• Am 16. Spieltag der Fußball-Bundesliga erzielt Hertha BSC einen frühen Treffer, doch zuvor war der Ball im Toraus.
  • Trotzdem gibt es Diskussionen darüber, ob der Video-Assistent überhaupt eingreifen durfte.
  • Nach dem Spitzenspiel zwischen Leipzig und Bayern haben Schiedsrichter Daniel Siebert und RB-Trainer Marco Rose Trainer unterdessen einen fairen Dialog vor laufenden Kameras.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eine spielrelevante Szene aus der elften Minute ließ den Berliner Coach Sandro Schwarz auch nach dem Schlusspfiff der Partie zwischen dem VfL Bochum und Hertha BSC (3:1) nicht so bald los: Beim Stand von 0:0 erzielte Lucas Tousart für die Gäste ein Tor, doch diesen Treffer annullierte Schiedsrichter Martin Petersen nach einem Eingriff seines Video-Assistenten Daniel Schlager.

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Denn der Ball war im Vorfeld der Torerzielung knapp im Toraus gewesen, unbemerkt vom Unparteiischen. Dennoch war Schwarz nicht einverstanden mit der Entscheidung, weil er überzeugt war, dass dieser Tatbestand zu einer bereits abgeschlossenen Angriffsphase der Hertha gehörte und der VAR diese Phase daher nicht hätte überprüfen dürfen. "Das Tor hätte gegeben werden müssen", war er sich sicher.

Tatsächlich ist die Sachlage komplexer, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Nach einem langen Ball der Hertha aus der eigenen Hälfte hatte der Bochumer Keven Schlotterbeck im Zweikampf mit Jean-Paul Boetius zunächst den Ball unkontrolliert in Richtung der eigenen Torauslinie geköpft. Boetius erlief den Ball – ob vor oder hinter der Linie, war in diesem Augenblick noch nicht zweifelsfrei klar, Referee Petersen ließ jedenfalls weiterspielen.

Es folgte eine Flanke in den Berliner Strafraum, dort fand Boetius jedoch keinen Mitspieler. Der Bochumer Saidy Janko lief zum Ball, unter Druck gesetzt von Derry Scherhant, und nach einem kurzen Ballkontakt verlor er ihn einige Meter vor dem Strafraum dann auch an den Herthaner. Vier Stationen später traf Tousart ins Tor.

Herthas annulliertes Tor: Regeltechnisch ist es kompliziert

Regeltechnisch ist dieser Vorgang verzwickter, als man es vermuten könnte. Das hängt entscheidend damit zusammen, dass der VAR nach einer Torerzielung nur diejenige Angriffsphase überprüfen darf, die unmittelbar vor dem Treffer lag. Und nicht die gesamte, im Extremfall mehrere Minuten lange Spielphase seit der letzten Spielunterbrechung, nach der es zu einem oder sogar mehreren Ballbesitzwechseln gekommen sein kann.

Überprüft wird, ob die Mannschaft, die den Treffer erzielt hat, in dieser Angriffsphase vor dem Tor eine Regelwidrigkeit begangen hat – zum Beispiel ein Foul, ein Handspiel oder ein strafbares Abseits – oder ob der Ball zwischenzeitlich unbemerkt vom Schiedsrichterteam die Seiten- oder die Torauslinie überschritten hat.

Wesentlich war in Bochum die Frage, ob Jankos Ballkontakt eine Angriffsphase der Hertha beendet und nach der Eroberung des Balles durch Scherhant eine neue Angriffsphase begonnen hatte. Wenn ja, hätte VAR Schlager nur die Sequenz zwischen dieser Balleroberung und der Torerzielung überprüfen dürfen – dass der Ball vorher im Toraus war, wäre dann ohne Bedeutung gewesen.

Jankos Ballkontakt war keine Ballkontrolle

Aufschluss gibt das Handbuch der obersten Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) für die Video-Assistenten. Darin heißt es unter anderem: "Eine Angriffsphase endet, wenn das verteidigende Team kontrollierten Ballbesitz erlangt, etwa wenn ein Verteidiger den Ball klärt, ohne unter Druck zu sein, oder ihn klar kontrolliert und sich mit ihm bewegt oder ihn passt." Zudem wird klargestellt: "Eine bewusste, aber unkontrollierte Ballberührung ist kein kontrollierter Ballbesitz."

Regeltechnisch gesehen heißt das: Weil Janko in Bedrängnis und nur einmal kurz am Ball war, sich nicht mit ihm bewegte und ihn auch nicht passte, sondern gleich an Scherhant verlor, hatte er keinen kontrollierten Ballbesitz. Damit war eine kontinuierliche Angriffsphase der Hertha gegeben, in deren Verlauf der Ball die Torauslinie überschritten hatte. Deshalb überprüfte der VAR zu Recht auch, ob der Ball im Toraus war, und griff ein, weil das der Fall war. Es war also richtig, das Tor abzuerkennen.

