Borussia Mönchengladbachs Scheitern in der Gruppenhase der Europa League ist schmerzhaft, es eröffnet aber auch ein paar Möglichkeiten im Kampf um den Titel in der Bundesliga.

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Am Ende war es die Winzigkeit von vielleicht ein paar Zentimetern, ein Kopfstoß an den linken Pfosten und nicht ins Tor. Man könnte sagen: Das Glück hat Borussia Mönchengladbach ein bisschen gefehlt. Man könnte aber auch sagen: Vom Glück war einfach nichts mehr da. In der Europa League stolperte der in der Bundesliga so souveräne Tabellenführer förmlich von einem Spieltag zum nächsten.

Mit nur fünf Treffern und einem negativen Torverhältnis schaffte es Marco Roses Team vor dem letzten Spieltag an die Spitze der Gruppe J. Die bis dahin erzielten Ergebnisse zeugten jedoch nicht von Souveränität, sondern übertünchten, dass die Borussia ohne das sprichwörtliche Glück schon lange vor der Partie gegen Istanbul Basaksehir raus gewesen wäre.

Borussia Mönchengladbach: "Unser Glück war aufgebraucht"

Im Hinspiel in Istanbul, in Rom und danach zu Hause gegen die Roma schnappte sich Gladbach in der Nachspielzeit erst noch wichtige Zähler, einmal sogar durch einen hanebüchenen Handelfmeter. Das Schicksal meinte es ziemlich gut mit der Mannschaft, die dann am Donnerstagnacht kurz vor elf Uhr ihren Traum von der K.o.-Phase doch noch begraben musste: Durch ein Tor der Türken in der Nachspielzeit - und weil Marcus Thuram quasi mit der letzten Aktion des Spiels nur den Pfosten anvisierte.

"Im Endeffekt wäre es vielleicht gar nicht verdient gewesen", sagte Stefan Lainer bei "DAZN", und man muss den Österreicher für diese sehr realistische Einschätzung so kurz nach dem Spiel loben. "Wir hatten in der Gruppenphase das eine oder andere Mal auch Glück, als wir von der ersten Minute an nicht wirklich bei der Sache waren. Am Ende war das Glück in der Gruppenphase vielleicht schon aufgebraucht. Und deswegen sind wir ausgeschieden."

Die Borussia ist auch deswegen ausgeschieden, weil die Diskrepanz zwischen den Leistungen der Mannschaft in der Bundesliga (Tabellenführer) und an diesen Donnerstagabenden in der Europa League (ausgeschieden auf Platz drei) enorm war. Roses Mannschaft vermochte allenfalls im Heimspiel gegen die Roma, so etwas wie Europapokal-Feeling zu erzeugen. Die restlichen Begegnungen waren schwere fußballerische Kost, mit dem Tiefpunkt des 0:4 zu Hause gegen das österreichische Leichtgewicht aus Wolfsberg.

Ausscheiden als Chance?

Nach dem zweiten Ausscheiden im zweiten Pokalwettbewerb - die Borussia war bereits vor einigen Wochen im DFB-Pokal in Dortmund gescheitert - stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das auf die restlichen Spiele in der Meisterschaft haben könnte. Eine steil vertretene These ist ja die, dass Mannschaften mit nur einer Belastung einen deutlichen Vorsprung hätten vor jenen, die sich alle zwei Wochen noch durch irgendwelche Pokalwettbewerbe mühen müssen. In der Tat ist es so, dass Gladbach von den vermeintlichen Titelkandidaten der einzige ist, der sich ab sofort voll und ganz auf die Liga konzentrieren kann.

Die Bayern sind noch in der Champions League und im Pokal vertreten, Borussia Dortmund und RB Leipzig ebenfalls. Schalke und Leverkusen mischen auch noch im DFB-Pokal mit. Lediglich der SC Freiburg, derzeit Fünfter, hat wie Gladbach auch keine zusätzliche Belastung mehr - aber wohl auch kaum Chancen, am Ende um den Titel oder wenigstens die Champions-League-Plätze mitzuspielen.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Von jetzt an kann sich die Mannschaft jede Woche ganz gezielt auf die anstehende Bundesliga-Partie vorbereiten, es müssen keine Co-Trainer und Scouts mehr quer durch Europa geschickt werden. Bis auf die Abstellungsperiode für die Länderspiele Ende März haben Rose und sein Trainerteam ihre Spieler permanent um sich. Das ist gerade für eine Mannschaft wie die Borussia von unschätzbarem Wert.

