Frankreich bereitet sich für die große Sause am Wochenende vor, bei der Tour de France hat die Grande Nation gleich zwei Eisen im Feuer - aber eben auch gefährliche Konkurenz. Der Deutsche Emanuel Buchmann hat beste Chancen aufs Podium. Oder sogar noch mehr?
Die Grande Nation ist wie elektrisiert. Nicht nur, weil die Tour de France so langsam auf die Zielgerade einbiegt. Und auch nicht, weil es jetzt wieder in die Berge geht, wo erfahrungsgemäß die Plätze vergeben werden. Die französische Radsport-Nation fiebert den letzten Etappen entgegen, weil gleich zwei ihrer Landsleute die ganz große Chance haben, den Fluch endlich zu besiegen.
Viele Fans in Frankreich können sich an den letzten Sieg eines Franzosen beim wichtigsten Radrennen der Welt schon gar nicht mehr erinnern. Bernard Hinault war der letzte französische Gewinner. "Le Blaireau", der Dachs, siegte noch in einer anderen Zeit, darauf folgten die Jahre der Spanier und Amerikaner, zuletzt waren die Briten kaum noch zu schlagen. Frankreich dagegen erlebte vierunddreißig dürre Jahre, für die Radsport-Nation eine reine Katastrophe.
Gesamtklassement: Für Alaphilippe wird es vermutlich nicht reichen
Aber jetzt, in den höchsten Pässen der Alpen mit den Monstern Col de Vars, Col d‘Izoard und Col du Galibier mit 2642 Metern, und knapp 600 Kilometer vor dem Champs-Elysees, ist der Gesamtsieg so nahe wie seit langem nicht mehr. Fast drei Wochen rollt das Peloton nun schon wieder auf der Großen Schleife und quasi vom ersten Tag an fährt Julian Alaphilippe in Gelb. Am ersten Tag in den Alpen sahen die meisten Experten Alaphilippe schon am Wanken, aber der Gesamtführende zitterte einen knappen Vorsprung ins Ziel.
Vermutlich wird es für Alaphilippe am Ende nicht reichen, der Träger des Maillot Jaune hat mannschaftstaktisch mit seinem Team Deceuninck-Quick-Step nicht besonders viel zu bieten und ist kein klassischer Kletterer mit Blick auf das Gesamtklassement. Und spätestens auf der 18. Etappe über die drei Berge, mit 208 Kilometern Streckenlänge und einer erneuten Hitzeschlacht mit prognostizierten 36 bis 40 Grad, wird die große Attacke der Verfolger kommen. Es könnte die Zeit von Thibaut Pinot werden, der zweiten, noch größeren Hoffnung der Franzosen. In den Pyrenäen fuhr Pinot wie ein Derwisch und reichen die Kräfte, dürfte er zusammen mit seinem Edelhelfer David Gaudu die besten Chancen auf den Gesamtsieg haben.
Tour de France 2019: Hoffnung für Ravensburger Emanuel Buchmann
Es sei denn, und das wäre die größte Sensation seit sehr, sehr langer Zeit: Emanuel Buchmann gelingen ein paar Husarenritte durch das Bergmassiv. Buchmann ist im Schatten der beiden Franzosen zum heimlichen Star dieser 106. Tour de France aufgestiegen und hat berechtigte Hoffnungen, aufs Podium zu fahren. Schon jetzt hat es der Ravensburger zumindest phasenweise geschafft, sich mit den Größen seines Sports auf eine Stufe zu stellen, mit den Favoriten Egan Bernal oder Vorjahresgewinner Geraint Thomas.
Buchmann hat sich auf Platz sechs geradelt, der Vorsprung auf die Plätze dahinter ist recht komfortabel. Nur ein schwerer Einbruch könnte ihm sein Ziel, unter den besten Zehn zu landen, jetzt noch verwehren. Dieses Ziel hatte sich der 26-Jährige vor der Tour gesetzt. Jetzt ist plötzlich aber deutlich mehr möglich. Natürlich hat Buchmann ähnlich wie Alaphilippe keinen Top-Helfer an seiner Seite - vor allem seit dem Tour-Aus für Maximilian Schachmann. Bora Hansgrohe ist für eine derart verwegene Attacke (noch) nicht so aufgestellt, dass es mit den großen Rennställen mithalten könnte.
