kritisiert vor allem den immensen Druck im Leistungsturnen.
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Am 29. Dezember folgt mit Michelle Timm eine weitere ehemalige Turnerin, die den beiden Verbänden schwere Vorwürfe macht. Sie habe sich vor mehr als zwei Monaten an den DTB gewandt. "Ich denke, dass es mittlerweile bekannt ist, dass es mit dem Trainerteam im weiblichen Bereich massivste Probleme gibt", schreibt die 27-Jährige. "Niemand, der das Erzählte nicht selbst erlebt hat, kann nachvollziehen, was all das mit einem macht. Diese jahrelangen Missstände machen Menschen kaputt. Diese emotionale Abhängigkeit ist für Außenstehende kaum zu beschreiben und ich kann gar nicht zum Ausdruck bringen, was Kinder wie ich durchlebt haben", schrieb sie zu einem Brief, den sie mitveröffentlicht.
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Im Laufe der Zeit werden immer mehr Details öffentlich gemacht, immer mehr Sportlerinnen melden sich – so auch Janine Berger. "Dass im deutschen Turnen Missstände herrschen, ist intern schon lange klar. Es tut mir in der Seele weh und macht mich gleichzeitig wütend zu sehen, dass viele Talente weiterhin psychisch und physisch kaputt gemacht werden und das muss endlich ein Ende haben. Es geht um Kinder", sagt die Olympia-Vierte von 2012 im Interview mit der "Augsburger Allgemeinen".
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Nur wenige Tage später legt sie bei RTL/ntv nach und erzählt eindrücklich, wie sie vor mehr als einem Jahrzehnt rund um die Sommerspiele von London, wo sie Bronze im Sprung nur knapp und unglücklich verpasste, behandelt wurde. Verbandsleute hätten sie nach den Spielen nicht unterstützt, sondern stattdessen nachgetreten. Ihr sei gesagt worden, dass sie aufgrund ihres Gewichts nur Vierte wurde – obwohl sie damals nur acht Prozent Körperfett hatte. "Es ging in Richtung Erniedrigungen, dass man im Training ständig gehört bekam, dass man zu fett sei, bis hin, dass man verboten bekam, Wasser zu trinken, weil sich das auch wieder auf das Körpergewicht auswirkt. Es wurde geraten, nichts mehr zu essen. Teils wurde mir meine finanzielle Förderung gestrichen aufgrund meines Gewichts."
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Ende des Jahres fordert mit Elisabeth Seitz die wohl bekannteste deutsche Turnerin eine Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe am Bundesstützpunkt Stuttgart. Turnen sei ihr Sport, ihre große Leidenschaft und dies wolle sie den vielen Menschen vermitteln, schreibt die 31-Jährige in einem Instagram-Post. "Allerdings müssen für die Zukunft Missstände behoben und die Menschen zur Verantwortung gezogen werden, die diese verursachen", fordert die Stuttgarterin.
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Die frühere Spitzenturnerin Kim Bui spricht im "Stern" von einem System, das Sportlerinnen über Jahre manipuliert und erniedrigt habe. "Die Zustände am Bundesstützpunkt Stuttgart müssen arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Da wurden – wie es aussieht – junge Menschen kaputt gemacht, das darf nicht ohne personelle Folgen bleiben", sagt Bui.
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Auch Lara Hinsberger beklagt grobe Missstände am Bundesstützpunkt in Stuttgart. "In Stuttgart wurde ich behandelt wie ein Gegenstand. Ich wurde benutzt und das so lange, bis ich körperlich und geistig so kaputt war, dass ich für die Trainer (und irgendwann auch für mich selbst) sämtlichen Wert verlor", schreibt die 20 Jahre alte Saarländerin in einem am Silvestertag veröffentlichten Instagram-Post. "Seit der Zeit in Stuttgart bin ich in psychotherapeutischer Behandlung." Teilweise habe sie damals auch verletzt trainiert, schildert Hinsberger: "Ich trainierte immer weiter, bis ich irgendwann eine Stressfraktur im Schienbein mit zusätzlichem Meniskusriss im linken Bein erlitt."
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Später prangert auch das frühere Top-Talent Kim Janas öffentlich Missstände an. Die 25-Jährige kritisiert via Instagram vor allem den Umgang mit Verletzungen, Ernährung und Gewicht während ihrer Karriere, die sie nach drei Kreuzbandrissen bereits Ende November 2016 beendet hatte. Auch acht Jahre später sei sie "nicht ganz geheilt" von dem, was sie erlebt habe, schreibt Janas. Sie habe aber zumindest "einen Weg gefunden, besser damit umzugehen".
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Der Deutsche Turner-Bund (DTB) bemüht sich nach eigener Aussage weiter darum, die von früheren Athletinnen angeprangerten Missstände in seinem Leistungssystem zu beheben. Es gelte "regelmäßig zu hinterfragen, welche Maßnahmen sinnvoll sind und nachhaltig zu einer Veränderung des Systems beitragen und wo es weitere Anpassungen und Verbesserungen geben muss", teilt der Verband auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. "Der angestrebte Kultur- und Strukturwandel wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen."
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Erste Konsequenzen gibt es bereits: Zwei Übungsleiter wurden vorläufig bis zum 19. Januar freigestellt. DTB und STB seien weiter dabei, die Geschehnisse aufzuarbeiten. Laut STB übernehmen Turn-Bundestrainer Gerben Wiersma (im Bild) und Nachwuchsbundestrainerin Claudia Schunk vorerst die Trainingseinheiten. (mit Material der dpa)