2021 haben die beiden Hollywood-Stars Ryan Reynolds und Rob McElhenney den walisischen Traditionsklub AFC Wrexham in der fünften englischen Liga übernommen und sind im vergangenen Sommer in den Profifußball aufgestiegen. Wie viel ist vom Märchen ein halbes Jahr später noch übrig? Wir waren vor Ort.

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Carol schimpft. Und schimpft. Und hört gar nicht mehr auf. In dem proppenvollen Pub im Herzen Wrexhams wird sie sehr deutlich, was sie durch eine hohe Nutzung des Wortes "Shit" unterstreicht. Ihr Kumpel Scott stimmt mit ein, auch er erweckt nicht den Eindruck, ein Anhänger seiner Heimatstadt zu sein.

Waliser gelten als warmherzig und gesellig, aber eben auch als geradeheraus, offen und ehrlich. Diese Direktheit kann schon mal überraschen. Ja, die Stadt im Norden von Wales sei genau das – "Shit" –, sagen beide und deshalb sei auch bei der Geschichte rund um den Fußball-Klub AFC Wrexham längst nicht alles Gold, was glänzt.

In der Tat ist die Arbeitslosigkeit in der ehemaligen Bergarbeiterstadt hoch, die Aussichten sind trübe, der Lebensstandard ist überschaubar. Vieles ist hier Grau in Grau, im Reiseführer wird dem Ort, dem 2022 der "City"-Status verliehen wurde, eine halbe Seite zuteil. Höhepunkte findet man immerhin in Kunst, Kultur, Musik und der reichhaltigen Geschichte. Ein Hotspot für Touristen sieht aber anders aus, Glanz und Glamour sowieso.

Graues Wrexham, glitzerndes Hollywood

Wie passt da die Story der Hollywood-Stars Ryan Reynolds und Rob McElhenney ins Bild? Die beiden haben 2021 den damals in der fünften englischen Liga vor sich hin dümpelnden AFC Wrexham gekauft und im vergangenen Jahr den Sprung in den Profifußball, in die vierte Liga, geschafft.

Rob McElhenney und Ryan Reynolds im April 2023. © IMAGO/PA Images/Martin Rickett

Die Kurzfassung: McElhenney schaute während der Corona-Pandemie die Fußball-Dokuserie "Sunderland 'til I Die" und ging danach euphorisch auf die Suche nach einem Klub, den man retten könnte. Gefunden hat der US-Schauspieler den AFC Wrexham. Den Kanadier Reynolds holte er später mit ins Boot, um eine Story à la Hollywood zu produzieren.

Fakt ist aber auch: Carol und Scott haben nicht Unrecht - Wrexham ist keine Schönheit, auch wenn die Förderung strukturschwacher Regionen durch den Staat eine Menge verbessert hat. Doch wäre Wrexham eine Person, ihr Charme wäre irgendwo zwischen hartem Raubein und ehrlichem Haudegen zu verorten. Unschöne Schale, weicher Kern. Dieser Kern offenbart sich Besuchern an Spieltagen in seiner ganzen Pracht und Vielfalt, wenn sich rund ein Viertel der 66.000 Einwohner der Stadt auf den Weg macht zum Racecourse Ground, dem Stadion des 1864 gegründeten Traditionsklubs.

Dann steht das beschwerliche Leben ein paar Stunden lang still, der Verkehr rund um das Stadion kommt zum Erliegen und die Einheimischen tauchen ein in den Klub, für den sie ihr letztes Hemd geben würden. Der Stolz schwingt in jeder der während der 90 Minuten voller Inbrunst gesungenen Liedzeilen mit. In der heutigen Zeit ist ja alles mit ein wenig Tradition Angehauchte sofort Kult, Wrexham geht aber tatsächlich als Prototyp eines Kultklubs durch. Eine Wohlfühloase für Fußball-Romantiker.

