Werder Bremen sichert sich in einem skurrilen Spiel nach einer skurrilen Saison doch noch irgendwie den Klassenerhalt. Gegner Heidenheim hilft tatkräftig mit und scheitert am Ende eher an sich selbst, denn am Gegner.

Eine Analyse

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Als alles vorbei war, die Spieler schon wieder vom Rasen und fast komplett in den Katakomben, standen die beiden Trainer in nahezu identischer Pose an einer Werbetafel.

Frank Schmidt und Florian Kohfeldt beugten sich vornüber, das Gesicht in den Händen versunken. Ein paar Momente der Ruhe mussten sein nach diesem Spiel, das so wild und grotesk war und am Ende die Lager entzweit hatte: in die Gruppe der Gewinner und jene der Verlierer.

Wobei es wie schon im Hinspiel in Bremen gar keinen Sieger gab und demnach auch keinen Verlierer. Und doch platzte Heidenheims Traum vom Aufstieg in die Bundesliga. Werder schummelte sich mit einem 2:2 doch noch zurück in die höchste deutsche Spielklasse.

Ein Relikt aus grauen UEFA-Cup-Vorzeiten verschaffte den Bremern den 18. und letzten Platz in der Bundesliga. Sie dürfen nun ein weiteres Jahr, es ist ihr 57. in der Bundesliga, mitspielen im Konzert der Großen. Die Auswärtstorregel sorgte für die Entscheidung. Obwohl beide Spiele remis endeten und faktisch betrachtet keinen Sieger hervorbrachten, waren die Bremer dann doch die Gewinner.

Schmidt verliert kurz die Fassung

Das kann man gut oder schlecht finden oder ungerecht, zumal in Zeiten des Corona-Fußballs, der den Heimvorteil für alle Klubs, die nicht zufällig FC Bayern heißen, komplett aufgeweicht hat und dann den Underdog aus der zweiten Liga im Rückspiel zu Hause antreten lässt. Aber der Modus war allen Beteiligten bekannt, also darf sich später auch niemand mehr beschweren.

Schmidt jedenfalls versuchte zumindest, die Contenance zu wahren. Auch, wenn das nicht immer gelang.

Auf die zu erwartende Frage nach seinem Gemütszustand wurde der Langzeit-Trainer der Heidenheimer etwas ungehalten. "Was für eine bescheuerte Frage", polterte Schmidt im Interview mit DAZN. "Entschuldigung, aber wie groß soll die Enttäuschung sein? Wir haben von einer Lebenschance gesprochen. Klar, dass wir jetzt mega enttäuscht sind, vor allem, wie es zustande gekommen ist."

Schmidt spielte damit auf die kuriosen Umstände an, die Bremen zweimal in Führung brachten. Aber auch Heidenheims Trainer dürfte klar gewesen sein, dass am Ende doch die bessere Mannschaft die Oberhand behielt.

Werder spielte den klareren Fußball, brachte seine turmhohe individuelle Überlegenheit gegen sichtlich nervöse Heidenheimer in den ersten 15 Minuten voll auf den Platz und führte verdient.

Jede Menge Kuriositäten

Das wichtige Auswärtstor erzielte allerdings kein Bremer Spieler, sondern der Heidenheimer Norman Theuerkauf. Der war kurz vor dem Anpfiff wegen einer Verletzung des etatmäßigen Innenverteidigers Timo Beermann erst in die Zentrale gerückt. Dort versetzte der einstige Bremer, der 2013 mit Eintracht Braunschweig in die Bundesliga auf- und gleich wieder aus ihr abgestiegen war, dem Ball aus 15, 16 Metern mit einem Reflex eine derart komische Flugbahn, dass sich dieser unhaltbar im linken Torwinkel ins Netz senkte.

Damit war die Messlatte gesetzt für den Außenseiter, der nun zwei Tore benötigte - in der ersten Halbzeit aber nicht einmal an einem ersten Tor schnuppern durfte. Bremen überließ Heidenheim zwar immer öfter den Ball, kontrollierte die Partie aber auch ohne viel Ballbesitz bis zur Pause.

Schmidts offensive Wechsel zeigten sofort nach der Pause Wirkung. Heidenheim vergab gleich drei dicke Chancen in den ersten Minuten. Und weil Werder die Partie danach wieder beruhigen konnte und es Heidenheim besonders an den spielerischen Mitteln fehlte, lief eigentlich alles auf eine ruhige Schlussphase hinaus.

