Beim einseitigen Turnierauftakt der DFB-Mannschaft gegen Marokko muss das ZDF journalistisch aus wenig viel machen. Heraus kommt eine solide Sendung mit zu vielen Plattitüden und einem echten Highlight aus dem Studio. Claudia Neumanns Kommentar ist derweil nicht immer WM-würdig.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Matthias Kohlmaier dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

So sehr die Debatte um die "One Love"-Binde für die Männer-Nationalmannschaft bei der Winter-WM 2022 in Katar belastend war, so sehr war sie ein Geschenk für die Berichterstattung: Eine Kontroverse rund um ein Fußballspiel, bei dem man ja doch vorher, zwischendrin und danach selten mehr sagen kann als das, was die Fans ohnehin mit eigenen Augen sehen konnten und können, bietet für Journalistinnen und Journalisten immer etwas Würze. So gesehen ist die Situation aus journalistischer Sicht vor dem WM-Auftakt der deutschen Frauen bei der WM eher: fad.

Mehr News zur Fußball-WM

Wobei, etwas Spannung hat es doch gegeben: Die Marokkanerin Nouhaila Benzina spielt mit Hijab und hätte damit bei diesem Turnier für ein Novum sorgen können. Weil Benzina aber nicht in Marokkos Startelf stand und beim klaren 6:0-Sieg der Deutschen auch nicht eingewechselt wurde, blieb es bei ein paar warmen Worten zur Sache in der Vorberichterstattung des ZDF um Moderator Sven Voss und die geladenen Expertinnen Kathrin Lehmann und Giulia Gwinn.

Im Studio bleibt es bei verbalen Querpässchen

Mangels anderer potenzieller Aufreger spielte sich das Trio im Studio vor dem Spiel also ein paar wenig aufregende verbale Querpässchen zu. Vom Papier her sei das ein eindeutiges Spiel, wusste Voss zu berichten, und: "Ein tolles Stadion, es soll ausverkauft sein!" Gwinn hoffte derweil, man werde hinten sicher stehen und vorne viele Tore erzielen. Außerdem möge bitte bei den DFB-Damen im Bedarfsfall "die Eine für die Andere einstehen".

In dieses austauschbare Geplänkel brachte einzig Lehmann gelegentlich Esprit. Nachdem Voss das erwartete "klare Spiel" mit Weltranglistenposition 72 der Nordafrikanerinnen begründet hatte, konterte sie trocken: "Die Weltrangliste, das ist so ein Hin- und Hergeschiebe – das lassen wir mal beiseite!" Und auch das absolute Highlight in dieser Runde sollte während der Halbzeitanalyse Lehmann liefern – aber dazu später mehr.

Kommentatorin Claudia Neumann liegt ein paar Mal zu oft daneben

Denn Fußball wurde ja auch noch gespielt und musste daher kommentiert werden. Das übernahm Claudia Neumann, Pionierin unter den Frauen der Branche. Zuletzt durfte sie das Champions-League-Endspiel der Männer begleiten. Dass über Neumanns Auftritte in den sozialen Medien grundsätzlich misogyne Häme in rauen Mengen ausgekübelt wird, ist leider keine Nachricht mehr. Für viele Herrschaften ist eine Frau im vermeintlichen Männerparadies Fußball offenbar weiterhin ein Affront.

Daher von der unberechtigten direkt zur berechtigen Kritik, denn: Neumanns Kommentar im Spiel Deutschland gegen Marokko war zumindest phasenweise nicht WM-würdig. Dass sie vor Anpfiff von "zweieinhalb" deutschen Fans im Stadion spricht, aber zweieinhalb Tausend meint: geschenkt. Dass sie öde Spielphasen mit öden Feststellungen – "Hier in Australien ist ja Winter, haben Sie aber zu Hause sicher mitbekommen" – füllt: vermeidbar. Wenn es aber ums Spiel geht, hätte man sich an mehreren Stellen ein besseres Auge von Neumann gewünscht.

Abseitsstellungen, teils klare, erkennt sie mehrfach weder in Realgeschwindigkeit, noch in der folgenden Zeitlupe. Als eine Marokkanerin mit dem Kopf mit einer Teamkollegin zusammenrauscht und benommen liegenbleibt, ist für Neumann klar: "Da ist sie umgeknickt." Ganz unabhängig vom Geschlecht der Kommentierenden ist folgende Beschreibung der Schiedsrichterin sicher auch nicht ratsam: "Sie ist Mutter von drei Kindern, drei Mädchen: Sie weiß, wie man mit jungen Frauen umgeht!" Da herrscht sprachliche Glatteisgefahr.

Und dann tappt Neumann noch in die wohl populärste Kommentatorenfalle: Wer eine Entwicklung als Fakt einordnet, das Spiel aber als Argument fürs Gegenteil taugt, steht doof da. Neumann hatte das stark verbesserte Spiel von Torhüterinnen im Frauenfußball hervorgehoben: Da gäbe es "kaum noch Irrwege und Patschehändchen". Auch wenn sie direkt anfügte, das natürlich nicht despektierlich gemeint zu haben, schließlich habe ihr das die frühere DFB-Torfrau Nadine Angerer bestätigt, sah es auf dem Platz anders aus. Da lief die marokkanische Torhüterin Khadija Er-Rmichi vor dem ersten Gegentor unter einer Flanke durch (Irrwege), faustete beim fünften DFB-Tor die Kugel der eigenen Verteidigerin an den Hinterkopf, von wo sie über Umwege per Eigentor im Netz landete (Patschehändchen) und ließ vor Tor sechs einen Distanzschuss nach vorn abklatschen, Lea Schüller staubte ab.

Voller Körpereinsatz im ZDF-Studio

Damit aber zurück zu besseren Leistungen abseits des Platzes, zurück zur forschen Kathrin Lehmann im ZDF-Studio: Die ist von den drei Anwesenden nicht nur die mit der geringsten Phrasenschweinaussagendichte, sie ist sich auch für Körpereinsatz nicht zu schade. Alexandra Popps zweites Tor, mit spektakulärer Verrenkung als Flugkopfball erzielt, stellt Lehmann tatsächlich im Studio nach – und wirft sich mit Nachdruck auf die Erde. "Da ist immer noch Nasenblut auf dem Boden", witzelt Voss später. Nach viel Erwartbarem in der Analyse nach dem Spiel sowie in den wie gewöhnlich weitgehend inhaltlosen Interviews nach Abpfiff bleibt Lehmanns Einlage damit definitiv das Highlight aus dem Studio.

Lesen Sie auch: Lina Magull: "Nicht übertreiben!" - Deutschland bleibt nach Auftaktsieg vorsichtig

Kurzum: Die deutsche Nationalelf ist stark ins Turnier gestartet, das ZDF hat um ein einseitiges Fußballspiel ohne Kontroversen im Umfeld eine wenig aufregende Sendung gebaut. Das kann man den Mainzern nur bedingt vorwerfen, journalistisch lässt sich aus wenig eben nicht viel machen. Wenn das zweite DFB-Gruppenspiel gegen Kolumbien am kommenden Sonntag ansteht, liegt die Kommentatorenlatte nach Neumanns Leistung für die dann übertragende ARD allerdings nicht besonders hoch.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.