- Claudia Hürtgen fährt in der neuen Extreme E an der Seite von Mattias Ekström, die Rennserie setzt sich für Umwelt, Klimawandel und Gleichstellung ein.
- Die 49-Jährige sorgte zum Auftakt mit einem heftigen Crash für Aufsehen.
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über den Unfall, das Potenzial der Extreme E und das schwierige Thema Frauen im Motorsport.
Es war die Programmzeitschrift "prisma", die Claudia Hürtgen den Weg in den Motorsport ebnete. 1985 wurde von den Machern der Zeitschrift Deutschlands bester Kartfahrer gesucht. Hürtgen gewann den Wettbewerb, erhielt dafür ein Kart, das erste Startgeld und damit auch den Startschuss für ihre Karriere. Dass es für Frauen im Motorsport damals schon schwierig war – "damals habe ich nicht drüber nachgedacht, sondern einfach Gas gegeben" –, verrät sie im Interview mit unserer Redaktion.
Mit 49 Jahren ist sie jetzt noch einmal eine neue Herausforderung angegangen: In der Extreme E, die mit Rennen in der Wüste, an der Ozeanküste, in der Arktis, im Urwald und im Gebirge unter anderem auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam machen will, teilt sie sich mit dem Schweden Mattias Ekström einen 550 PS starken Elektro-SUV.
Wir haben vor dem zweiten Event im Senegal an diesem Wochenende mit Hürtgen über das Potenzial der Rennserie, ihren heftigen Crash beim Auftakt und Frauen im Motorsport gesprochen.
Frau Hürtgen, Sie hatten zwei Crashs zum Auftakt der Extreme E in Saudi-Arabien. Haben Sie es schon bereut, dass Sie bei dem Abenteuer dabei sind?
Claudia Hürtgen: Nein, natürlich nicht. Das gehört zum Motorsport dazu. Wir begeben uns immer an Grenzen, außerdem ist die Extreme E eine neue Art Motorsport, ein neues Konzept mit vielen neuen Themen wie die ungewöhnlichen Locations und die neuen Autos. Das sind Erfahrungen, die man sammelt. Und manche tun dann schon mal mehr weh als andere.
"Meinen Körper hat es bei dem Unfall ganz schön durchgerüttelt"
Vor allem der erste Abflug sah heftig aus: Wie lange merkt man das körperlich noch?
Ich merke es immer noch. Ich habe noch lädierte Knie, die sind aber kein Problem. Ich bin beim Masseur und Physiotherapeuten in Behandlung, weil es meinen Körper bei dem Unfall ganz schön durchgerüttelt hat. Das bringen wir gerade wieder in Einklang. Aber ich reise fit in den Senegal.
Was geht einem bei einem Crash durch den Kopf?
Das geht alles sehr schnell, man ist nur noch Passagier. Was einem durch den Kopf geht: Dass man richtig reagiert, also zum Beispiel die Hände richtig platziert. Ich hatte Blut im Mund, weil ich mir auf die Zunge gebissen hatte, das war seltsam. Nach dem Crash kontrolliert man erst einmal sich selbst und danach die Technik, also zum Beispiel, ob das Auto unter Strom steht oder nicht.
Hatten Sie Zeit, um Angst zu haben?
Nein, man ist auch danach erst einmal ziemlich ruhig. Das geht alles ratzfatz.
Mal provokativ gefragt: Warum tut man sich das mit fast 50 noch an?
Natürlich fragt man sich das manchmal, besonders in solchen Momenten. Denn natürlich muss ich mir nichts mehr beweisen - aber trotzdem ist es eine Herausforderung, und dafür bin ich Motorsportlerin. Im Nachgang reflektiert man alles, und das habe ich ziemlich lange getan. Klar ist: Es ist eine Herausforderung, und dabei geht es um das ganze Paket. Autofahren kann ich, aber es geht ja auch darum, seine Herangehensweise zu adaptieren an die ganzen Gegebenheiten vor Ort. Ich habe die Herausforderung angenommen und werde das auch weiter tun.
Wie herausfordernd ist das Auto, ein Elektro-SUV mit 550 PS, zu fahren?
Da das Auto einen Elektroantrieb hat, drückst du auf das Gaspedal und hast sofort sehr, sehr starke Antriebskräfte und es geht ab. Die Aufgabe ist nicht utopisch oder die Fahrweise eine komplett neue. Das Auto ist sehr gut zu fahren, und es ist durchaus vergleichbar mit einem Straßen-SUV, der viel Leistung hat. Es fühlt sich fast genauso an. Die Herausforderungen sind vor allem die Gegebenheiten vor Ort wie zuletzt die Wüste in Saudi-Arabien.
Wie fällt denn Ihre Bilanz vom ersten Rennwochenende der neuen Rennserie aus? Was macht die Serie gut?