Das Podium ist für Buchmann drin
Aber: Buchmann reitet die Welle, fuhr bei der 17. Etappe locker im Peloton mit und behielt die Konkurrenz bei der "Vorbereitungsetappe" auf die Hölle am Donnerstag einfach im Blick. "Er ist sicher gut für den Toursieg, allerdings erst in ein paar Jahren. Dazu müssen wir als Team noch ein paar PS zulegen", sagt sein Teamkollege Gregor Mühlberger. "Das Podium aber hat er schon in diesem Jahr drin." Dann unter den Augen seines Vaters Manfred, der sich am Wochenende auf den Weg nach Paris machen wird, um seinen Sohn zumindest symbolisch zu unterstützen.
Von hinten können Buchmann jedenfalls nur noch wenige Kontrahenten gefährlich werden, nach oben ist die Skala aber offen. Pinot dürfte der große Favorit sein, zwischen Thomas und Bernal muss sich Team Ineos irgendwann entscheiden. Mindestens einer von beiden wird aber auch schwer zu knacken sein. Und dann wäre noch Steven Kruijswijk aus den Niederlanden, der mit Jumbo-Visma schon vier Etappensiege eingefahren hat und so viel Erfahrung mitbringt wie kein anderer der Top-6-Fahrer.
Kruijswijk ist mehr als ein Geheimtipp - aber für Buchmann in dessen aktueller Verfassung auch nicht unschlagbar. Die 2:14 Minuten Rückstand auf Alaphilippe sollten machbar sein, danach sind die Unterschiede auf dieser ziemlich verrückten Tour mit engen Entscheidungen und ohne das berüchtigte Zug-Fahren, wenn eine Mannschaft wie eine Walze vom ersten bis zum letzten Tag durch die Etappen pflügt und ihren Kapitän sicher zum Gesamtsieger macht, recht marginal. Buchmann hat zwölf Sekunden Rückstand auf Bernal, 24 Sekunden auf Pinot. 27 sind es auf Kruijswijk und 39 Sekunden auf Thomas.
Nur noch eine Sprintentscheidung in Paris
Buchmann hat den Vorteil, dass auch auf den Etappen 19 und 20 noch weitere vier brutale Berge auf die Fahrer warten, unter anderem der höchste Anstieg hinauf auf den Col de l‘Iseran mit 2770 Metern Höhe. Die Sprinter und Roller haben keine Chance mehr, ihre Etappen sind längst vorbei, es gibt auch kein Zeitfahren mehr. In den Alpen fällt die Entscheidung - und für einen ausgewiesen guten Bergfahrer, der dazu noch in bestechender Form ist, auch in der dritten Woche noch gute Beine und absolut gar nichts zu verlieren hat, sind das keine schlechten Voraussetzungen.
Und noch etwas könnte am Ende für Buchmann und einen Platz auf dem Treppchen sprechen: Selbst vier Etappen vor Schluss wird der Deutsche von einigen Experten und vielleicht auch dem einen oder anderen Kontrahenten immer noch ein wenig unterschätzt. Den Respekt der meisten Fahrer hat sich Buchmann aber schon längst erfahren.
Paris und Macron rüsten sich für französischen Sieg
Peter Sagan, der wilde Hund unter den Fahrern, Dauergewinner des Grünen Trikots und zufällig Buchmanns Teamkollege, ordnet dem Erfolg des Emporkömmlings alles unter. "Ich bin total glücklich, dass Emanuel hier so stark fährt. Ich hoffe sehr, dass er das beste Ergebnis seines Lebens herausfährt. Das wäre dann ja auch eine große Sache für unser ganzes Team. Wir werden alles für ihn geben", sagte der Slowake dem "Kölner Stadtanzeiger".
Für Sonntag in Paris hat sich auch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron angekündigt für den Fall, dass entweder Alaphilippe oder Pinot auf der letzten Etappe als Spitzenreiter dem Ziel entgegenfahren. "Das wäre ein historischer Tag", sagt Macron und seine Landsleute bereiten sich schon entsprechend vor. Paris rüstet sich für eine große Sause - sofern nicht der Sohn eines Schreiners aus Ravensburg dazwischen kommt.
Verwendete Quellen:
- Kölner Stadtanzeiger
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