Seit Juni 2023 ist Konrad Fünfstück Nationaltrainer Liechtensteins. In dieser Zeit hat sich bei dem aktuell 200. der Weltrangliste eine Menge getan. Darüber, aber auch über Zweifel vor dem Amtsantritt, seine Philosophie, Herausforderungen und Ziele haben wir mit dem 44-Jährigen gesprochen .
Konrad Fünfstück, Sie trainieren Liechtenstein, den aktuell 200. der FIFA-Weltrangliste. Dahinter folgen nur noch zehn weitere Teams. Was hat Sie an dem Job gereizt?
Konrad Fünfstück: Die Weltrangliste ist ein spezielles Thema. Die Frage ist nämlich, wie aussagekräftig sie überhaupt ist. Liechtenstein spielt in der stärksten Konföderation, der UEFA, mit. Es ist schwierig für Nationen wie San Marino, Gibraltar oder Liechtenstein, große Sprünge zu machen, wenn man vorwiegend gegen Nationen Europas spielt, die auch bei den großen Turnieren dabei sind. Deshalb ist der Vergleich zu anderen Konföderationen schwierig. Aber ja: Im Moment ist es der 200. Platz.
Trotzdem war es reizvoll für Sie, als Nationaltrainer anzufangen…
Ich war über 20 Jahre lang im Vereinsfußball tätig. Und als die Anfrage kam, eine von 53 Nationalmannschaften in Europa zu trainieren, war der Gedanke reizvoll, sich international mit so einem kleinen Verband gegen die großen Nationen messen zu können und zu dürfen.
Sie haben bei Werder Bremen gearbeitet, dazu auch beim 1. FC Kaiserslautern. Was sind die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Liechtenstein, von den offensichtlichen mal abgesehen?
Der große Unterschied ist, dass ich es bislang ausschließlich mit Profispielern zu tun hatte. Hier ist der Reiz, dass es eine Mischung aus Profispielern und semiprofessionellen Spielern ist, die im Alltag ihrem 'normalen' Hauptjob nachgehen.
"Eine klare Spielphilosophie entwickelt"
Wie muss man es als Nationaltrainer angehen, wenn man diese Mischung hat?
Wir haben, seitdem ich hier bin, eine klare Spielphilosophie entwickelt. Und den Semiprofis bieten wir individuelles Training außerhalb der Lehrgänge an, um ihnen möglichst viel Input zu geben. Das ziehen wir komplett durch bis in den Nachwuchsbereich, zum Teil mit guten Erfolgen. Es sind viele gute Dinge, die wir auf den Weg gebracht haben. Wichtig ist, und da ist es egal, ob du mit Profis oder mit Semiprofis spielst, dass du den Spielern eine Idee vermittelst, wie du spielen willst, und dass man daraus etwas Gutes macht.
Hat Sie in Liechtenstein etwas überrascht?
Die Professionalität des Verbandes. Es ist ein Verband, der sehr viel vorhat, gerade in der Ausbildung der Spieler. Der Verband baut einen Campus für über 30 Millionen Franken, der hinsichtlich Infrastruktur und Ausstattung hervorragend ist. Das Land ist sehr gut strukturiert mit einer tollen Sportförderung, mit vielen engagierten, ambitionierten Mitarbeitern und guten Rahmenbedingungen.
Gibt es vielleicht auch irgendwas, das vielleicht sogar besser läuft als bei Ihren bisherigen Stationen?
In so einem kleinen Land hat man kurze Wege. Als Nationaltrainer bin ich mit allen Vereinen in einem schnellen Austausch und gut vernetzt. Das ist sicherlich ein Vorteil im Vergleich zu größeren Organisationen oder Strukturen.
Wie ist der Fußball in Liechtenstein grundsätzlich aufgestellt? Ist es von Vorteil, dass die Vereine in den Schweizer Ligen mitspielen?
Liechtenstein ist zu klein für eine eigene Liga, es gibt sieben Vereine. Aber die Spieler und die Vereine profitieren davon, dass sie sich in der Schweiz mit anderen Mannschaften auf einem höheren Spielniveau messen können. Davon profitiert am Ende auch die Nationalmannschaft.
Sie hatten die Infrastruktur erwähnt, an der der Verband arbeitet. Was sind denn die strukturellen und sportlichen Ziele, die man sich für die Zukunft setzt?
