In der Dokumentation "Der Anschlag" erzählt Sky von den Tagen, als der Mannschaftsbus des BVB angegriffen wurde. Der Film schafft es, die Entmenschlichung, die der Täter betrieben hat, aufzuheben. Für Menschen, die den Fall noch nicht in- und auswendig kennen, dürfte er auch einen Überraschungsmoment bereithalten. Am 10. April wird die Dokumentation bei Sky ausgestrahlt, wir haben sie vorab gesehen.
Der 11. April 2017 hätte so ein Tag werden können, an dem die Menschen in Deutschland ihr Leben lang wissen, wo sie waren. Dass es nicht so ein Tag wurde, ist reines Glück.
Der Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB, der Mordversuch an Dortmunds Spielern, erschütterte die Fußballwelt in ihren Grundfesten. Sky hat nun mit "Der Anschlag" eine Dokumentation über diesen Tag, seine Vorgeschichte und seine Konsequenzen gedreht.
Regisseur Christian Twente bedient sich in seiner Erzählung klassischen True-Crime-Elementen. Diese sind inzwischen viel erprobt, jeder Sender, der etwas auf sich hält, lässt früher oder später ein irgendwie geartetes True-Crime-Format produzieren. Und leider sehen diese True-Crime-Dokus alle sehr ähnlich aus. Wabernde Musik, nachgestellte Szenen, ein Schleier von Unheilvollem liegt über der Szenerie. Auch "Der Anschlag" hat solche Elemente.
Wenn einem Schauspieler mit Kapuze bei der Tatvorbereitung über die Schulter geschaut oder das Blut von Marc Bartra im Mannschaftsbus eingeblendet wird, trägt das nicht viel zur Geschichte bei, außer um ein kurzes Gefühl des Unwohlseins beim Publikum hervorzurufen.
Gegen die Entmenschlichung: "Der Anschlag" lässt die Spieler sprechen
Glücklicherweise hält sich die Doku nicht allzu lange mit derartigen Einblendungen auf. Überhaupt ist erfreulich, wie wenig Zeit "Der Anschlag" auf den Täter verwendet. Während sich Netflix und Co. häufig über die Täter der Tat nähern und sich mit schrecklichen Kindheitsgeschichten übertrumpfen, bekommt Sergej W. in Twentes Dokumentation nur wenig Sendezeit. Der Fokus liegt auf anderen Menschen, auf seinen Opfern. Und dort liegen auch die starken Momente des Films.
Der Täter hatte diese Männer entmenschlicht, sie als reine Kapitalanlage gesehen. Er sah nicht die Familienväter, die Söhne, die Brüder, die sie sind. Mit ihren Interviews schaffen es Weidenfeller, Weigel, Sokratis, Bartra und Sahin, diese Entmenschlichung aufzuheben.
Wenn Marc Bartra erzählt, dass er im Moment seiner Verletzung "nur an meine Tochter" dachte, Nuri Sahin von dem Moment des Nachhausekommens nach dem Anschlag berichtet – seine Frau und sein kleiner Sohn öffneten ihm die Tür, er brach in Tränen aus – , oder Weidenfeller beschreibt, wie sie alle an einen Terroranschlag dachten, da wird überdeutlich, was der Täter ausgeblendet hat.
Warum wurde am Tag danach gespielt?
Und da liegt auch die Krux des BVB und der Verantwortlichen, die sich in der zweiten Hälfte des Films entfaltet. Denn nachdem man den Spielern nun viel Zeit gegeben hat, zu erzählen, wie furchterregend und traumatisch dieses Erlebnis war, lassen einen die damals getroffenen Aussagen der BVB-Verantwortlichen fast fassungslos zurück.
"Die Spieler sind Profis und ich bin mir sicher, dass sie in der Lage sein werden, das wegzustecken und morgen ihre Leistung abzurufen", erklärte beispielsweise der damalige BVB-Präsident Reinhard Rauball damals im Gespräch mit Sky über die Stadionlautsprecher. Kurz zuvor hatte der Verein den im Stadion wartenden Zuschauenden erklärt, dass das Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco am nächsten Tag nachgeholt werde.
Und da ist es wieder: dieses Gefühl der Entmenschlichung. Denn plötzlich werden aus den Menschen Sahin, Weigel und Sokratis doch wieder Profis, Kapitalanlagen.
Watzke antwortet auf den Vorwurf der mangelnden Empathie
Dass ihm in dieser Erzählung die Rolle des Bösewichts zukommt, knabbert an Hans-Joachim Watzke. Das ist dem BVB-Geschäftsführer deutlich anzumerken. Es gebe immer Menschen, die einem mangelnde Empathie vorwerfen, erklärt Watzke beispielsweise. "Das sind aber immer die Leute, die es nicht entscheiden müssen."
Der Film löst diesen Widerspruch zwischen dem Erleben der Spieler und der Entscheidung, das Spiel gegen den AS Monaco zu spielen, nicht auf. Den muss man aushalten. Der BVB verlor gegen den AS Monaco. Aber um es mit Nuri Sahin sagen: "An diesem Tag war Fußball scheißegal."
Ein Fan hilft bei der Täter-Ermittlung
Das größte Überraschungsmoment gelingt dem Film auf der Zielgeraden. Die Ermittlungsbeamten tappen zwischen Terrorverdacht von links und rechts lange im Dunklen, bis sie von jemand Unerwartetem auf die richtige Spur gebracht werden: Rudolf Scheuchl, ein österreichischer BVB-Fan. Ohnehin fragt sich der Zuschauer im Verlauf der Doku, warum er eigentlich ständig eingeblendet wird, denn eine Erklärung folgt zunächst nicht. Doch er war es, der in einem Schreiben die Justizabteilung des BVB auf Unregelmäßigkeiten der BVB-Aktie hinwies. Täter Sergej W. hatte mit dem Anschlag auf ein Fallen der Aktie spekuliert und wollte damit reich werden.
Am Ende muss Sergej W. wegen versuchten Mordes ins Gefängnis, Scheuchl bekommt fünf Freikarten und für die Spieler und Verantwortlichen geht das Leben weiter. Doch abschließen werden die Spieler mit dem Erlebten wohl nie ganz. Das ist nach ihren Erzählungen deutlich geworden.
Und da gerät es fast schon zum Nebenschauplatz, dass knapp sechs Jahre nach diesem Anschlag nun Thomas Tuchel als Bayern-Trainer wieder einmal auf den BVB trifft. Er hatte den Verein im Sommer nach dem Anschlag verlassen. Hans-Joachim Watzke ist sich sicher: "Da ist viel kaputtgegangen zwischen dem Trainer und mir. Sonst wäre es nicht zur Trennung im Sommer gekommen."
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