Nicht nur aus Nächstenliebe

Die neuen Besitzer haben den Verein aber natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe gekauft. Die weltweite Popularität wird zum Beispiel durch eine Doku ("Welcome to Wrexham") gepusht, von der im Herbst 2024 die dritte Staffel zu sehen sein wird. Im Sommer ging der frischgebackene Viertligist auf Vorbereitungstour durch die USA (!), mit Spielen gegen den FC Chelsea und Manchester United. Im wohnzimmergroßen und an Spieltagen hoch frequentierten Fanshop am Stadion sind die Preise bereits erstligareif und natürlich wird via Online-Shop auch weltweit versendet, da die Nachfrage dementsprechend ist.

Die Karten für die Spiele hingegen kosten zwischen 9 und 25 Pfund (10 bis 29 Euro) und bewegen sich damit auf Viertliga-Niveau. Das durch die neuen Investoren hervorgerufene internationale Fan-Aufkommen wird mit eigens für die Fußball-Touristen geschaffenen Kontingenten bedient. Die Fans steuern als Erstes das legendäre "The Turf" an, den Pub direkt neben dem Stadion, das mit 15.000 Zuschauern nahezu immer ausverkauft ist und zudem seit dem vergangenen Sommer einen Sponsor im Namen trägt. Mit den knapp 1,1 Millionen Followern auf Instagram würde sich der Klub in der Premier League im unteren Mittelfeld einreihen.

Apropos Premier League: Wie weit soll es für den Verein gehen? "Wir schauen sicherlich nicht weiter als bis zum nächsten Spiel, aber ich habe kürzlich gesagt, dass ich die Premier League nicht für unmöglich halte", sagte Trainer Phil Parkinson. Und nannte Luton Town als Beispiel: 2013 noch Fünftligist, spielt der Verein seit dieser Saison ganz oben mit. "Es gibt Vereine, die versuchen, Erfolg zu haben, und sich dabei einem großen finanziellen Risiko aussetzen, aber unser Verein gehört nicht dazu. Die Eigentümer und ich wollen einen Verein aufbauen, der auf Jahre hinaus stark ist. Wenn wir weiterhin gute Verpflichtungen tätigen, hoffe ich, dass noch mehr kommen wird."

Ein durchdachter Plan

In der Tat steht in Wrexham offenbar ein durchdachter Plan hinter dem Projekt, der bislang aufgeht. Der ehemalige Liverpool-CEO Peter Moore ist als Berater dabei, zudem wurde der frühere Top-Funktionär Shaun Harvey im Vorstand installiert. Humphrey Ker, der McElhenney zuerst die Sunderland-Doku empfahl und dann Wrexham als Kaufobjekt ausmachte, ist Geschäftsführer.

Der Kader ist gespickt mit erfahrenen Spielern. Paul Mullin wurde von Drittligist Cambridge United gekauft und ist der Top-Torjäger. Oldie Steven Fletcher (36) hat wie Mittelfeldmann James McClean Premier-League-Erfahrung, außerdem spielte Fletcher für die schottische Nationalmannschaft. Auch Elliott Lee stand bereits höherklassig unter Vertrag, Torhüter Arthur Okonkwo wurde vom FC Arsenal ausgeliehen. Mullin und Lee haben zuletzt ihre Verträge vorzeitig bis 2027 verlängert. "Ich liebe es, hier zu spielen und als der Club mir das Angebot machte, habe ich die Chance ergriffen und freue mich darauf, weiterzumachen", sagte Mullin.

Aber auch die Besitzer spielen bei den Personalien natürlich eine Rolle. Fletcher grübelte im vergangenen September noch über dem Angebot, als er einen Anruf aus L.A. erhielt. Das Gespräch mit Ryan Reynolds sei ziemlich kurz gewesen, berichtete er bei BBC Radio 5 Live. "Es hieß nur: 'Wir würden dich gerne hier haben, um Teil des Klubs zu sein.' Und ich hatte mich zwar im Grunde schon entschieden. Aber es ist Ryan Reynolds, wie kann man da 'Nein' sagen?", so Fletcher.

Was kostet der ganze Spaß?