Wir wollen versuchen, möglichst vielen Spielern im Land eine gute, professionelle Fußballausbildung zu gewährleisten. Wir möchten noch mehr Spieler haben, die unter Profibedingungen arbeiten können, die den Sprung zu einem Profiverein schaffen, damit sich die Anzahl der semiprofessionellen Fußballer verringert. Aber das ist ein Prozess. Deswegen haben wir ein neues Konzept der Talentförderung aufgebaut, mit dem wir knapp 20 Spieler sehr intensiv fördern, um sie auf die nächste Stufe zu bringen. Von diesen Spielern sind bereits zehn in der A-Mannschaft zum Einsatz gekommen.
Auf Schadensbegrenzung getrimmt
Sie haben bei Ihrem Antritt gesagt, dass Sie den Liechtensteiner Fußball attraktiver machen wollen. Wie gehen Sie das an?
In der Vergangenheit hat sich Lichtenstein überwiegend darüber definiert, die Rolle des Verteidigers komplett anzunehmen. Die Mannschaft hat versucht, auf Schadensbegrenzung zu spielen. Unser Ziel und unser Anspruch muss es sein, dass wir Phasen im Spiel bekommen, in denen wir selbst mitspielen, egal gegen wen. Natürlich muss die Basis die gute Defensive sein. Du brauchst eine gute Struktur, du brauchst eine gute Ordnung. Aber im Fußball geht es nicht nur um Verteidigung, es geht auch darum, selbst etwas zu kreieren.
Sind Sie zufrieden, wie die Mannschaft das annimmt und umsetzt?
Wir sind auf dem Weg, dass wir eines der erfolgreichsten Jahre überhaupt im Liechtensteiner Fußball schreiben, was die Punkte-Ausbeute angeht. Sieben sind es bislang, und wir haben gegen Lettland ein Tor geschossen, gegen Gibraltar zwei Tore, gegen Hongkong eines und zudem gewonnen. Für unser kleines Land ist das ein Riesenerfolg. Aber auch in den Nachwuchsmannschaften wird die Spielphilosophie gut umgesetzt. Auch hier werden die Spiele enger und die Ergebnisse knapper. Das sind alles kleine Bausteine, die zeigen, dass wir etwas auf den Weg gebracht haben.
Was ist der Reiz an dieser Aufgabe?
Hohe Niederlagen sind inzwischen die Ausnahme, Siege aber auch. Ist es schwierig, das Team immer wieder aufzubauen und zu motivieren, oder hat die Mannschaft ihre Rolle längst gefunden und kann das einschätzen?
Die Frage habe ich mir anfangs auch gestellt. Ich habe die Mannschaft im letzten Spiel vor meinem Amtsantritt beobachtet, als sie gegen Island sieben Tore bekommen haben. Da habe ich mich gefragt: Was ist das Ziel? Was kannst du erreichen? Was ist der Reiz an dieser Aufgabe? Das Ziel ist, die Grenzen im Bereich des Möglichen zu verschieben. Wir müssen realistisch sein: Wir werden uns für kein großes Turnier qualifizieren können. Auch Ausfälle sind anders zu kompensieren. Wir sind das sechstkleinste Land der Welt. Und trotzdem ist es der besondere Reiz, diese Herausforderung immer wieder anzunehmen, diese Rolle des absoluten Außenseiters, diese Rolle der Mannschaft, der keiner etwas zutraut.
Im Juni haben Sie mit Ihrer Mannschaft 0:0 in Rumänien gespielt. Wenn man bei der Weltrangliste bleibt, immerhin beim aktuell 43..
Das war unglaublich, wie sich ein Land, das so groß ist wie ein Stadtteil von Bukarest, fußballerisch so wehren kann. Und das nicht nur mit Glück, sondern mit einer guten Leistung. Das sind Momente, die die Jungs stolz machen und ihnen Bestätigung geben für die nächsten Aufgaben. Wenn du die Aufgaben realistisch angehst, kennst du deine Rolle in Europa. Ich betone bewusst Europa, weil ich glaube, dass wir gegen Mannschaften aus anderen Konföderationen eine andere Rolle spielen können. Aber wenn du die Partien als ein Pokalspiel mit einem Klassenunterschied annimmst, kannst du viele positive Dinge erleben. Wir haben uns Respekt und Anerkennung erarbeitet.
