Kristina Vogel erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum im Velodrom die deutschen Frauen für Medaillen sorgen, ob ihr Sport durch die European Championships einen Boom erfahren hat und ob sie damit hadert, dass ihr durch ihr frühes, unfallbedingtes Karriereende weitere Erfolge verwehrt blieben.
Frau
Kristina Vogel: Gerade bei den Frauen ist das aktuell so. Wo sie fahren, sind die Medaillen nicht weit, egal ob im Sprint oder im Ausdauerbereich. Mit den Sprintermädels Lea Sophie Friedrich, Emma Hinze und Pauline Grabosch wird es manchmal fast schon langweilig – wenngleich auch klar ist, dass jede Medaille hart erkämpft werden muss. Bei den Männern ist es ein bisschen anders: Wir haben mit Roger Kluge und Theo Reinhardt zwar ein gutes Team, das im Madison erfolgreich ist. Ansonsten ist es etwas schwieriger. Ich hoffe aber, dass sich auch die Arbeit der Männer bald mehr auszahlt.
Schon seit längerem sind die Stars im deutschen Bahnradsport vor allem Frauen. Warum ist das so?
Der Unterschied ist, dass die Frauen im deutschen Bahnradsport seit langem eine gute Trainingsgruppe mit den Männern bilden. Dadurch müssen wir auch im Training jeden Tag an unser Limit gehen, um mitzuhalten. Diese starke Konkurrenz haben die Männer leider nicht. Zusammen mit dem Talent und dem unheimlichen Ehrgeiz, den die Mädels aktuell an den Tag legen, ist das wahrscheinlich das Geheimnis, warum sie so erfolgreich sind.
Klingt so, als ob der Bahnradsport ein Vorreiter beim Thema Gleichberechtigung ist.
Absolut! Ich kenne das aus keiner anderen Sportart, dass Frauen und Männer so lange miteinander trainieren, von den Schülern bis hin zur Eliteklasse. Woanders werden die Geschlechter ab einer bestimmten Altersklasse meistens doch wieder getrennt. Wahrscheinlich hat sich das im Bahnradsport notgedrungen daraus entwickelt, dass unsere Trainingsgruppen oft nicht groß genug waren. Aber ich sehe es mittlerweile als Erfolgsrezept und freue mich, dass man das weiterhin beibehält.
Vogel: "Es sind nicht nur die Fernsehsender in der Verantwortung"
Bahnrad war bei den European Championships dabei und hat dabei viele Zuschauer gewonnen. Hat man auch über die Spiele hinaus einen Boom bemerkt?
Zunächst einmal: Die European Championships waren ein gigantisches Event. Wir waren unfassbar erfolgreich und die Zuschauer begeistert, fast schon süchtig nach mehr Bahnradsport. Das hat mich sehr gefreut, zu sehen, dass so etwas auch funktioniert. Aber wir haben jetzt im August die Radsport-WM in Glasgow, quasi eine Miniolympiade für alle Radsportevents von der Bahn bis hin zum BMX. Sogar die paralympische Bahn-WM ist mit dabei, was es so auch in kaum einer anderen Sportart gibt. Trotzdem überträgt – Stand jetzt – kein deutscher Sender vor Ort. Damit kann ich die Frage beantworten: Einen nachhaltigen Schub für den Bahnradsport gibt es leider nicht.
Trotz der regelmäßigen Erfolge der Bahnradsportler bei den wichtigen Turnieren.
Mir ist klar, dass man für den Radsport keine Aufwartung macht wie bei Olympia. Aber es wäre zumindest schön gewesen, wenn ich von dort aus hätte kommentieren können. Auch Streams sind ja eine Möglichkeit und günstiger als Fernsehübertragungen. Das Problem mit der Sichtbarkeit haben aber nicht nur wir: Bei der Eishockey-WM hat Deutschland die erste Medaille seit 70 Jahren geholt – und es fiel trotzdem ein bisschen herunter, weil zur gleichen Zeit auch der Meisterschaftskampf zwischen den Bayern und dem BVB stattfand. Klar, die Bundesliga war lange nicht so spannend wie an diesem Wochenende, aber dafür, dass die Eishockeyspieler Historisches erreicht haben, hat man nicht viel davon mitbekommen.