Mittendrin in der Entwicklung

Noch immer befinden sich Trainergespann und Mannschaft in einer Art Findungsprozess. Rose wird nicht müde zu betonen, dass erst ein kleines Stück des gemeinsamen Weges gegangen ist, dass es noch unzählige Baustellen gibt und die Entwicklung der Mannschaft gerade erst begonnen hat. Da ist jede Trainingswoche pures Gold. Außerdem dürfte sich in der Endphase der Saison durch die geringere Belastung auch das Verletzungsrisiko der Spieler in Grenzen halten. Ein klein wenig erinnert das an Borussia Dortmund in der Saison 2010/11.

Auch der BVB schied damals bereits in der Gruppenphase der Europa League aus und war früh im Pokal gescheitert. Die junge Mannschaft profitierte damals von schwächelnden Bayern und von der im Frühjahr gewonnenen Zeit. Sie setzte sich durch gegen die Kontrahenten aus Leverkusen und München: Bereits Anfang März betrug Dortmunds Vorsprung auf Leverkusen zwölf Punkte, die Bayern waren sogar sagenhafte 16 Zähler zurück. Ganz so überragend wird es für die Fohlen bis Weihnachten wohl eher nicht laufen, aber die Aussicht auf kräftezehrende Europapokalnächte der Bayern, Leipziger, Dortmunder und Leverkusener, während die Borussia sich ausruhen kann, weckt Hoffnung.

Rose wird harte Entscheidungen treffen müssen

Trotz dieses veritablen Vorteils: Leicht dürfte es die Borussia nicht haben: In Gladbach gibt es schon jetzt genug Nostalgiker, die die gute alte Zeit heraufbeschwören. Die Vergleiche mit den "echten" Fohlen sind schon jetzt allgegenwärtig.

Und wenn spätestens im Frühjahr die Schwarz-Weiß-Fotos der goldenen 70er Jahre hervorgekramt werden, mit Netzer und Wimmer und Heynckes und Vogts darauf, und wenn der aktuelle Kader stets mit der Mannschaft von damals verglichen wird, dann sind das die zwar kleinen, aber vielleicht doch auch feinen Nebenkriegsschauplätze, mit denen sich die Borussia wird herumschlagen müssen. In München lächeln sie über derlei Bürden nicht einmal mehr, und in Leipzig kommen die erst gar nicht auf: Wo es keine gewachsene Geschichte gibt, kann man auch nicht mit den Helden von früher verglichen werden.

Marco Rose hätte sehr gerne im Europapokal überwintert, daraus hat der Trainer auch nie einen Hehl gemacht. Zum einen hat Rose den Wettbewerb aus seiner Zeit in Salzburg lieb gewonnen, war einmal sogar bis ins Halbfinale vorgeprescht und hätte sich nun wohl nur zu gerne mit seiner neuen Mannschaft in der K.o.-Phase einem breiten Publikum präsentiert.

Zum anderen weiß auch Rose, dass der gut besetzte Kader das eine oder andere zusätzliche Spiel durchaus vertragen hätte. Rose wird nun nämlich früher oder später das Problem bekommen, das er auch am Donnerstagabend hatte: Er wird harte Entscheidungen treffen müssen.

Wenn man etwas zu verlieren hat...

Gegen Basaksehir saß Bayern-Matchwinner Ramy Bensebaini 90 Minuten nur auf der Bank, die vermeintlichen Stammspieler Jonas Hoffmann und Laszlo Benes mussten sogar auf der Tribüne Platz nehmen. Rose hätte die Europa League noch ganz gerne gehabt, um seinen Spielern Einsatzzeiten zu geben, um sie bei Laune zu halten und eine mögliche aufkommende Unzufriedenheit dadurch besser zu moderieren. Diese Option ist nun dahin, und man darf gespannt sein, wie der Trainer den schwierigen Spagat Woche für Woche bewerkstelligen wird.

Gegen die Türken konnte man gerade in den letzten 20 Minuten auch ganz gut sehen, wo diese junge Mannschaft noch so ihre Probleme hat: Die Hierarchie ist noch nicht so gewachsen, die Führungsspieler können nicht aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpfen wie es in München, Dortmund, Leverkusen und sogar in Leipzig der Fall ist. Die Mannschaft zeigte sich gehemmt im Wissen, dass sie einen Vorsprung verteidigen muss und damit etwas zu verlieren hat.

"Irgendwann sind wir unsauber geworden, aber nicht in dramatischer Form. In einem Spiel mit dieser Konstellation merkst du, dass es trotzdem etwas unruhig wird. Das darf nichts mit dir machen", sagte Rose nach dem Spiel.

Vielleicht hält diese Konstellation - die Borussia ist an der Spitze, die Konkurrenz lauert dahinter - ja bis tief in die Rückrunde noch an. Dann wird es auch zu einer Kopfsache.

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