Der FC Bayern scheitert im DFB-Pokal am SC Freiburg. Thomas Tuchel übernimmt Probleme von Julian Nagelsmann. Auch Fragen nach den Münchner Transfers werden laut. Die Gründe für die Niederlage - eine Analyse.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Patrick Mayer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Oliver Kahn saß noch 20 Minuten nach Spielschluss in sich gekehrt auf der Tribüne der Münchner Allianz Arena. Der Vorstandsboss des FC Bayern wirkte nachdenklich, als brodle etwas in ihm. Seine Mannschaft hatte gerade das DFB-Pokal-Viertelfinale 1:2 (1:1) gegen den SC Freiburg verloren.

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FC Bayern fliegt im DFB-Pokal gegen SC Freiburg raus

Und das, obwohl der Rekordmeister nach der Demission von Ex-Coach Julian Nagelsmann und der Express-Verpflichtung von Thomas Tuchel wieder das Triple ins Spiel gebracht hatte. Trotz des 4:2 (3:0) gegen Borussia Dortmund im Bundesliga-Kracher ist dieses Ziel futsch.

Euphorisierte Breisgauer feierten dagegen den verwandelten Handelfmeter von Lucas Höler (90. Minute + 5) frenetisch, nachdem Nicolas Höfler (27.) mit einem Traumtor die Führung durch Dayot Upamecano (19.) ausgeglichen hatte.

"Ich habe einfach versucht, mich zu fokussieren, bei mir zu bleiben und ihn reinzumachen", erzählte Siegtorschütze Höler in den Katakomben der Arena unserer Redaktion zu den entscheidenden Sekunden: "Es war geplant oben links. Dass er so unter die Latte ging, war nicht geplant." Für die Münchner Niederlage gab es neben diesem Strafstoß indes vier Gründe.

1. Freiburger Gier: Christian Streich lässt seine Mannen los

Die Badener warfen alles rein. Sinnbildlich war der Anpfiff, bei dem acht SCF-Spieler auf Höhe der Mittellinie standen, und der erste Ball direkt vor den Bayern-Strafraum geschlagen wurde.

Die Freiburger überstanden insbesondere eine heftige bajuwarische Druckphase zwischen der 60. und 75. Minute. "Die zweite Halbzeit, das war wie im Handball", meinte Sportclub-Trainer Christian Streich auf der Pressekonferenz: "Trotzdem hatten wir gute Abstände. Wenn einer ausgespielt war, konnten wir immer helfen." Die Bayern hätten deshalb bei Balleroberung nicht in die Tiefe spielen können, referierte der 57-Jährige.

"Wenn ein Luci Höler oder ein Gregor (Stürmer Michael Gregoritsch, Anm. d. Red.) mit Jo Kimmich mit an den Sechzehner gelaufen sind, hat man gesehen, dass jeder das heute verteidigen wollte. Dass man gegen Bayern nicht immer höher angreift und Druck draufbekommt, ist klar. Da musst du sicher stehen", erklärte Nationalspieler und Freiburg-Kapitän Christian Günter unserer Redaktion: "Das haben wir heute hervorragend gemacht. Wir haben das bestmöglich wegverteidigt, und so blieb die Möglichkeit, dass wir einen Lucky Punch setzen." Wie das unter diesem Druck an der Box funktionierte?

Günter schilderte auf Nachfrage: "Man muss schauen, dass man seinen Mann aufnimmt. Dass man sich gegenseitig unterstützt. Man versucht, immer wieder Entlastung zu bekommen." Das hatte auch ARD-Experte Bastian Schweinsteiger erkannt. "Sie haben das Zentrum geschlossen, da haben die Ideen gefehlt. Gegen Bayern München musst du leiden können, und das hat Freiburg heute gemacht", sagte der Weltmeister: "Und du musst effektiv sein."

2. Bayerische Ideenlosigkeit: Am Tor endet die Münchner Dominanz

Denn: Obwohl die Münchner laut "Kicker" satte 67 Prozent Ballbesitz hatten, endete ihre Dominanz am Sechzehner. "Wir haben die Freiburger in der zweiten Halbzeit eingeschnürt. Im letzten Drittel ist uns aber zu wenig eingefallen. Es hat dieser Spielwitz, dass die Aktion auch klappt, augenscheinlich gefehlt", meinte Angreifer Thomas Müller in der ARD.

Bis auf eine Kopfball-Bogenlampe von Benjamin Pavard auf die Latte (62.) sprang keine Großchance heraus. Leroy Sané rannte sich am südbadischen Bollwerk fest, ebenso der erneut blasse Serge Gnabry. Auch Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting war kein Faktor.

3. Kein zweiter Bayern-Stürmer: Transfer-Versäumnisse rächen sich

Weil der 34-Jährige mehr Unterstützung gebraucht hätte? "Bayern hat der letzte Pass gefehlt, diese Drucksituationen. Du hast vorne nicht diese zwei Stürmer, damit du sagst, dass du über die Außen mit Flanken gehst und permanent reinflankst", analysierte Schweinsteiger: "Da fehlt nochmal ein Stürmer, der kopfballstark ist."

Die Hereinnahme von Sadio Mané (79.) verpuffte dagegen. Die auffälligste Aktion des Angreifers war, als er durch ein unnötiges Foul gegen Manuel Gulde (90.+2) jenen Freistoß verschuldete, der das Handspiel durch Jamal Musiala im Strafraum nach sich zog.

So wird der 30-jährige Senegalese zum Sinnbild für offensichtliche Fehler in der Transferpolitik. In sieben Einsätzen seit seinem Comeback gelang ihm gerade mal ein Assist und kein Treffer. Gegen Freiburg saßen vier Außenverteidiger auf der Bank (Davies, Stanisic, Blind, Sarr) - aber kein Mittelstürmer.

4. Verunsicherte Bayern-Mannschaft: Nagelsmann-Fehler wirken nach

Tuchel-Vorgänger Nagelsmann wollte ursprünglich eine Ära prägen. Seinem Nachfolger hat er weder eine eindeutige taktische Formation noch eine klare Spielphilosophie hinterlassen. Tuchel versuchte es mit João Cancelo als Linksverteidiger in einem 4-2-3-1, und mit extremem Ballbesitz-Fußball.

Nagelsmann hatte dagegen mal in einem 4-1-4-1, mal in einem 3-5-2, mal in einem 3-4-3 oder in einem 4-3-3 spielen lassen - und den sichtlich verunsicherten Cancelo offensiver. So wirkten die Angriffe nun teils konfus. Fehlpässe wegen unstimmiger Laufwege streuten sich ein. Tuchel forderte, "keine Systemfrage aus diesem Spiel heraus zu stellen. Das wäre falsch". Der 49-jährige Coach monierte dennoch: "Trainingszeit haben wir nicht. Das wussten wir vorher. Ich brauche eine Nacht, um darüber zu schlafen." Die Ansprüche seien "klar formuliert, da hat auch keiner Angst davor", meinte er. Dass der FC Bayern nun schon zum dritten Mal in Folge das Halbfinale des DFB-Pokals verpasst, fällt nicht unter besagte Ansprüche.

Verwendete Quellen:

  • Eigene Beobachtungen in der Allianz Arena
  • Stimmen in der Münchner Mixed Zone
  • Experte Bastian Schweinsteiger in der ARD
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