Und was lassen sich die Hollywood-Stars das Projekt kosten? Ganz frische Zahlen gibt es nicht, dafür aber ältere, die einen Hinweis liefern, dass das Ganze kein billiges Unterfangen ist. Die Bilanz der ersten vollen Reynolds-McElhenney-Saison 2021/22, die im Frühjahr 2023 veröffentlicht wurde, zeigt: Der Umsatz stieg um 404 Prozent auf umgerechnet fast sieben Millionen Euro, allerdings stand unter dem Strich ein Verlust von 3,3 Millionen Euro. Das Miteigentümer-Duo lieh dem Klub 4,26 Millionen Euro – zu einem Zinssatz von immerhin 7,25 Prozent.

In einer Folge der zweiten Staffel der Doku erfahren Reynolds und McElhenney, wie sehr sie bis zu dem Zeitpunkt schon finanziell geblutet haben: 11,62 Millionen Euro betrug damals das Minus. "Ich muss kotzen", entfuhr es Reynolds. Allerdings stellte Shaun Harvey auch klar, dass der Aufstieg von Wrexham für alle Beteiligten ein profitables Geschäft ist. "Der Wert, der sich aus der weltweiten Anziehungskraft ergibt, die wir geschaffen haben, wird die zusätzlichen Kosten, die wir verursacht haben, ausgleichen", erklärte er. Schon jetzt ist der Klub ein Vielfaches der rund 2,3 Millionen Euro wert, die Reynolds und McElhenney beim Kauf gezahlt haben. Berichten zufolge soll der Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr auf über 20 Millionen Euro hochgeschnellt sein.

Humphrey Ker bestätigt, dass die beiden einen langen Atem haben (wollen). "Rob und Ryan lieben es so sehr wie eh und je", sagt er "The Athletic". "Ich denke, das liegt daran, dass die Art und Weise, wie wir einen Fußballverein besitzen, extrem viel Spaß macht. Ja, es bringt eine große Menge an Verantwortung und Druck mit sich, plus all die anderen Dinge, die dazugehören, wenn man Hüter dieses historischen Klubs ist." Aber man sei auch in der außergewöhnlichen Position, ein wirklich einzigartiger Klub im Weltfußball zu sein, weil das Interesse von außen komme und von Leuten, die sich normalerweise nicht im Geringsten für Fußball interessieren, betonte er: "Das verschafft uns ein unglaubliches Maß an Ressourcen und erlaubt es uns, ehrgeizig und expansiv zu sein." Was sich an namhaften Sponsoren wie United Airlines und HP zeigt.

Und klar: Natürlich hilft am Ende auch der sportliche Erfolg. In der vierten englischen Liga, der League Two, hat sich Wrexham nach dem Aufstieg schon wieder oben festgesetzt. Nach 26 Spieltagen (Stand: 10. Januar) liegt der drittälteste Fußballklub der Welt auf Aufstiegsplatz drei, punktgleich mit dem Zweiten und nur zwei Punkte hinter dem Tabellenführer, der zudem schon ein Spiel mehr absolviert hat. Im prestigeträchtigen FA Cup steht man nach einem Sieg beim Drittligisten Shrewsbury Town in Runde vier und tritt Ende Januar beim Zweitligisten Blackburn Rovers an. Der Pokal ist die Bühne, auf der sich der Klub einer breiten Öffentlichkeit zeigen kann. Je weiter man kommt, desto besser. Und lukrativer.

Die erste Staffel der Doku wurde unlängst mit fünf Creative Arts Emmys ausgezeichnet. Ein Erfolg, der das Potenzial des Projekts unterstreicht. "Vielen Dank an die Stadt Wrexham und den AFC Wrexham, dass wir eure Geschichte miterleben und erzählen durften. Das war das größte Privileg meines Lebens", schrieb Reynolds auf X. Auch McElhenney bedankte sich, "vor allem bei den Menschen in Wrexham. [...] Ich hoffe, wir machen euch stolz". Möglicherweise ja sogar Carol und Scott.

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