Ausgerechnet eine Show im US-Fernsehen gehört für viele europäische Fußballfans inzwischen zum Besten, was die Champions-League-Berichterstattung zu bieten hat. Kate Scott, Thierry Henry, Jamie Carragher und Micah Richards brennen an jedem Spieltag ein Feuerwerk an exzellenten Analysen bei bester Unterhaltung ab. Ihr Erfolg hat gute Gründe.
Manchmal gibt es im Leben menschliche Konstellationen, von denen man vorher nicht hätte ahnen können, dass die Welt sie gebraucht hat.
Manchmal ergibt sich so eine Konstellation aus Zufall, manchmal basiert sie auf gutem Casting. Wer oder was es zustande gebracht hat, dass Jamie Carragher, Thierry Henry und Micah Richards, zusammen mit Kate Scott (ehem. Abdo) auf dem US-Sender CBS durch die Champions League führen, ist aber eigentlich egal. (Obwohl wir wissen, dass wir das Casting dem Produzenten der Show, Pete Radovich, zu verdanken haben.)
Wichtig ist nur, dass die Liverpool-Legende, der Trainer der französischen U21 und der ehemalige englische Nationalspieler, moderiert von der über die Maßen schlauen und herzlichen Moderatorinnenlegende bei jedem Champions-League-Spieltag ein Feuerwerk der Unterhaltung abfeuern, das – zumindest im deutschen Fernsehen – himmelweit seinesgleichen sucht.
Eine kurze Vorstellung
Und weil Kate Scott/Abdo es auch zu Beginn einer jeden Sendung tut, wollen wir an dieser Stelle die Protagonisten einmal kurz vorstellen:
- Thierry Henry: der smarte Franzose ist Weltmeister, Europameister, Champions-League-Sieger, französischer, englischer sowie spanischer Meister und trainiert seit 2023 die französische U21-Nationalmannschaft (Silber bei Olympia). Vor allem sein Mienenspiel sorgt regelmäßig für Lachanfälle bei seinen Mitstreitern.
- Jamie Carragher: Liverpool-Legende, dessen doch recht starker "Scouse"-Akzent ein Engagement im US-Fernsehen fast verhindert hätte. Für das US-Publikum bemüht er sich jedoch redlich, verständliches Englisch zu sprechen. Erklärte sich in der vergangenen Saison zum BVB-Fan und verbrachte eine feuchtfröhliche Zeit in der Gelben Wand.
- Micah Richards: Spitzname: Big Meeks. In Deutschland wohl der Unbekannteste im Panel, aber definitiv der Lauteste und für viele bestimmt auch der Liebenswerteste. Mit den Titeln von Carragher und Henry kann er nicht mithalten – eine Tatsache, an die er regelmäßig erinnert wird. Lacht so ansteckend, dass sich seine gute Laune automatisch auf seine Mitmenschen und die Zuschauenden überträgt.
- Kate Scott (geb. Abdo): mehrsprachig, herzlich, hervorragend vernetzt, schlagfertig, humorvoll und tough. In Deutschland kennt man sie noch aus den Anfangszeiten der Sky Sport News.
An jedem Champions-League-Spieltag besprechen die vier auf dem amerikanischen Sender CBS und im Streaming-Dienst Paramount+, übertragen aus London, die wichtigsten Themen rund um die europäische Königsklasse. Sie blicken im Voraus auf die anstehenden Spiele und analysieren sie im Nachgang. Und dank Social Media sieht ihnen nicht nur das amerikanische Publikum dabei zu. 3,5 Milliarden Videoviews hatte CBS in den sozialen Medien in der vergangenen Saison. Die Videos von Scott, Henry, Carragher und Richards werden millionenfach geteilt, kommentiert und geliked. Und das hat gute Gründe.
Die "New York Times" schreibt: "Die Champions-League-Studio-Show in Bestform ist spielerisch, mutig und witzig, aber auch durchsetzt von scharfsinnigen Taktikanalysen und eindringlichen Einschüben, wie zum Beispiel als Henry und Richards 2023 ein Gespräch über Rassismus im Fußball führten, nachdem Romelu Lukaku Beleidigungen ertragen musste."
Die Show besticht durch ihre Herzlichkeit
Es ist eine sehr gute Beschreibung der Show, vergisst jedoch ein wichtiges Attribut: Die Show lebt von ihrer Herzlichkeit, durch die der Humor der vier erst so richtig transportiert wird. Hier haben sich vier Menschen gefunden, die nicht nur mit immensem Fußballverständnis brillieren, sondern auf einer Wellenlänge durch ihre Sendungen gleiten.
