Der Hype um die deutsche Frauen-Nationalmannschaft ist groß: Fast sechs Millionen TV-Zuschauer wollten Alexandra Popps WM-Auftakt gegen Marokko (6:0) sehen. Doch vor dem zweiten Gruppenspiel am Sonntag gegen Kolumbien muss man feststellen: ARD und ZDF sollten noch mehr tun.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Julian Reichelt, der ehemalige Bild-Chefredakteur, hat sich diese Woche zu einer kühnen These zum Frauenfußball hinreißen lassen, er twitterte:

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Niemand interessiert sich ernsthaft für Frauenfußball. Bleiben wir bei den Fakten und schauen genauer hin. Der Branchendienst DWDL schreibt:

  • 5,61 Millionen Menschen sahen im ZDF den deutschen WM-Auftakt gegen Marokko (6:0) - und das ab 10.30 Uhr. Marktanteil: 60,4 Prozent.
  • Die WM-Spiele vorher und nachher, das eine ab 8 Uhr, das andere ab 13 Uhr, verzeichneten Marktanteile von 27 Prozent.

Mit zwei Bemerkungen ordnete Sports Illustrated die TV-Quote der deutschen Mannschaft ein, Dirk Adam schreibt:

  • Der aktuelle Marktanteil lag nur knapp unter dem des EM-Finales 2022 gegen England (64,8 Prozent) und
  • höher als der langjährige Rekord vom WM-Viertelfinale 2011 gegen Japan (59,3 Prozent) damals auf deutschem Boden.

Das alles sind Werte, die durchaus mit den TV-Quoten beim Männerfußball mithalten können. Bild schreibt:

  • Beim Ukraine-Länderspiel (12. Juni) schauten 4,57 Millionen Menschen im ZDF zu - mehr als eine Million weniger, und das um 18 Uhr.
  • Auch beim Polen-Länderspiel (16. Juni) fiel die Zuschauerzahl in der ARD nur knapp höher aus (5,92 Millionen), und das zur Prime Time.

Die These, dass sich "niemand ernsthaft für Frauenfußball interessiert", ist nicht zu halten und falsch. Niemand hieße ja: null. 5,61 Millionen sind nicht null. Folglich können die Übertragungsrechte nicht "wertlos" sein, wie Reichelt suggeriert. Drei von fünf Fernsehzuschauern schauten Frauenfußball. Über den Täuschungsversuch rettet Julian Reichelt auch nicht sein geliebtes Stilmittel der Übertreibung hinweg. Gefühle ersetzen keine Fakten.

Richtig ist vielmehr, was Kollege Uwe Vorkötter an der ARD/ZDF-Berichterstattung zu kritisieren hat, er schreibt bei LinkedIn:

"Muss das sein? #ARD und #ZDF haben sich die Fernsehrechte gesichert und sie übertragen alle 64 Partien live, das ist super. Aber live heißt: morgens, mal ab 7 Uhr, mal um 9, am Mittag ist Abpfiff. Danach gibt es noch ein dürres Ergebnis-Update in der #Tagesschau, eine schnelle Zusammenfassung im #heute-journal.

Was es nicht gibt: ein #Sportschau- oder #Sportstudio-Format am Abend (…) Also 20 Minuten oder eine halbe Stunde Fußball-WM nach der heute-Sendung oder nach der Tagesschau. Statt #Soko Stuttgart, #Soko Wismar, #Soko Castrop-Rauxel. Der #Provinzkrimi heute Abend im Ersten könnte etwas später beginnen, der #Kroatienkrimi morgen auch.

Das ist der springende Punkt: Mit den medialen Instrumenten, wie man sie vom Männerfußball kennt, wäre die Frauen-WM in der Öffentlichkeit noch präsenter. Zumindest so präsent, dass die TV-Quoten noch höher wären. Und sogar Julian Reichelt seine verrutschte These - womöglich - korrigierte.

Verwendete Quellen:

  • Twitter-Profil (Stand: 28. Juli 2023) von Julian Reichelt
  • LinkedIn-Profil (Stand: 28. Juli 2023) von Uwe Vorkötter
  • dwdl.de: Deutlich mehr als 5 Mio. sehen deutsche Fußball-Frauen siegen
  • sportsillustrated.de: Super TV-Quote! Millionen-Publikum sieht DFB-Frauen bei Kantersieg gegen Marokko
  • bild.de: TV-Quoten von unseren WM-Mädels da
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