2024 kehrt die Formel 1 durch eine Kooperation mit dem Pay-TV-Sender Sky zu RTL zurück. Was soll dieser Deal den Sendern bringen? Und was bedeutet das für die Formel 1 in Deutschland? Wir haben mit dem Sportökonomen Christoph Bertling darüber gesprochen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Zahlen überraschen nicht. Viel mehr sind sie ein Beleg dafür, wie schwer es die Formel 1 aktuell in Deutschland hat. 2023 verfolgten beim Pay-TV-Sender Sky im Schnitt 782.000 Menschen die Rennen der Motorsport-Königsklasse. Ein Jahr zuvor waren es noch 980.000 Fans gewesen. Ein Rückgang um 20 Prozent.

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Parallel dazu schaffte es Sky nicht, für die vertraglich festgelegten vier Rennen einen Free-TV-Partner zu finden. Am Ende musste der Sender die vier Läufe auf der eigenen Plattform frei zugänglich zeigen. Zuvor hatte das zwei Jahre lang RTL übernommen.

Die Formel 1 steckt in Deutschland nicht nur deshalb in einer Krise. "Das Problem ist, dass die Formel 1 ein Stück weit aus der Gesellschaft verschwunden ist, denn es gibt keine deutschen Rennen mehr. Daneben gibt es aus deutscher Sicht auch keine Protagonisten, keine Stars mehr", sagte Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler Christoph Bertling von der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. Das letzte Rennen auf deutschem Boden fand 2020 auf dem Nürburgring statt, 2024 taucht Deutschland auch im 24 Rennen umfassenden Rekordkalender nicht auf.

Keine deutschen Rennen, keine deutschen Stars

Sebastian Vettel hat Ende 2022 aufgehört, Mick Schumacher ist 2024 wie im Jahr zuvor nur Ersatzmann bei Mercedes, und Nico Hülkenberg spielt bei Haas im Gesamtkontext der Formel 1 sportlich nur die dritte Geige. Womit der einstige Quotenrenner Formel 1 auf dem deutschen Markt nur noch zweitrangig ist.

Als RTL 2020 noch alle Rennen zeigte, waren im Schnitt vier Millionen Fans dabei. 2021 schauten bei den vier frei empfangbaren Läufen 3,13 Millionen zu, 2022 nur noch 2,5 Millionen Fans. "Und damit geht auch das Interesse der Vermarktung durch den Besitzer Liberty Media eher in andere Märkte, vor allem in den US-amerikanischen Raum", argumentiert Bertling.

Im Dezember gab es eine überraschende Entwicklung auf dem deutschen TV-Markt. Dank einer Kooperation zwischen Sky und RTL zeigt der Kölner Privatsender sieben Formel-1-Rennen live, darunter auch den Saisonstart am 2. März in Bahrain.

Zudem sind die Grand Prix von Ungarn, Belgien, den Niederlanden, Italien, Aserbaidschan und Las Vegas kostenlos zu sehen sein. Daneben überträgt RTL an den sieben Rennwochenenden auch das Qualifying beziehungsweise den Sprint am Samstag. Wie bewertet der Experte den überraschenden Schachzug?

"Das ist relativ clever. Es geht ja darum, dass man als Pay-TV-Sender zwar den exklusiven Kreis hat, aber man natürlich auch einen Promotion-Effekt braucht", sagt Bertling. Denn es sei keine Selbstverständlichkeit mehr, mit einer Sportart oder mit den dazugehörigen Rechten tatsächlich wahrgenommen zu werden.

Content-Marketing ist stärker gefragt, als es früher der Fall war. "Das heißt, dass man auch immer wieder in der Masse präsent sein muss. Und deshalb ist es für Sky letztendlich eine ganz gute Möglichkeit, die Formel 1 auch in die Masse zu tragen", so Bertling. Um so neue Fans zu generieren und in das Abo-Modell zu ziehen.

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Ruckelfreier Wiedereinstieg für RTL

RTL kann wiederum auf vermutlich noch vorhandene Strukturen, auf über die Jahrzehnte gewonnenes Know-how und bekanntes Personal setzen, ohne zu teuer einkaufen zu müssen. "Von daher ist das ein höchst plausibles Modell", so Bertling.

Doch sind sieben Rennen für RTL genug, um über ein ganzes Jahr im Bewusstsein zu bleiben? Ja, sagt Bertling und verweist auf Erkenntnisse aus der Marketinglehre, "dass sich die Leute an Sender, die eine Sportart relativ lange hatten, sehr, sehr stark erinnern. Die Formel 1 wird ganz sicher noch sehr stark mit RTL in Verbindung gebracht", sagt Bertling.

Für den Sender wird es also sehr wahrscheinlich ein fließendes, ruckelfreies Comeback geben. Es wird dann spannend sein zu sehen, wie viele Fans RTL im Laufe des Jahres vor die Geräte locken kann.

Vermutlich wird die Zusammenarbeit zwischen Sky und RTL das Quoten-Problem aber nicht gänzlich lösen. Das Potenzial ist in der Hinsicht aktuell stark begrenzt. Auch weil der Titelkampf mit den Dominatoren Max Verstappen und Red Bull Racing zuletzt wenig Spannung, Kontroversen und damit Geschichten hergab.

"Ich sehe nichts Unmittelbares, das die Quoten in die Höhe treibt", betont Bertling: "Da müssen Zufälle zusammenkommen. Dass deutsche Fahrer doch plötzlich besonders gut sind, dass es vielleicht doch wieder eine Veranstaltung in Deutschland gibt. Es muss sich etwas entwickeln." Ein enger Titelkampf wie 2021 wäre so etwas, doch das muss sich erst zeigen.

Auch die Möglichkeiten der Sender halten sich in Grenzen. RTL dürfte weitgehend auf das von früher bewährte Format setzen, Bertling geht nicht davon aus, dass man sich bei der Sendung komplett neu erfinden wird. "Aber es ist vielleicht auch ein Imagewert, den man hat, dass man der Formel 1 treu bleibt und sie weiter begleitet. Sicherlich sind die Lizenzen auch nicht so teuer wie früher, sodass es sich dann selbst bei geringeren Reichweiten wirtschaftlich lohnen kann", sagt der Experte.

Welches Potenzial bietet die Formel 1 noch?

Ist denn die TV-Talsohle jetzt erreicht, kann es mit dem Deal bergauf gehen für die Formel 1 in Deutschland? "Das ist schwer zu sagen", urteilt Bertling. Er glaubt nicht, dass es durch die Rückkehr ins Free-TV große Ausschläge nach oben geben wird. "Aber die Chance ist nun größer, dass sich wieder mehr Leute für die Formel 1 begeistern. Aber ich würde nicht von einem Boost ausgehen."

Was nicht bedeutet, dass die Formel 1 kein Potenzial mehr besitzt. Sicherlich gehören die goldenen Zeiten um Legende Michael Schumacher mit Quoten um zehn oder zwölf Millionen Menschen der Vergangenheit an. Doch der Experte glaubt, dass "die üblichen Mechanismen, die dann funktionieren", auch bei einem neuen deutschen Helden greifen könnten.

"Denn es ist meistens nicht die Sportart an sich, sondern es sind die Personen und die Umstände, die für einen Boost sorgen", argumentiert Bertling. Und sollte in der Hinsicht etwas passieren, "hat man sicherlich heute auch noch sehr gute Möglichkeiten, die Sportart nach oben zu ziehen." Damit die Zahlen endlich mal wieder positiv überraschen.

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Über den Experten

  • Dr. Christoph Bertling ist Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler an der Sporthochschule Köln.
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