Natürlich hat die Sendung Struktur, es gibt Taktiksegmente, die einzelnen Spiele werden analysiert, nach Abpfiff gibt es Interviews mit Spielern und Trainern. Es gibt Schalten zu Field Reportern, zu denen unter anderem Torwart-Legende Peter Schmeichel gehört.
Aber die Sendung ist nicht starr, es wird sich nicht streng an ein Skript gehalten. "Wir haben nichts gegen Chaos. Wir können Chaos gut, kommen damit klar, wenn jemand plötzlich ins Bild läuft", erklärte Kate Scott im Interview mit der "Sport Bild". "Man darf uns gerne unterbrechen und am Gespräch teilnehmen. Viele Spieler begrüßen gern Thierry. Er hat die Zugkraft des Stars."
Interviews auf Augenhöhe
Diese Starpower zeigt sich vor allem dann, wenn Spieler ins Studio zugeschaltet werden. Hier werden keine "Wie fühlen Sie sich nach der Niederlage"-Interviews geführt. Da sprechen Menschen auf Augenhöhe und wenn es sich anbietet, darf es schon auch mal um die Frisur, den "sharpest trim" und die Kosten dafür gehen. Ein Thema, das vor allem Micah Richards, der gerne mit seiner eigenen Eitelkeit spielt, brennend interessiert.
Dennoch ist das Champions-League-Studio keine Quatschveranstaltung, dafür nehmen die Protagonisten Fußball viel zu ernst. Alle vier können ein Spiel lesen, sie sehen Defizite und Stärken bei Spielern und verlieren sich bei ihren Analysen selten ins Floskelartige (wobei das ein englischer Muttersprachler vielleicht anders beurteilen würde). Oft genug sind die vier dabei nicht einer Meinung, wodurch sich häufig interessante Diskussionen verschiedener Blickwinkel ergeben.
Was unterscheidet diese Show von deutschen Übertragungen?
Aber warum funktioniert diese Viererkonstellation so viel besser als die TV-Übertragungen im deutschen Fernsehen? Schließlich gibt es auch im deutschen TV Expertenrunden, die in ihrer Fußballkenntnis sicherlich mit Richards, Henry und Carragher mithalten können. Was jedoch in den allermeisten Konstellationen, sei es bei Prime, Sky, Dazn oder den Öffentlich-Rechtlichen, fehlt, ist die fast schon familienartige Dynamik, die eine ganz andere Art des Umgangs der Protagonisten untereinander zulässt. Im deutschen Fernsehen können da höchstens Esther Sedlaczek und Bastian Schweinsteiger mithalten.
Kate Scott beschreibt es im Interview mit der "Sport Bild" so: "Wir kennen uns inzwischen so gut, dass wir eine Vertrautheit haben und genau die wunden Punkte der anderen kennen. Darüber machen wir Witze, wie man es auch in einer Familie tut. Ich liebe sie. Sie sind meine Leute, also darf ich über sie so reden, aber sonst keiner."
Lesen Sie auch
Und auf seine Familie lässt man auch dann nichts kommen, wenn mal einer übers Ziel hinausschießt, wie im März 2024, als Jamie Carragher im Spaß Scott Untreue gegenüber ihrem Jetzt-Ehemann, dem Boxer Malik Scott, vorwarf. Der Aufschrei in den Sozialen Medien ließ nicht lange auf sich warten, empörte Kate-Fans forderten gar den Rauswurf von Carragher.
Doch schon am nächsten Tag erstickte die Moderatorin weitere Diskussionen mit einem bemerkenswerten Monolog im Keim: "Diese Gruppe ist schon seit dreieinhalb Jahren zusammen. Ich bin mit einem Bruder aufgewachsen und habe das Gefühl, dass ich hier drei weitere hinzubekommen habe. Lassen Sie mich die Gruppe erneut vorstellen: Thierry Henry, das goldene Kind, das nichts falsch machen kann, immer das Richtige sagt und ein Vorbild für uns alle ist. Dann gibt es das Sandwich-Kind: Jamie Carragher, leicht reizbar, ist in der Lage alles zu sagen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Geht er manchmal zu weit? Absolut. Entschuldigt er sich? Ja, das tut er. Aber wir alle haben doch dieses eine nervige Familienmitglied, das wir trotzdem lieben. Und dann gibt es noch den kleinen Bruder: laut, aber liebenswürdig, Micah Richards. Man kann ihn leicht ärgern, aber man kann ihn nicht nicht lieben."
Klare Botschaft: Hier wird niemand gecancelt – und wenn, dann macht das die große Schwester selbst! Und so sind die vier zum Start der Champions League gemeinsam in eine neue Saison gestartet. Und dieser Start verlief vielversprechend – mit einem Überraschungsbesuch von David Beckham, was vor allem Micah Richards echte Bromance-Gefühle bescherte. So darf es gerne weitergehen.
Verwendete Quellen
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.