Die Umweltziele haben die Verantwortlichen sehr gut mit dem sportlichen Aspekt verknüpft. Sie haben es gut verkauft, und das ist durchaus ein wichtiger Punkt. Jetzt müssen wir das Thema weiter entwickeln, zusammen mit dem Team und mit den Organisatoren.
Was könnte besser laufen?
Dass wir mit diesen Autos Rad an Rad kämpfen können - das war in Saudi-Arabien noch nicht ganz der Fall. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Das erste Rennwochenende hat aber klar gezeigt, dass das Interesse an dieser Art von Motorsport da ist.
Die Serie fährt in entlegenen Winkeln der Erde: Kommt da Lagerfeuer-Romantik und Pionier-Geist auf oder ist das auch da knallhartes Business?
Das ist knallhartes Business. Man spricht schon mal miteinander. Aber am Ende schaut jeder auf seine Sache und ist voll fokussiert.
Sie sind lange im Geschäft und ein Petrolhead: Wie stehen Sie dem Wandel im Motorsport gegenüber?
Der Fokus geht mehr in Richtung Umwelt. Ich glaube aber nicht, dass der Motorsport-Spirit dadurch negativ beeinflusst wird, es können weiterhin tolle Rennen gefahren werden. Natürlich spielt der Sound für manche eine Rolle, doch der Sport bleibt das Wichtigste.
Die Serie verfolgt Ziele wie Elektrifizierung, Umwelt, Klimawandel und auch Gleichstellung: Wie sehen Sie das Potenzial in den Bereichen?
Das Potenzial ist da, weil es zu den Themen einen riesigen Informationsfluss gibt, die Menschen werden sensibilisiert. Ich gebe zu: Ich schaue inzwischen ganz anders auf die Themen Umwelt und Klimawandel. Was man sieht, wenn man mit offenen Augen durch die Länder fährt, ist unglaublich. Man macht sich Gedanken, über die Situation, aber auch, wie man sie verbessern könnte. Man erkennt, wie weit viele Länder noch weg sind beim Thema Umweltschutz und Klimawandel. Wenn man die Menschen dann vor Ort durch solche Veranstaltungen mitreißen oder sie auch unterstützen kann, ist das eine Menge wert.
"Damals habe ich nicht drüber nachgedacht, sondern einfach Gas gegeben"
Wichtig dürfte für Sie auch das Thema Frauen im Motorsport sein. Wie schwierig war es damals in den 1990er Jahren für Sie im Motorsport?
Damals habe ich nicht drüber nachgedacht, sondern einfach Gas gegeben. Ich bin bereits im Kartsport schnell an Sponsoren gelangt, darüber bin ich dann zu Ford gekommen. Dank der Sponsoren und Förderer habe ich die nächsten Schritte gemacht. Überall wo ich gefahren bin, habe ich mir vorgenommen, im zweiten Jahr vorne mitzufahren. Das ist mir auch meistens gelungen. Ich hatte immer gute Leute um mich herum, die meine Leistungen geschätzt haben. Ich selbst habe mir nie Gedanken gemacht, ob ich es als Frau leichter oder schwerer habe. Ich bin einfach meinen Weg gegangen.
Akzeptanz oder Respekt holt man sich durch Leistung. Mussten Sie als Frau mehr Leistung bringen als die Männer?
Nein, das Gefühl hatte ich nicht. Mein Förderer Dr. Helmut Marko (heutiger Motorsportberater bei Red Bull, Anm. d. Red.) hat mir immer gesagt: "Hole das Maximum raus, und wenn du die Schnellste bist, muss den Rest das Team machen." Das habe ich immer probiert. Später im GT-Sport waren wir mit mehreren Fahrern auf einem Auto, und damit hat man auch einen guten Vergleich. Und wenn du da bei der Musik bist, geht es mit der Karriere voran.
Was war der dümmste Spruch, den Sie sich anhören mussten?
Unter den Fahrern war das Verhältnis bisher immer völlig in Ordnung, dumme Sprüche gab es vor allem aus dem Umfeld der Fahrer. Da fielen dann so Sätze wie: "Ey, die da ist vor dir gefahren!". Oder aber: "Du lässt dich von einer Frau schlagen?" Ich bin dann immer lächelnd weitergegangen. Es waren viele Neider dabei. Auch hier gab mir Dr. Marko den Rat: "Claudia, Neid musst du dir erarbeiten. Alles andere bekommst du geschenkt, also schau nach vorne."
Was würden Sie dem weiblichen Nachwuchs heute raten?
Voller Fokus auf das Ziel, auf das, was man erreichen möchte. Und volle Performance zeigen und versuchen, das Maximale aus dem Paket herauszuholen, und dabei nicht nach rechts und links schauen. Wenn die Rundenzeiten passen, kann man die Kommentare wunderbar weglächeln. Das ist das schönste Gefühl.
Wie sehen Sie generell die Entwicklung, was Frauen im Motorsport betrifft? Wird genug getan?
