Der Hamburger SV war nach dem ersten Abstieg seiner meist ruhmreichen Geschichte zum Aufstieg verdammt. Mit dem 1:4 in Paderborn aber verspielte der Dino der Bundesliga seine letzte Chance. Erst landeten vier Bälle im Netz - und anschließend jede Menge Häme über das Versagen des Vereins.
Wer den Schaden habe, spotte jeder Beschreibung, wandelte der große deutsche Humorist Heinz Erhardt einst ein bekanntes Sprichwort um.
Erhardts Wahlheimat war Hamburg. Dort wird auch in der kommenden Saison nur Zweitliga-Fußball gespielt, weil die Leistung des HSV seit Monaten jeder Beschreibung spottet. Der zugehörige Schaden ist riesig und weder sportlich noch wirtschaftlich abzusehen.
Das 1:4 beim direkten Konkurrenten um den Aufstieg, dem aus Liga drei aufgestiegenen SC Paderborn, war am 33. Spieltag der 2. Bundesliga der sportliche Sargnagel für den sechsmaligen Deutschen Meister.
Angesichts eines Rückstands von drei Punkten und sagenhaften 21 Toren auf den 1. FC Union Berlin und den Relegationsplatz zur Bundesliga ist die Hoffnung, diesen noch zu erreichen, nicht realistisch.
Aaron Hunt: "Wir haben versagt"
Die Enttäuschung darüber ist innerhalb des Vereins am größten. Sportdirektor Ralf Becker fasste die vergangenen zwei Monate als "Katastrophe" zusammen. Kapitän Aaron Hunt stimmte Becker zu und bemerkte: "Wir konnten uns aus dem Abwärtsstrudel einfach nicht befreien. Wir haben versagt."
Ersatztorwart Tom Mickel stellte die Charakterfrage: "Jeder Einzelne - da schließe ich mich ein - muss sich nun hinterfragen, ob er für dieses Ziel in der Rückrunde wirklich alles gegeben hat. Wir haben zu oft Mentalität vermissen lassen, und das darf man nicht!"
Es klang, als rede Mickel von der Abstiegssaison 2017/18. Die Symptome waren seinerzeit die gleichen und sind es eigentlich immer, wenn ein ambitionierter Verein wie der HSV sein Saisonziel verfehlt. "Wenn man für diesen Klub spielt, dann muss man Herz, Leben und Leidenschaft zeigen und das Trikot mit Stolz tragen", schloss Mickel an.
Wenn Verantwortliche und Spieler am Tag nach der Schmach dafür überhaupt einen Blick haben, so ernten sie außerhalb der eigenen vier Wände für ihr Versagen kaum Mitgefühl.
Die Satiriker der Sendereihe "extra3" twittern, das kostenlose Witze-Abo des HSV verlängere sich um ein weiteres Jahr.
Das Sportsatire-Format "Wumms" geht nach eigener Aussage "dahin, wo es wehtut (also den anderen)" und hält in einer der schwärzesten Stunden der HSV-Geschichte Wort. "Wumms" gratuliert per Twitter zunächst zum "Klassenerhalt".
Dann legen die "Wumms"-Redakteure nach und stellen die berühmte Bundesliga-Uhr des Hamburger SV in dessen Stadion virtuell auf Zweitliga-Zugehörigkeit um.
Der HSV selbst schaltete - trotz des noch ausstehenden Heimspiels gegen den feststehenden Absteiger MSV Duisburg - trotzig in den Analyse-Modus um. Auf Instagram gab der zweimalige Europapokalsieger zu, "nicht gut genug" gewesen zu sein.
Dass der Hamburger SV in der besten Ära seiner Vereins-Historie, die sich über das Jahrzehnt zwischen 1976 und 1987 erstreckte, mal 36 Bundesligaspiele in Serie nicht verlor, können sich jüngere Fans nicht mehr vorstellen. Die Krönung dieses Hochs war der Endspiel-Triumph über Juventus Turin im Europapokal der Landesmeister 1983.
Felix Magath "blutet das Herz"
Diesen sicherte mit seinem Tor Felix Magath. Der ehemalige Spieler und Trainer der Rothosen spricht auf Facebook von einem "Desaster. Mir blutet das Herz."