Dennoch bewerteten neben Sandro Schwarz auch die Fußballexperten Dietmar Hamann und Erik Meijer im Studio des Fernsehsenders Sky die Szene völlig anders. Sie fanden die Entscheidung des Schiedsrichters falsch, was aber weniger regeltechnische als vielmehr fußballerische Gründe hatte: Die Ex-Profis argumentierten, Janko habe den Ball sehr wohl kontrolliert, aber auf eine technisch schlechte Art und Weise – und ihn deshalb verloren.

Diese Argumentation ist nachvollziehbar, doch in der Regelauslegung wird diese Unterscheidung so nicht vorgenommen: Schon gegnerischer Druck und eine (auch) dadurch bedingte unzureichende Ballverarbeitung führen dazu, dass nicht von kontrolliertem Ballbesitz ausgegangen wird. Das macht die Bewertung letztlich auch einfacher.

Kein Foul an Kimmich vor Leipziger Ausgleichstor

In spielentscheidenden Situationen richtig lag auch Schiedsrichter Daniel Siebert in der Auftaktpartie des 16. Spieltags zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern München (1:1). Nach einer halben Stunde annullierte er ein Tor für den Deutschen Meister von Leon Goretzka, weil sich Mathijs de Ligt in der Entstehung des Treffers im Abseits befunden und André Silva eindeutig in dessen Möglichkeiten, den Ball zu erreichen, beeinflusst hatte, indem er ihn am Arm hielt.

Ebenso korrekt war es, Silvas Körpereinsatz gegen Joshua Kimmich vor dem Leipziger Ausgleichstor durch Marcel Halstenberg in der 52. Minute nicht als regelwidrig zu bewerten. Zwar hatte Silva im Zweikampf seinen Arm ein wenig gegen Kimmichs Schulter eingesetzt, doch der Münchner war anschließend allzu leicht zu Boden gegangen. Nicht einmal Kimmich selbst plädierte nach dem Spiel auf Foul, Bayern-Trainer Julian Nagelsmann tat es ebenso wenig.

Unmittelbar nach dem Treffer hatte allerdings Goretzka allzu forsch bei Siebert protestiert, wofür er zu Recht verwarnt wurde. Der Unparteiische traf seine Entscheidung, den Zweikampf zwischen Silva und Kimmich als regulär zu bewerten und das Tor zu geben, mit erkennbarer Überzeugung. Sie fügte sich auch gut in seine generelle, für dieses Spiel angemessen großzügige Linie bei der Zweikampfbewertung.

Bemerkenswerter Dialog zwischen Siebert und Rose

Dass der Schiedsrichter aus Berlin, der auch bei der WM in Katar im Einsatz war, Dayot Upamecano in der 66. Minute nach einem Foulspiel am enteilenden Dominik Szoboszlai nur die Gelbe Karte zeigte, war ebenfalls angemessen.

Zwar roch es in dieser Situation ein bisschen nach einer "Notbremse", doch Siebert erläuterte im Fernsehinterview nach dem Spiel, warum aus seiner Sicht der Münchner Verteidiger keine offensichtliche Torchance vereitelt hatte: Die Distanz zum Tor sei noch recht groß gewesen, außerdem sei Upamecanos Mitspieler de Ligt im Vollsprint und mit einigen Erfolgsaussichten unterwegs gewesen, um Szoboszlai zu stören.

Sieberts Ausführungen lauschte der Leipziger Trainer Marco Rose, der den Referee anschließend lobte: "Besser kann man es nicht erklären. Hervorragend argumentiert. Auch ich habe es jetzt verstanden."

Anschließend begründete der Unparteiische gegenüber dem Coach, warum er ihn nach 84 Minuten verwarnt hatte: Rose hatte deutlich protestiert und dabei das Spielfeld betreten. "Du kannst vielleicht abwinken, ich verstehe die Emotionen", sagte Siebert. "Du kannst das hinter der Bande machen. Aber dadurch, dass du auch auf dem Feld standest, kamen wir nicht drumherum, dir eine Gelbe Karte zu geben."

Rose akzeptierte auch diese Erklärung und nannte die Verwarnung "total berechtigt", bevor er kurz ausführte, was ihn während des Spiels gestört hatte. Es war ein fairer und von gegenseitiger Wertschätzung getragener Dialog zwischen dem Übungs- und dem Spielleiter, in dem angenehm sachlich die Argumente ausgetauscht wurden. Das mag nach turbulenten Spielen nicht immer vor laufenden Kameras möglich sein, aber diese Transparenz des Schiedsrichters und der respektvolle Umgang miteinander ist grundsätzlich allemal zur Nachahmung empfohlen.

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