Legt das Fernsehen zu wenig Wert auf die sportliche Vielfalt?
Es ist leicht zu sagen, die öffentlich-rechtlichen Sender müssen einfach mehr übertragen. Als Expertin für das ZDF und die ARD weiß ich selbst, dass das nicht ganz so einfach ist. Auf der anderen Seite bezahle ich den Rundfunkbeitrag und den zahle ich nicht nur für die Bundesliga. Und die "Sportschau" könnte man eigentlich die "Bundesligaschau" nennen, mit ein bisschen anderem Sport nebenbei. Es sind aber nicht nur die Fernsehsender in der Verantwortung, auch die Medienarbeit der Verbände könnte noch verbessert werden. Biathlon ist da ein Paradebeispiel – es ist beeindruckend, wie der Biathlon-Verband IBU über wenige Jahre ein System entwickelt hat, wie und wann die Weltcups fernsehfreundlich stattfinden können und dadurch mittlerweile eine richtige Macht geworden ist.
Kristina Vogel will ihren Weg als Trainerin noch finden
Aktuell studieren Sie an der Trainerakademie in Köln. Sehen Sie sich in der Zukunft als Trainerin?
Ich war selbst als Aktive in der Spitzensportfördergruppe der Bundespolizei und bin dort schon seit 2019 als Trainerin verantwortlich für den Bereich Radsport. Dort können die Athleten ihren Sport in der Ausbildung parallel zum Beruf ausüben. In den Präsenzphasen werden sie im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum in Kienbaum von mir und meinem Kollegen Matthias John trainiert, darüber hinaus stehen wir ihnen während der gesamten Zeit als Mentoren zur Seite. Um mich für diese Aufgabe weiterzuqualifizieren, studiere ich an der Trainerakademie.
Wie schwierig ist die Umstellung vom Sportlerdasein auf die Trainerbank?
Es ist schon etwas anderes, weil ich mit den Athleten nicht einfach so umgehen kann, wie ich mit mir selbst umgegangen bin. Was für mich funktioniert hat, funktioniert nicht für jeden. Aber ich weiß, dass es ein langer Prozess ist, eine gute Trainerin zu werden – genauso wie ich nicht von heute auf morgen eine gute Athletin war. Ich sage deshalb klar, dass ich meinen Weg noch finden möchte. Es macht auf jeden Fall Spaß und ich bin überzeugt, dass ich meinen Athleten viel mitgeben kann.
Hätte die Sportlerin Kristina Vogel gerne unter Ihnen trainiert?
Ich selbst hatte einen strengen Trainer, der mir klare Grenzen gesetzt hat. Aber ich habe das auch gebraucht, um das Maximum aus mir herauszuholen. Ich war sehr eigenwillig und habe es meinen Trainern nicht immer leicht gemacht. Bei meiner Teamkollegin Miriam Welte, mit der ich 2012 Gold in London gewann, war das anders: Ihr Trainer war ihr Stiefvater, der ging viel freundschaftlicher und lockerer an die Sache heran. Das wäre für mich nichts gewesen. Für den einzelnen Athleten passt nicht immer derselbe Trainer.
Was machen Sie anders als Ihre Trainer damals?
Ich finde, es ist noch viel zu früh zu sagen, welche Art Trainerin ich bin und welche nicht. Was mich vielleicht von vielen unterscheidet ist, dass ich ganz genau weiß, wie es ist, um den Olympiasieg zu kämpfen und auch den Druck kenne, der damit kommt. Aber klar, ein guter Trainer muss kein guter Athlet gewesen sein, genauso wie ein guter Athlet noch lange kein guter Trainer sein muss. Für mich ist es deshalb okay, zu sagen: Ich lerne die Trainerarbeit noch, bilde mich weiter und gehe diesen Prozess. Denn am Ende möchte ich die Frage, warum ich bestimmte Dinge so mache, wie ich sie mache, möglichst nicht beantworten mit: Weil wir es schon immer so gemacht haben.
