Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft hat bei der WM die Fans begeistert und mit Silber erstmals nach 70 Jahren wieder eine WM-Medaille geholt. Wir haben uns mit dem früheren Nationalspieler und heutigen Sportdirektor der Nürnberg Ice Tigers, Stefan Ustorf, über das Turnier, deutsche Hoffnungsträger, die Situation des deutschen Eishockeys und Aufgaben für die Zukunft unterhalten.
Stefan Ustorf, wie sehr haben Sie als Ex-Nationalspieler dieses Turnier genossen?
Stefan Ustorf: Ich habe es sehr genossen. Wenn wir solch einen Erfolg haben, ins Finale kommen und eine ernsthafte Chance hatten, Weltmeister zu werden, macht mich das stolz. Und ich freue mich auf mehr.
Wie bewerten Sie das Endspiel im Speziellen und das Turnier im Allgemeinen?
Es war lange Zeit ein enges Spiel, das auch anders hätte ausgehen können. Wir hatten unsere Möglichkeiten und eine echte Chance, das Spiel zu gewinnen. Vielleicht hat am Ende die individuelle Klasse der Kanadier den Ausschlag gegeben.
Insgesamt war es sehr gut, wie wir nach einem schwierigen Start in das Turnier mit drei Niederlagen zurückgekommen sind. Das hat die Mannschaft hervorragend gemeistert, und sie ist im Laufe des Turniers immer besser geworden. Der zweite Platz ist vollkommen verdient.
WM-Erfolg eine "geschlossene Mannschaftsleistung"
Was hat diese Mannschaft bei dem Turnier ausgezeichnet?
Man muss das in jedem Jahr komplett neu betrachten. In diesem Jahr war es der Kampfgeist, die Einheit, die sie auf dem Eis gebildet haben. Wir hatten nicht die Individualisten, die wir in der Vergangenheit dabei hatten, es war vor allem eine geschlossene Mannschaftsleistung, mit einem sehr detaillierten und hervorragenden Defensivspiel.
Gab es dabei ein entscheidendes Erfolgsgeheimnis?
Das gab es in dem Sinne gar nicht. Eine Eishockey-WM wird jedes Jahr gespielt. Wenn man ein super Turnier spielt und im Jahr darauf mit Pech das Viertelfinale verpasst, wird schnell alles über den Haufen geworfen und alles wieder schlecht geredet. Es ist ein sehr kurzes Turnier, in dem du versuchen musst, ganz schnell zusammenzufinden. Wir haben einen neuen Trainerstab, was grundsätzlich auch nicht so einfach ist, aber es hat alles funktioniert.
Man sah es aber auch an der Art und Weise, wie die Spieler miteinander umgingen, dass sie gerne da und heiß auf das Turnier und den Erfolg waren. Sie haben aneinander geglaubt und einander vertraut. Das Wissen, dass der Spieler neben dir sein Bestes geben wird, damit du erfolgreich bist – das konnte man auf dem Eis bei uns sehen. Und das war die große Stärke.
Die Rolle des neuen Bundestrainers Harold Kreis
Wie wichtig und entscheidend war die Rolle des neuen Bundestrainers Harold Kreis?
Seine Rolle war sehr groß. Es hat sich gezeigt, dass er die richtigen personellen Entscheidungen getroffen hat. In so einem kurzen Turnier geht es aber gar nicht so sehr um Taktik, vor allem geht es darum, die Jungs körperlich und mental auf den Punkt fit zu bekommen. Das hat er geschafft, und das war ein Schlüssel des Erfolgs. Wir haben einen guten Weg gefunden, die Spieler kommen gerne zur Nationalmannschaft. Und es sieht so aus, als hätten wir mit dem Trainerstab eine hervorragende Lösung gefunden.
Welche deutschen Spieler haben Sie bei diesem Turnier überrascht?
