Deutschland zeigte im Halbfinale in der UEFA Women's Nations League gegen Frankreich zwei unterschiedliche Halbzeiten, am Ende steht eine 1:2 Niederlage gegen die Gastgeberinnen. Weil im Parallelspiel die Niederlande mit 0:3 in Spanien verloren, gibt es die letzte Chance auf ein Ticket für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Heerenveen. Für die Zukunft zu denken geben sollte, dass viel Arbeit an Details nötig ist.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Annika Becker (FRÜF) sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Beide Trainer hatten sich auf eine Doppelspitze festgelegt. Horst Hrubesch schickte für Deutschland Alexandra Popp und Lea Schüller ins Rennen, Frankreichs Coach Hervé Renard vertraute auf Marie-Antoinette Katoto und Eugénie Le Sommer. Auch die Spielsysteme waren sich auf dem Papier ähnlich: Popp und Le Sommer sollten ihre Position jeweils hängend interpretieren, Schüller und Katoto blieben eher vorn. Beide Teams agierten aus einem 4-4-2.

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Hervé Renard legt mit all seinen Teams Wert auf Ballbesitz, den hatten die Französinnen in dieser Partie nicht im gewohnten Ausmaß. In der ersten Halbzeit war der Wert fast ausgeglichen. Trotzdem war zu sehen, dass das französische Spiel bei aller Konterstärke mit schnellen Spielerinnen wie Kadidiatou Diani darauf ausgelegt ist, mit dem Ball zu spielen. Denn die Französinnen halten eher kurze Abstände zueinander, gehen dem Ball entgegen und spielen überwiegend flach – und setzten lange Bälle und Flanken dann sehr gezielt ein.

Im Gegensatz dazu hielten die deutschen Spielerinnen in der ersten Hälfte größere Abstände zueinander und versuchten eher, lange Bälle in die Tiefe zu schlagen. Aus dem Aufwärmprogramm vor dem Spiel wurde deutlich, dass ein großer Teil des Plans der DFB-Elf war, Flanken in den Sechzehner zu spielen und damit nicht nur die beiden Stürmerinnen einzusetzen, sondern auch eine der beiden zentrale Mittelfeldspielerinnen Oberdorf oder Nüsken. Dazu kam es aber kaum.

Frankreich legt den Fokus auf den eigenen rechten Flügel

Deutschland ließ sich die ersten fünfzehn bis zwanzig Minuten recht tief in die eigene Hälfte drücken, die Französinnen konnten ihr Passspiel aufziehen und hatten sich Deutschlands linke Seite mit Sarai Linder als Ziel ausgesucht. Eugénie Le Sommer ließ sich immer wieder auf den rechten französischen Flügel fallen und unterstützte Diani, sowie die weit vorgerückte Rechtsverteidigerin Élisa de Almeida. Die Französinnen hatten häufig Überzahl auf dieser Seite, Deutschlands Defensive wirkte einige Male wacklig. Bei Ballgewinn war der Weg zum gegnerischen Tor weit, weil die DFB-Frauen so tief standen.

Das änderte sich ungefähr ab der Hälfte der ersten Halbzeit, die Kette rückte etwas höher und Deutschland kam besser ins Spiel. Auffällig waren auch die Eckstoß-Varianten: In der 15. Minute sprintete Popp dem Ball diagonal entgegen ans kurze Fünfmeter-Eck, setzte ihren Kopfball aber neben das Tor – das blieb bis zu Popps Aluminium-Treffer in der 72. Minute die beste deutsche Chance. In einer anderen Ecken-Variante postierte sich ein Pulk am langen Fünfmeter-Eck und wurde direkt dort angespielt. Das sollte Peyraud-Magnins Probleme mit hohen Bällen ausnutzen, wurde aber kaum gefährlich.