Vogel: "Ich hatte mir vorgestellt, mich langsam auf das Karriereende vorzubereiten"
Durch Ihren Unfall 2018 war der Schnitt vom Sportlerdasein zum Leben nach der Karriere besonders hart. Wie schwierig war das?
Anfangs war es sehr schwierig, weil ich mich nicht vorbereiten konnte. Ich hatte mir vorgestellt, mich langsam auf das Karriereende vorzubereiten. Durch den Unfall musste ich Plan A abschließen, ohne zu wissen, was der Plan B ist. Als Leistungssportler ist man stark darauf fixiert, in Vierjahreszyklen zu denken, von Olympia zu Olympia. Und auf einmal war das nicht mehr. Damit umzugehen, war eine große Herausforderung für mich. Ich musste mir die Frage stellen: Wer bin ich jetzt im Rollstuhl und was kann ich überhaupt noch sein?
Wie haben Sie diese Herausforderung bewältigt?
Ich habe mich ein bisschen losgemacht davon, fremdbestimmt irgendwelche Ziele erreichen zu müssen und gucke jetzt einfach mehr, was so kommt. Man sagt ja, wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich eine andere. Und ich freue mich jetzt darüber, zu sehen, welche neue Türen aufgehen. Ich habe natürlich trotzdem noch langfristige Ziele, aber nicht mehr dieses fast schon ungesunde Denken in Vierjahresrhythmen.
Ärgern Sie sich auch darüber, dass Sie nicht noch mehr Titel holen konnten?
Klar, es hätten schon noch ein, zwei Medaillen mehr sein können. Ich hätte zum Beispiel gerne noch das Keirin bei den Olympischen Spielen in Tokio gewonnen – dort, wo die Disziplin auch ihren Ursprung hat. Auf der anderen Seite bin ich trotzdem die erfolgreichste Bahnradsportlerin – und das ist ja nicht ganz schlecht. Ich schaue deshalb nicht griesgrämig auf meine Karriere zurück. Andernfalls könnte ich wahrscheinlich auch keine gute Trainerin sein, wenn ich immer noch damit hadern würde, dass ich nicht mehr erreicht habe.
Vogel: "Olympia ist etwas für Erwachsene"
Wie beeinflusst der Rollstuhl Ihre Arbeit als Trainerin?
An unserem Trainingsort in Frankfurt (Oder) und auch in Kienbaum ist natürlich alles barrierefrei, aber das ist leider nicht auf allen Radrennbahnen so. Auch hier muss ich noch einen Weg finden, etwa wie ich damit umgehe, wenn ich meine eigenen Ansprüche nicht halten kann, weil es die Gegebenheiten nicht hergeben. Aber ich habe zum Glück sehr aufmerksame und tolle Athletinnen, die mit meiner Situation gut umgehen. Sie schieben mich auch hin und wieder mal einen Berg hoch, wenn die Rampe zu steil ist.
Bislang sind Sie die letzte deutsche Sportlerin, die bei Olympia eine Einzelgoldmedaille im Bahnradsport gewonnen hat. Wer könnte 2024 in Paris Ihre Nachfolgerin werden?
Es wird darauf ankommen, wie eine Emma Hinze oder eine Lea Sophie Friedrich durch das Turnier kommen, ob sie in den Wettbewerben schon früh aufeinandertreffen oder nicht. Wenn alles so läuft, wie es laufen sollte, werden sie sicher ein oder zwei Medaillen holen. Welche es am Ende werden, ist noch mal eine andere Geschichte. Denn wie ich gerne sage: Olympia ist etwas für Erwachsene! Hier kommt alles zusammen: der Druck, die Vorbereitung oder die Tagesform. Man denkt vielleicht, man ist auf Olympia gut vorbereitet, aber so ganz ist man es nie. Es ist ein wirklich verrückter Wettbewerb.
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