Es könnte besser sein. Bis zu einem gewissen Punkt sieht man ein, zwei Frauen mitfahren. Aber dass eine Frau wirklich um den Titel fahren kann oder sogar einen gewinnt, da sind wir von entfernt. Siege sind wichtig, auch zum Beispiel im GT Masters. Mit meinen Siegen dort kann ich heute noch angeben (lacht).
Es gibt ja zahlreiche Initiativen für Frauen im Motorsport: Woran hapert es denn?
Am Ende müssen sich die Frauen in den Klassen mit den Gegnern messen, die dort fahren. Wenn man im zweiten Jahr einer Meisterschaft fährt, müssen Rennsiege her. Wenn das mal eine Frau schafft und dann in ein Nachwuchsprogramm kommt, könnte das zielführend sein. Aber die ganz großen Budgettöpfe sind dann offenbar doch nicht da oder werden anders genutzt.
Was kann noch getan werden, um Talente zu fördern?
Wenn im Kartsport schon 100.000 Euro hingelegt werden müssen, wo soll das enden? Das ist in meinen Augen der falsche Weg. Es braucht eine Vision, ein Ziel, konkrete Schritte. Die Budgets müssen überschaubar sein, und irgendwann muss man als Fahrer in ein Förderprogramm kommen. Solche Möglichkeiten gibt es noch nicht, allerdings gibt es im Kartsport auch noch keine Fahrerinnen, die aktuell um Siege kämpfen. Da muss man ansetzen, sich auf ein, zwei Fahrerinnen konzentrieren und ihnen die Möglichkeiten geben, sich so aufzustellen, dass sie gewinnen können. Ein reines Damenteam in der WEC zum Beispiel ist ein tolles Projekt, aber ganz sicher keine langfristig ausgerichtete Strategie.
Sophia Flörsch ist eine deutsche Hoffnung, sie steigt in die DTM ein. Wie bewerten Sie das?
Das ist sehr positiv. Das Sportwagen-Projekt hat sie ja auch noch. Zusammen mit ABT in der DTM ist definitiv spannend, ich hoffe auch erfolgreich.
Flörschs Ziel ist weiterhin die Formel 1 – ist die DTM mit den GT3-Autos der richtige Weg?
Generell kann man auch da viel lernen. Wenn du im GT3-Auto schnell bist, weißt du, dass du etwas kannst. Wie viel das in Richtung Formel 1 und Expertise ausmacht – schwierig. Klar ist es wichtig, in einem Formelauto zu sitzen, doch natürlich lernt man in einem GT-Auto, seinen Fahrstil anzupassen, mit weniger Abtrieb zu fahren, die Bremspunkte anders zu wählen. Das macht den Fahrer kompletter und wird ihr helfen.
Wie finden Sie Flörsch als Botschafterin für Frauen im Motorsport?
Ich kenne Sophia noch nicht persönlich. Aber sie macht viel, und das ist gut, vor allem für junge Mädchen und Frauen. Aber das Wichtigste ist immer der Erfolg: Rennen und Titel zu gewinnen ist die beste Botschaft, die sie senden kann. Das wird die Herausforderung für sie: Rennen zu gewinnen und Erfolge zu feiern, denn dann sind alle Türen offen. Möglicherweise dann auch bis in die Formel 1.
"Nur der Erfolg wird die Türen öffnen"
Wann sehen wir eine Frau in der Formel 1?
Nicht in den nächsten ein, zwei Jahren, aber in drei, vier Jahren ist da vielleicht etwas möglich. Jamie Chadwick zum Beispiel macht das ganz gut, sie ist sehr fokussiert, sie will, und sie hat auch ein gewisses Können. Sie wird sicher ihre Chancen bekommen und ich hoffe, dass es weit geht. Auch hier gilt: Nur der Erfolg wird die Türen öffnen.
Das gilt auch für eine Rennserie wie die Extreme E. Wie wird sich die Rennserie sportlich positionieren können?
Wenn die Organisatoren das Konzept umsetzen, das sie im Kopf haben, wird sie sich etablieren. Das erste Feedback der Leute, dass es interessant gewesen ist, darf man nie aus den Augen verlieren, denn dann bleibt man lange interessant.
Sie belegen nach dem ersten von fünf Rennwochenenden Platz sieben unter neun Teams. Wie sind die Ziele für den Rest des Jahres?
In der Extreme E ist Weltklasse am Start mit viel Erfahrung, auch bei den Teams. Wenn zum Beispiel Nico Rosberg vier Tage vor Ort ist, um sein Team zu unterstützen, weiß man, worum es geht. Da wird Gas gegeben, ob nun bei Fahrern oder Teams. Wir wollen auf jeden Fall auf das Podium fahren. Aber wir versuchen auch, das ganze Projekt und die Idee in die Welt zu tragen.
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