Auch die Französinnen machten kein perfektes Spiel und brauchten zwei ruhende Bälle für die 2:0-Pausenführung. Nach einem Freistoß klärte Schüller per Kopf zu kurz direkt vor die Füße der völlig freien Diani im Rückraum, die Merle Frohms keine Chance ließ (41.). Dann traf Karchaoui per Elfmeter (45.+4). Vorher konnte Hegering ein Zuspiel auf Le Sommer nicht mehr verhindern, die auf Grace Geyoro im Strafraum spielte. Lena Oberdorfs Grätsche kam zu spät. Deutschland hatte in der ersten Hälfte drei Schussversuche, keiner davon ging aufs gegnerische Tor. Bei den Französinnen waren es drei von acht.

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Reaktion nach der Pause reicht nicht aus

Horst Hrubesch musste reagieren und nahm in der Pause mehrere Änderungen vor. Marina Hegering musste aufgrund eines Cuts ausgewechselt werden, Lena Oberdorf rückte für sie in die Innenverteidigung. Klara Bühl ging für Svenja Huth vom linken auf den rechten Flügel und machte auf ihrer Seite Platz für die eingewechselte Jule Brand. Außerdem ging Lea Schüller vom Platz, Sydney Lohmann sowie Sara Däbritz kamen in die Partie. Deutschlands Formation wurde damit eher zu einem 4-3-3, es wurde mehr durchs Zentrum gespielt, bevor der Pass auf den Flügel und die Flanke kam, es gab mehr Bewegung im Spiel durch kürzere Abstände und Freilaufbewegungen.

Das führte dazu, dass sich die statistischen Metriken zu Gunsten von Deutschland verschoben. Aus den 51 Prozent Ballbesitz der ersten Hälfte wurden im Lauf der zweiten Halbzeit 67 Prozent. Zudem wurden elf Torschüsse abgegeben, aber nur zwei davon aufs französische Tor. Das lag einerseits an der starken französischen Defensive – die bereits erwähnte de Almeida sowie Innenverteidigerin Maëlle Lakrar sind hier besonders hervorzuheben – aber auch daran, dass zu viel von den individuellen Qualitäten der Spielerinnen abzuhängen schien.

Es ist völlig klar, dass im Fußball immer auch improvisiert wird und die Fähigkeiten und Vorlieben einzelner einen Unterschied machen können. Zum Beispiel ist es für Sydney Lohmann unabhängig vom Spielstand völlig normal, sich viel freizulaufen und dabei sowohl Gegnerinnen wie manchmal auch das eigene Team zu überraschen. Deswegen ist sie häufig so ein belebendes Element.

Deutschlands Angriffe wirkten unkoordiniert

Es fehlte aber ein Äquivalent zu der französischen Idee, Überzahl auf dem rechten Flügel zu haben, die sehr klar immer wieder nach dem selben Muster verfolgt wurde. Zu oft wirkten die Angriffe Deutschlands unkoordiniert, waren positiv auffällige Szenen eigentlich eine Einzelleistung – auch die gehören zum Fußball dazu, aber individuelle Klasse allein reicht nicht, vor allem nicht, wenn die Gegnerinnen so stark im Verbund verteidigen. Nicht von ungefähr schoss auch Deutschland den Anschlusstreffer per Elfmeter. Giulia Gwinn verwandelte, nachdem der VAR ein Handspiel gegen einen Kopfball von Oberdorf gesehen hatte (82.).

Mit Blick auf das kurz bevorstehende Spiel in den Niederlanden, der wirklich allerletzten Chance auf eine Qualifikation für Olympia, betonten die meisten Spielerinnen und auch Horst Hrubesch nach dem Spiel die für sie positiven Aspekte. Sicherlich gab es im letzten halben Jahr noch ganz andere Auftritte und wer einem spielerischen Ansatz zugeneigt ist, mag vielleicht sogar sagen: "Na, so geht's doch auch!" Für eine nachhaltige Entwicklung bräuchte es aber mehr, als nur einen anderen Spielerinnen-Typus aufzustellen.

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