ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann bekommt seit Jahren jede Menge Kritik ab. Die ist immer noch oft sexistisch und chauvinistisch, aber teilweise auch berechtigt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Tom Bartels gab dem emotionalen Abschied des Polen Jakub Blaszczykowski noch ein paar eigene Worte mit auf den Weg. Als der frühere Bundesliga-Profi in seinem letzten Länderspiel für Polen gegen Deutschland in der 16. Minute ausgewechselt wurde, erwähnte der ARD-Kommentator, dass der frühere Bayern-Star Robert Lewandowski einer der "engsten Freunde und Mitspieler" Blaszczykowskis gewesen sei. Blöd nur, dass beide noch nie auf einer Wellenlänge lagen, wie Blaszczykowski in seiner Biografie vor Jahren verriet.

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Keine Frage: Ein wenig Recherche hätte die Aussage verhindert. Und Bartels bekam den Fauxpas in den sozialen Medien daher auch nicht zu Unrecht um die Ohren gehauen. Auch mit seiner doch sehr wohlwollenden Beurteilung der Leistung der deutschen Nationalmannschaft beim 0:1 in Warschau waren viele Fans auf Twitter und anderen Plattformen nicht einverstanden. Die Kritik ging aber über den üblichen Umfang nicht hinaus, auch die Tonalität blieb im Rahmen.

Neumann und der ewige Shitstorm

Von einem Shitstorm war das weit entfernt, seine ZDF-Kollegin Claudia Neumann wird über das überschaubare Ausmaß wohl nur müde lächeln können. Sie ist seit Jahren anderes gewohnt. Was sie rund eine Woche vorher beim Champions-League-Finale zwischen Manchester City und Inter Mailand erlebt hat, hatte einmal mehr eine ganz andere Qualität. "Unqualifizierte Labertante", hieß es da, oder "Hauptsache, die Frauenquote stimmt", hinzu kamen weitere Beleidigungen unter der Gürtellinie. Da sah sich sogar das ZDF gezwungen, sich mit einem Artikel vor Neumann zu stellen, einen "sexistisch unterlegten Shitstorm" zu kritisieren und zu fragen, woher der Hass gegen Frauen im Fußball komme.

Nun gehört das Phänomen des Shitstorms zu den sozialen Medien wie die Tastatur, und das wird sich auch nicht ändern. Es ist die dunkle Seite von Social Media, die der Sport nicht einmal exklusiv für sich beansprucht, auch in der Politik ist diese Form der Meinungsmache gang und gäbe.

Beim Fußball polarisieren Kommentatoren sehr, auch das war schon immer so, auch bei den männlichen Vertretern. Und auch das wird Bestandteil der Berichterstattung bleiben, denn die ist nun mal auch Geschmackssache. "Es ist nichts leichter, als mit ein paar Klicks einen Shitstorm loszutreten. Es ist eine Empörungskultur, die in solchen Fällen besonders in den Fokus tritt", sagte Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler Dr. Christoph Bertling von der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es ist billiges Denunziantentum und Empörung, um seine Emotionen rauszulassen."

"Tragisch, dass Menschen so unreflektiert und billig sind"

Der Shitstorm geht bei Kommentatorinnen aber in eine etwas andere Richtung: "Sexismus mischt sich unter, man versucht, damit die Person anzugreifen und beleidigend zu sein. Auch Chauvinismus spielt eine Rolle. Es ist immer noch ungewohnt, dass eine Frau kommentiert", so Bertling. Es sei tragisch, sagt der Experte, "dass Menschen so unreflektiert und billig sind, dass sie sagen, dass eine Frau ein Fußballspiel nicht gut kommentieren könnte". Er spricht deshalb von einem "Gewöhnungseffekt". Denn Frauen müssen den noch größtenteils von Männern dominierten Sport immer noch erobern.