Ganz sicher Wojciech Stachowiak, er hat ein sehr, sehr starkes Turnier gespielt und einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Die ganze Reihe um Stachowiak, Parker Tuomie und Justin Schütz hat mich sehr überzeugt, die Jungs haben mit unglaublich viel Energie und Euphorie gespielt, haben ihre Sache hervorragend gemacht.
Seider und Peterka – die kommenden NHL-Superstars?
Moritz Seider und John-Jason Peterka haben es in das All-Star-Team geschafft, Peterka wurde zudem zum besten Stürmer gewählt. Die beiden sind 22 beziehungsweise 21 Jahre alt und spielen bereits in der NHL – haben die beiden Superstar-Potenzial?
Moritz Seider auf jeden Fall. Er ist zum jetzigen Zeitpunkt schon ein Spieler, der einen großen Respekt in der NHL genießt. Er hat Führungsqualitäten, die er schon oft unter Beweis gestellt hat, er hat Persönlichkeit und ist der Chef auf dem Eis und ein absoluter Top-Verteidiger. Seider ist für mich ein Spieler, der die nächsten 16, 17 Jahre in der NHL spielen und irgendwann der Kapitän einer Mannschaft sein wird. Er ist auf dem besten Weg, einer der erfolgreichsten deutschen Spieler der Geschichte zu werden.
Peterkas Entwicklung geht steil nach oben, er hat sich in der NHL etabliert. Jetzt hat er nochmal gezeigt, dass er zu den Spielern gehört, die auf ganz hohem Level einen Unterschied machen können. Ich gehe davon aus, dass er eine feste Größe in der NHL werden wird.
Wen sehen Sie als Nächstes in der NHL durchstarten?
Lukas Reichel ist ein Spieler, der nächstes Jahr mehr NHL-Einsätze haben wird, um den nächsten Schritt zu machen und sich dort zu etablieren. Ich hoffe zudem, dass Kai Wissmann eine Chance bekommt. Er ist hinter Seider Deutschlands zweitbester Verteidiger.
Blüht dem deutschen Eishockey eine goldene Zukunft?
Es gab im Vorfeld ja auch Absagen, Topstars wie
Das ist schwer zu sagen. Es ist ein riesiger Erfolg für uns. Jetzt ist die Frage, wie wir diesen Erfolg nutzen können, um davon zu profitieren. Dass die Nationalmannschaft diese Leistung abrufen konnte, Silber wie schon bei Olympia gewonnen hat und jetzt Fünfter der Weltrangliste ist – das sind keine positiven Ausrutscher mehr, das kann man jetzt auch mal erwarten.
Favorit auf den Titel sind wir nicht, es überrascht aber niemanden mehr, wenn wir so weit kommen, es ist immer im Bereich des Möglichen. Was noch wichtiger ist: Das ist es, auch wenn wir nicht unsere Top-Mannschaft dabei haben und auf Jungs wie Draisaitl und Grubauer verzichten müssen. Wir haben genug Tiefe, um mit solchen Absagen umgehen zu können.
Fünfter in der Weltrangliste: Spiegelt dies das aktuelle Kräfteverhältnis wider?
Wir haben uns in den vergangenen acht Jahren fest als Top-8-Nation etabliert, auf Dauer wollen wir gerne eine Top-6-Nation werden. Bei so einem Turnier kann sich immer alles ein wenig verschieben. Platz fünf ist daher im Moment völlig in Ordnung.
Ist dieser Erfolg denn ein Versprechen für die Zukunft oder muss man da vorsichtig sein?
Da muss man sehr vorsichtig sein. Es findet jedes Jahr eine WM statt. 2024 habe ich plötzlich zehn Absagen mehr, und dann sieht die Situation schon wieder anders aus. Es kann daher auch mal passieren, dass man zum Beispiel gar nicht erst das Viertelfinale erreicht. Dann gilt es aber, nicht in Panik zu verfallen und alles wieder schlecht zu reden. Genauso wie man jetzt nicht sagen darf, dass wir im Moment alles perfekt machen. Wir müssen aus den Situationen immer lernen.
