Die deutschen Handballer wollen beim Quali-Turnier gegen Algerien, Kroatien und Österreich das Ticket für die Olympischen Spiele im Sommer in Paris lösen. Dafür ist mindestens Platz zwei nötig. Bei den Partien geht es aber auch um die Zukunft von Bundestrainer Alfred Gislason, dessen Vertrag sich nur bei einer erfolgreichen Quali verlängert.
Alfred Gislason hatte genug. Als die dritte Nachfrage zu seiner Zukunft als Handball-Bundestrainer kam, war der Isländer endgültig genervt. Die Hände hatte er in die Hüften gestemmt, er kämpfte mit seiner Geduld und verlor diese schließlich für einen ganz kurzen Moment.
"Wie oft muss ich das wiederholen? Das ist die Frage", maulte er bei einem virtuellen Medientermin. Der 64-Jährige war in dem Moment sichtlich gereizt. Den Hang dazu hat er sowieso, wenn es zu sehr um seine Person geht. Jetzt, in den Tagen vor dem so wichtigen Olympia-Qualifikationsturnier in Hannover, steht
In gewisser Weise fällt dem Deutschen Handball-Bund (DHB) die Vorgehensweise bei den Vertragsgesprächen mit Gislason auf die Füße. Denn der Kontrakt mit dem Isländer verlängert sich nur dann bis zur Heim-WM 2027, wenn die DHB-Auswahl in den Spielen gegen Algerien (Donnerstag, 17.45 Uhr/Sport1 und Dyn), Kroatien (Samstag, 14.30 Uhr/ZDF und Dyn) und Österreich (Sonntag, 14.10 Uhr/ARD und Dyn) das Ticket für Paris löst. Dafür benötigt das deutsche Team mindestens Platz zwei. Heißt: Diese Partien könnten der Startschuss dafür sein, dass Gislason seine in den vergangenen Jahren eingeleitete Arbeit fortsetzen kann. Oder es sind seine letzten Partien als Bundestrainer.
Gislason empfindet keinen Druck
Darüber zerbricht sich der 64-Jährige allerdings nicht den Kopf, er spüre auch keinen persönlichen Druck, betonte er. "Überhaupt nicht", sagte Gislason. "Ich bin ja gefühlte 50 Jahre Trainer. Mir war es nicht besonders wichtig, vor diesem Turnier meinen Vertrag zu verlängern." Und wenn es doch noch schiefgeht, "dann ist das in dem Geschäft so", sagte Gislason.
Es ist tatsächlich nicht unüblich, dass Zwischenziele erreicht werden müssen. Die offene Kommunikation der Vereinbarung sorgt nun aber für die Diskussionen. Doch die Klarheit sei für den Verband und für Gislason absolut okay, sagte Sportvorstand Axel Kromer in einer virtuellen Botschaft. "Und deswegen ist es für uns der richtige Schritt gewesen."
Nun soll der sportliche Schritt folgen. Und klar: Deutschland geht als EM-Vierter auf dem Papier als Favorit in das Turnier. Kromer wollte nicht von einer Pflicht-Quali sprechen, "aber wir werden von einer großen Enttäuschung sprechen, wenn wir die Qualifikation nicht erreichen". Man nehme die Rolle als Favorit an, betonte er: "Olympia ist ein Riesenziel für uns als Verband. Und da sehe ich uns auch in einer Rolle, dass wir das mit breiter Brust auch so formulieren dürfen."
Ein "Selbstläufer" sei die Quali nicht, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann der "Bild"-Zeitung, meinte aber auch: "Wir können uns jetzt auch nicht kleiner machen, als wir sind. Bei allem Respekt vor den Gegnern, aber bei einem Turnier mit Algerien, Kroatien und Österreich und noch dazu mit Heimvorteil, da müssen wir mindestens Zweiter werden. Das muss einfach der Anspruch sein, zumal mit den Zuschauern im Rücken. Das müssen wir schaffen."
Es gibt keinen Plan B
Trotzdem bleibt es eine seltsame Konstellation. Für die es übrigens keinen Plan B gibt, einen potenziellen Gislason-Nachfolger hat man nicht in der Hinterhand. Eine entsprechende Frage nach dem Plan B verneinte Kromer. Doch Gislason hat mehr als einmal bewiesen, dass er mit Hindernissen und Herausforderungen umgehen kann, seit er 2020 das Amt übernommen und einen Umbruch eingeleitet hat.
"Er hat ganz breite Schultern, steht für die Mannschaft ein und nimmt so auch Druck von ihr", sagte Ex-Weltmeister Johannes Bitter im Gespräch mit unserer Redaktion: "Er hat gezeigt, dass er mutige Entscheidungen trifft, auch junge Leute einzubauen. Deshalb glaube ich auch, dass er der Trainer sein kann, der in den nächsten Jahren mit dieser Mannschaft weiter Erfolg hat."
Die Mannschaft hat die EM und die Erkenntnisse im Vorfeld der Quali aufgearbeitet, scheint bereit zu sein für die Aufgabe. Darauf ist sie fokussiert, Nebengeräusche versucht sie auszublenden. Über die Bundestrainer-Konstellation sprechen, wollte zum Beispiel Christoph Steinert im Vorfeld nicht groß. "Es werden sich beide Parteien was dabei gedacht haben, das genauso auszuhandeln. Deswegen ist es für uns nicht anders als sonst auch", sagte Steinert.
Für Gislason spreche auch seine massive Erfahrung, die er vor allem den jungen Spielern mitgeben könne, sagte Torhüter
Die Mannschaft kümmert sich um ihr Ding, wird sich für den beliebten Trainer aber definitiv zerreißen. Nicht nur, um seinen Vertrag zu verlängern, sondern auch, um sich selbst den Olympia-Traum zu erfüllen. Für zwölf der 17 Spieler im Aufgebot wäre es das erste Mal. "Die EM im eigenen Land war einer meiner Kindheitsträume", sagt Lukas Mertens, "aber für jeden Sportler ist es das Größte, zu Olympia fahren zu dürfen, die Chance hast du nur alle vier Jahre".
Österreich dürfte der Knackpunkt werden
Algerien sollte zum Auftakt kein Hindernis sein, die Entscheidung dürfte dann gegen Kroatien und Österreich fallen. Was man nicht vergessen darf: Gegen Österreich gab es bei der EM ein Unentschieden, in der sportlich bedeutungslosen Partie gegen die Kroaten gar eine deutliche Pleite. "Kroatien und Deutschland sind sicherlich auf Augenhöhe. Das wird ein 50:50-Spiel. Österreich hat bei der EM ein Stück weit über den eigenen Möglichkeiten gespielt. Dass man dieses Spiel gewinnt, wird sicher der Knackpunkt sein", sagte Bitter. Nicht nur für Olympia, sondern auch für Gislason.
Verwendete Quellen
- bild.de: DHB-Boss: Scheitern verboten!
- stuttgarter-nachrichten.de: "Dagurs Einstieg bei den Kroaten macht die Sache gefährlicher"
- handball-world.news: Steinert: "Je mehr Abstand zur EM, desto begeisterter bin ich"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.