Auch im Fußball gibt es noch einen extremen Nachholbedarf, es sind aktuell wenige Vorreiterinnen wie zum Beispiel Christina Rann, die parallel zu Neumann für den Streamingdienst Dazn das Champions-League-Finale kommentierte, oder die ARD-Kommentatorinnen Christina Graf und Stephanie Baczyk. Ihre Anzahl ist ebenso überschaubar wie die ihrer Einsätze bei großen Spielen. Hier wären ohne Frage auch die Sender gefordert. "Man ist eine Frauenstimme noch nicht gewohnt in dem Produkt. Die Kommentatorinnen müssen sich gegen diese Gewohnheitseffekte erst durchsetzen", sagt Bertling.

Frauen werden eher in Moderationsrolle gesehen

Interessant dabei: Jüngste Studien verdeutlichen laut Bertling, dass Frauen im Sport viel stärker in einer Moderationsrolle gesehen werden als bei der fachlichen Expertise und Einordnung. Was sich zum Beispiel auch daran zeigt, dass Moderatorinnen wie Katrin Müller-Hohenstein oder Esther Sedlaczek weitaus weniger kritisiert werden. Im Gegenteil: Für ihre bissigen Interviews wurde Sedlaczek in der Vergangenheit schon öfter gelobt. "Wenn eine Frau ein Spiel kommentiert, wird das ganz anders wahrgenommen. Ich glaube aber, dass sich die fachliche Expertise bei den Frauen am Ende durchsetzen wird", sagt Bertling.

Doch genau da lag das Problem bei Neumann und dem Finale der Königsklasse. Denn die 59-Jährige hat fachliche und handwerkliche Fehler gemacht, und nicht wenige. In diesen Punkten war die (sachliche) Kritik an ihrer Leistung vollkommen berechtigt. Das Magazin "11 Freunde" brachte das Dilemma auf den Punkt: "Es gibt genug männliche Kommentatoren, die mit ähnlichen fachlichen Problemen zu kämpfen haben wie Claudia Neumann. Aber die kommentieren dann auch keine Finalspiele." Neumann sei eine professionelle und erfahrene Kommentatorin, was sie beim Champions-League-Finale einmal mehr unter Beweis gestellt habe, sagte ZDF-Sportchef York Polus: "Konstruktive und sachliche Kritik an ihrer Arbeit ist völlig okay. Völlig inakzeptabel ist jedoch das große Ausmaß an Hass und Beleidigung, das ihr entgegenschlägt".

Kritik verlässt die sachliche Ebene

Denn das Problem der Kritik wiederum ist, dass sie bei Kommentatorinnen immer noch zu oft die sachliche Ebene verlässt, so auch bei Neumann. "Dass man den Zusammenhang setzt, dass sie die Fehler macht, weil sie eine Frau ist, ist grundlegend falsch", betont Bertling. Die zweite Ebene sei die fachliche, erläutert der Experte: "Hat sie fachliche Fehler gemacht, muss sie die verbessern. Die Kritik ist so lange angebracht, solange sie nicht in die sexistische Ebene geht."

Die Zukunft ist dementsprechend herausfordernd, denn natürlich werden Kommentatorinnen auch in Zukunft Fehler machen, die gehören zu dem Job dazu. Und Social Media wird ein Stück weit toxisch bleiben. Eine gefährliche Mischung, gegen die man ankämpfen müsse: "Man muss immer wieder konstatieren, dass die Leute doch nicht so offen sind, wie die Gesellschaft sich immer gibt", sagt Bertling, der aber auch Hoffnung hat, weil er glaubt, dass sich Kommentatorinnen durchsetzen werden: "Es wird immer mal wieder Rückschläge geben, aber es geht voran. Zum Glück lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen. Denn Frauen machen das Produkt stärker".

Zur Person: Dr. Christoph Bertling ist Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler an der Sporthochschule.

Verwendete Quellen:

  • zdf.de: Woher kommt der Hass gegen Frauen im Fußball?
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