Kann das deutsche Eishockey vom Aufschwung profitieren?
Nun gab es wie so oft – die Handballer können ein Lied davon singen – einen Hype um die Mannschaft und die Sportart. Sie kennen das selbst auch. Was ist das wert, zum Beispiel auch für die DEL?
Es kommt darauf an, was man daraus macht. Das Problem ist, dass in Sachen Eishockey jetzt ein paar Monate lang gar nichts passiert. Die DEL-Saison beginnt erst wieder im September, und vielleicht erinnert sich dann gar keiner mehr an die Nationalmannschaft und die WM.
Deshalb ist es wichtig, dass wir die Situation nutzen und das Eishockey, die Klubs und die Stars pushen. Dass wir den Sport als Ganzes verkaufen und nicht immer nur auf uns selbst schauen, ob nun der Deutsche Eishockey-Bund, die DEL oder die Vereine. Wir sitzen alle in einem Boot und profitieren alle von einem guten Produkt.
Mit dem Hype und den Erfolgen steigt aber auch die Erwartungshaltung. Wie sollte man damit umgehen?
Die Jungs sollen den Erfolg genießen, sie haben es verdient, sich feiern zu lassen. Das gilt auch für den Verband, die können sich auch erstmal zurücklehnen. Dann geht aber die Arbeit für die nächste Saison schon wieder los, vor allem der DEB hat viele Aufgaben vor der Brust.
Unsere U18 ist zum Beispiel gerade sang- und klanglos aus der A-Gruppe abgestiegen. Was das Team angeht: Der Erfolg bedeutet Druck, aber den Druck hat man als Spieler ja auch ganz gerne. Ich finde es schön, wenn wir uns nicht ständig als Außenseiter abstempeln lassen müssen.
Die erste WM-Medaille seit 1953
Silber ist die erste WM-Medaille seit 1953 – was sollte man konkret aus dem Erfolg für das deutsche Eishockey machen?
Der Erfolg ist sehr wichtig, wir brauchen ihn für den Wiedererkennungswert der Sportler oder für das Marketing. Wir machen eine super Arbeit, was die Trainer-Ausbildung angeht. Unsere jungen Spieler haben starke Eigenschaften und Ehrgeiz entwickelt, die geben sich nicht mehr damit zufrieden, nur in die DEL zu kommen. Sie haben größere Ziele.
Wenn wir uns aber dauerhaft ganz oben etablieren wollen, dann müssen wir mehr Geld generieren, um mehr Eisstadien zu bauen, um Kindern die Sportart zugänglicher zu machen. Damit sie einfach am Nachmittag mit ihren Freunden dort vorbeigehen und bolzen können, wie man im Fußball sagen würde. Das kann man im Eishockey leider nicht. Wenn wir das mal hinbekommen, dann können wir uns langfristig in den Top 6 etablieren und regelmäßiger um Medaillen spielen.
Auch im Hinblick auf die Heim-WM 2027 – wer ist da gefordert?
Alle zusammen. Jeder, dem Eishockey am Herzen liegt. Es geht aber schon lange darum, mehr Möglichkeiten zu schaffen für junge Kinder. Eishockey wird immer teurer, es wird immer schwieriger, Nachwuchs für den Sport zu begeistern und die Situation zu verbessern.
Eishockey muss erschwinglicher werden, und wir müssen mehr Kinder dazu bringen, Eishockey spielen zu wollen. Die Zahlen müssen größer werden. Es wäre deshalb auch schön, wenn man vom Staat mehr gefördert wird. Am besten mit einer staatlichen Förderung, die erfolgsunabhängig und etwas spezialisierter ist mit dem Bau von für Kinder zugänglichen Eisflächen, denn die könnten wir gebrauchen. Wir brauchen einfach mehr Eishallen.
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