So tickt das Team
Schaut man bei "Transfermarkt.de", hat Abwehrspieler Lars Traber mit 250.000 Euro den höchsten Marktwert. Wie setzt sich der Kader zusammen?
Traber ist in Vaduz eine absolute Führungskraft. Sandro Wieser hat zum Beispiel schon für Hoffenheim in der Bundesliga gespielt. Torhüter Benjamin Büchel hat in England gespielt. Du hast mit Marcel Büchel einen Spieler, der in Italien bei Juventus war. Nicolas Hasler war in der MLS. Dennis Salanovic ist auch schon viel herumgekommen, kickt im Moment in Kanada. Wir haben einige, die die Mannschaft führen und die Achse bilden. Trotzdem freuen wir uns darüber, dass wir einen Umbruch eingeleitet haben mit den zehn Spielern, die ihr Debüt feiern konnten. Wie Felix Oberwaditzer, der einen Profivertrag bei der SCR Altach aus Österreich bekommen hat. Das sind kleine Dinge, die positiv stimmen.
Zuletzt gab es den Sieg gegen Hongkong, dazu auch andere Achtungserfolge. Wie muss man sich Erwartungshaltung und Begeisterung in Liechtenstein vorstellen?
Wenn du vier Jahre lang nicht gewonnen hast, ist das für alle Beteiligten ein besonderer Moment gewesen. Es ist eine große Freude da bei solchen Ergebnissen, aber auch ein gesunder Realismus und viel Demut. Es sind immer Gegner, die deutlich größer sind, die viel mehr Möglichkeiten haben. Deswegen ist uns sehr bewusst, dass wir optimal arbeiten müssen und Glück brauchen, damit wir auch mehrere solcher Erfolgserlebnisse haben können.
San Marino hat allerdings in der Nations League gegen Ihr Team zuletzt einen historischen Sieg gefeiert. Wie bitter ist das?
Sehr schade, weil es in unserer Gruppe alles 50:50-Spiele bei Gegnern wie Gibraltar und San Marino sind. Da entscheiden Kleinigkeiten, ein Tor, wo es schwierig wird für die anderen, das zu egalisieren. In San Marino sind wir in Führung gegangen, das Tor wurde aber wegen einer knappen Abseitsstellung nicht gegeben. Und ich behaupte: Wenn wir in Führung gehen, dann gewinnen wir das Spiel wahrscheinlich.
In der Gruppe gab es bislang zwei Unentschieden und eine Niederlage. Wie zufrieden sind Sie mit dem bisherigen Abschneiden?
Das Ziel des Verbandes war, dass man besser sein wollte als beim letzten Mal. Letztes Mal waren es null Punkte, jetzt sind es zwei. Die Erwartungen haben wir übertroffen. Jetzt haben wir im letzten Spiel gegen San Marino ein kleines Endspiel um Platz zwei, der zur Relegations-Teilnahme um den Aufstieg berechtigen würde.
Chance auf den Aufstieg
Für wie realistisch halten Sie Platz zwei?
Es ist eine Chance. Es ist ein Spiel, und unser Ziel ist es, ein Tor mehr zu schießen als San Marino. Aber wir denken immer von Spiel zu Spiel, und vor San Marino kommt erst das Freundschaftsspiel auf Malta. Das war in der Vergangenheit immer eine schwierige Herausforderung. Wir haben jetzt die Gelegenheit, es besser zu machen. Wir wollen eine Mannschaft auf den Platz stellen, die sich mit Malta messen kann. Und danach kommt San Marino.
Sollte der Aufstieg in die Liga C gelingen - wie wäre der Erfolg einzustufen?
Das wäre eine Riesengeschichte. Man muss immer schauen, wo wir herkommen. Bei dem 0:7 gegen Island war der Verband am Tiefpunkt, man war im Grunde nicht mehr adäquat konkurrenzfähig. Und wenn du jetzt ein kleines Endspiel um Platz zwei und in diesem Jahr sieben Punkte geholt hast, eines der erfolgreichsten Jahre in der 40-jährigen Verbandsgeschichte hingelegt hast, dann sind alle sehr glücklich. Es sind viele Dinge aufgegangen.
Über den Gesprächspartner:
- Konrad Fünfstück ist seit 1. Juni 2023 Nationaltrainer in Liechtenstein. Zuvor war der 44-Jährige unter anderem Trainer des 1. FC Kaiserslautern und der U23 von Werder Bremen sowie in der Schweiz beim FC Wil.
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