Er habe sich nicht vorstellen können, "dass der HSV am vorletzten Spieltag gegen Paderborn (Aufsteiger aus der 3. Liga!) nicht gewinnt. Jetzt bin ich sprachlos", betonte Magath.
Sie hätten einen wie Uwe Seeler gebraucht
Das enttäuschte Vereins-Denkmal Uwe Seeler hätte gerne selbst noch mitgeholfen. "Aber ich kann leider nicht mehr", klagte er mit einem Augenzwinkern gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Schuldzuweisungen unterließ der 82-Jährige: "Die Verantwortlichen wissen sicher Bescheid, warum es nicht gereicht hat", meinte Seeler.
Der frühere Torjäger und Vereinsboss ließ aber durchblicken, dass er den Kader nach dem Abstieg im Vorjahr vollzogenen Umbruch nicht für ausgewogen genug besetzt hält. "Wir waren weder vorne noch hinten sattelfest", stellte Seeler kritisch fest.
Uli Stein zeigt auf Eintracht Frankfurt
Auch der einstige Nationaltorwart Uli Stein, 1982 und 1983 Deutscher Meister mit dem HSV und Mitglied der legendären Europapokal-Elf von 1983, sucht nach Erklärungen.
"In vieler Hinsicht bleibt mir unerklärlich", rätselt Stein, "was mit meinem Ex-Klub in der 2. Liga passiert ist. Wahrscheinlich hat sich die permanente Drucksituation, in der sich die Mannschaft im Vergleich zur Konkurrenz aus Berlin und Paderborn befand, negativ ausgewirkt", schrieb Stein in seiner Kolumne für den "kicker".
Er empfahl den HSV-Bossen, sich auf der Suche nach einem Rückweg in die Erfolgsspur an der Frankfurter Eintracht zu orientieren. Diese nahm Stein 1987 nach dessen Rauswurf in Hamburg auf.
"Vor sieben Jahren ist die Eintracht letztmals in die Bundesliga aufgestiegen und hat sich seither nahezu kontinuierlich weiterentwickelt, unter schwereren Rahmenbedingungen, als man sie in Hamburg vorfindet", wies Stein auf den Pokalsieg der Hessen und deren anschließenden, beeindruckenden Lauf in der Europa League hin. Ungeschlagen scheiterte die Eintracht am haushohen Favoriten FC Chelsea London erst im Elfmeterschießen des Halbfinal-Rückspiels.
Stiens konkreter Tipp für den HSV lautet, "mit viel Feingefühl eine Mannschaft nach Qualität und Perspektive und nicht nach Namen" zusammenzustellen.
Seeler-Mitspieler Willi Schulz ist "sprachlos"
Einen erneuten Umbruch im Team, das seit acht Punktspielen sieglos ist, hält auch Willi Schulz für unvermeidlich. Die Abwehr-Legende kickte beim HSV noch mit Uwe Seeler zusammen und bestritt gemeinsam mit dem Hamburger Idol die Weltmeisterschaften 1962, 1966 und 1970.
Er sei "sprachlos", gleichzeitig aber "zu weit weg" von der Mannschaft, um konkrete Schuldzuweisungen zu treffen. "Wir können nur hoffen, dass wir uns fangen und wieder dahin kommen, wo wir hingehören - in die Bundesliga", sagte der 80-jährige Schulz der Deutschen Presse-Agentur.
Trainer Hannes Wolf steht vor der Entlassung
Ob der Aufstieg noch mit dem sportlich angeschlagenen Trainer Hannes Wolf passiert, ist sehr fraglich. "Wir werden das in Ruhe besprechen", zitierte der "kicker" Sportchef Becker.
Für Stein stünde die Trennung von Wolf außer Frage. "Den Beweis, ein erfolgreicher Trainer im Profigeschäft zu sein, hat Hannes Wolf nachhaltig (...) noch nicht erbracht." Und dies, obwohl dem 38-Jährigen 2017 mit dem VfB Stuttgart das gelungen war, was er mit dem HSV nicht erreichte: in die Bundesliga aufzusteigen.
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