Bis kurz vor Schluss sorgten lediglich Bremens Chancenwucher, sowie Heidenheims Trommler, die mit Bratpfannen und Kochlöffeln bewaffnet auf der Tribüne Krach machten, für Aufruhr und Ärger. Werders Delegation beschwerte sich nachhaltig.

Jeder fragte sich, woher die rund 50 Heimfans kamen, unter denen offenbar auch die Heidenheimer Spielerfrauen waren. Wie konnten sie ins Stadion gelangen und damit das Hygienekonzept der DFL im letzten Spiel der Saison konterkarieren? Das blieb vorerst ein Geheimnis.

1. FC Heidenheim - Werder Bremen: Ein Spiel als Sinnbild

Der überraschende Ausgleich der Gastgeber brachte dann alle Beteiligten nochmal in Wallung. Und als Werder zitterte und bibberte und nur noch auf Zeit spielte, entschied der nächste schlimme Fehler von Theuerkauf den Vergleich beider Mannschaften.

Der Routinier vertändelte den Ball gegen Fin Bartels. Dessen Querpass setzte Ludwig Augustinsson frei vor dem leeren Tor fast noch an die Querlatte, der Ball rutschte aber dann doch noch irgendwie rein. Tim Kleindiensts erneuter Ausgleich mit der letzten Aktion des Spiels änderte nichts mehr am Bremer Klassenerhalt.

Ohne Sieg aus zwei Spielen, dafür aber "dank" eines Eigentors des Gegners, wie es nur alle zehn Jahre mal fällt, hielt Werder letztlich die Klasse. Vor leeren Rängen, unter nervtötendem Geklapper der Bratpfannen und ohne seinem besten Fußballer einen würdigen Abschied auf dem Platz verschaffen zu können: Claudio Pizarro hätte vielleicht noch eingewechselt werden können, wenigstens für ein paar Minuten. Aber für Herzschmerz fand Werder keine Zeit, der Ernst der Lage in den Schlussminuten war schlicht zu groß.

Es hat ja dann doch noch gereicht, wenngleich diese Saison in ihrer Mangelhaftigkeit sehr oft auf den GAU hindeutete. Werder spielte trotz einiger weniger Highlights eine gruselige Saison, die in ihrem Höhepunkt mit der Partie auf dem Heidenheimer Schlossberg gar nicht anders hätte laufen können als so: Der Gegner erzielte drei Tore, Werder nur eines. Und trotzdem gab es am Ende etwas zu feiern. Wobei auch den Beteiligten klar war, wie eng das dieses eine Mal war. Werder Bremen hat nichts erreicht, sondern nur etwas verhindert.

Vor und nach seinem Intermezzo an der Werbebande zeigte Trainer Kohfeldt deshalb auch eine eigenartige Mischung aus Erleichterung, Trotz und Wut in seinen Ausführungen. Man merkte Kohfeldt die Zerrissenheit an, als er nun das Spiel und die Saison analysieren sollte.

Der Trainer verzichtete auf die sonst übliche Aufarbeitung der Partie und kam sofort zu den übergeordneten Themen. "Ich bin stolz auf meine Mannschaft, wie sie das gepackt hat. Ich bin aber auch ein bisschen stolz auf mich, das geschafft zu haben", sagte Kohfeldt etwa im ZDF. Ein Eigenlob dieser Art ist eigentlich ebenso wenig Kohfeldts Art wie der Verweis darauf, dass "ich mich vor der Saison nicht hingestellt habe und gesagt: 'Ich bin der Geilste.'"

Aussagen wie diese lassen erahnen, wie brutal der Druck gewesen sein muss auf den Coach, dem nun zusamen mit seinen Vorgesetzten eine schonungslose Analyse der Saison bevorsteht. Die ist für die kommenden Tage angesetzt. Am Ende der Woche will sich dann auch Geschäftsführer Frank Bamann erklären.

Kohfeldt resümiert: "Scheiß Saison. Geiles Ende."

Gerüchte um die Zukunft unter anderem von Kohfeldt halten sich hartnäckig. Immerhin können sie sich am Osterdeich dann noch als Mitarbeiter eines Erstligisten zusammensetzen. Und das war es, was in der umstrittenen Relegation zählte. Oder, um es mit Kohfeldts Worten zu sagen: "Scheiß Saison. Geiles Ende."

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