Braucht Deutschland eine Siesta in den Sommermonaten? Diese Idee hat kürzlich der Vorsitzende des Bundesverbands der Amtsärzte, Johannes Nießen, aufgebracht. Seitdem ist sie auf viel Zuspruch aus Politik und Wirtschaft gestoßen. Doch wie kommt die Idee in der Bevölkerung an?

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Im Auftrag unserer Redaktion hat das Meinungsforschungsinstitut Civey zwei repräsentative Umfragen zu einer möglichen Mittagsruhe durchgeführt. Zunächst ging es um die folgende Frage, für die rund 5.000 Bürgerinnen und Bürger online befragt wurden:

  • "Wie würden Sie die Einführung einer 'Siesta' (mehrstündige Mittagsruhe) nach südeuropäischem Vorbild im deutschen Sommer bewerten, bei der Arbeitszeiten nach vorne oder hinten verlagert werden würden?"

Das Ergebnis fällt eindeutig aus: Etwas mehr als die Hälfte der Befragten, 51 Prozent, bewerteten die potenzielle Einführung einer Siesta als negativ. Auf der anderen Seite sprach sich nur ein Viertel der Befragten (27 Prozent) für eine längere Mittagsruhe in den Sommermonaten aus. 22 Prozent waren unentschieden. Die Gründe waren nicht Gegenstand der Befragung.

Unter denjenigen, die eine Siesta positiv bewerten, sind Anhänger und Anhängerinnen der Grünen und Linken am stärksten vertreten. Menschen, die mit der AfD (68 Prozent), der CDU/CSU (57 Prozent) oder der FDP (56 Prozent) sympathisieren, sprechen sich hingegen am stärksten gegen die Einführung der langen Mittagspause aus.

Im Falle einer Siesta in Deutschland: Diese Arbeitszeiten bevorzugen die Befragten

Bei der zweiten Frage, die sich an knapp 1.100 Berufstätige ab 18 Jahren wandte, ging es darum, welches Arbeitszeitenmodell man in dem hypothetischen Fall bevorzugen würde, wenn die Siesta in Deutschland eingeführt würde: Früher anfangen oder später aufhören, um die Arbeitszeit der verlängerten Mittagspause wieder hereinzuholen?

  • "Angenommen, es würde eine 'Siesta' (mehrstündige Mittagsruhe) im Sommer in Deutschland eingeführt werden: Welches Arbeitszeitmodell würden Sie bevorzugen, wenn Sie die Wahl hätten?"

Auch hier gab es ein eindeutiges Ergebnis: 43 Prozent der Erwerbstätigen würden einen früheren Arbeitsbeginn bevorzugen. Nur 10 Prozent würden hingegen den späteren Feierabend wählen. 44 Prozent konnten sich nicht für eine der beiden Optionen entscheiden.

Doch Zweifel an der Siesta gibt es nicht nur unten den Befragten unserer Umfrage, sondern auch in Ländern, die sie seit Generationen mit ihr aufgewachsen sind. Ein Blick nach Spanien etwa zeigt, dass die Siesta auch dort gesellschaftlich längst nicht unumstritten ist.

Das Prinzip der Siesta kennt man schon seit dem 17. Jahrhundert; in den heißesten Stunden legte man damals die Arbeit in der Landwirtschaft nieder. Um den hohen Temperaturen zu entfliehen, ist das auch heute noch in einigen südeuropäischen Ländern Usus: Geschäfte sind dann geschlossen und das öffentliche Leben wird heruntergefahren.

Siesta: Mehr Klischee als Realität?

Im Süden Spaniens gilt diese Mittagsruhe etwa von 14 bis 17 Uhr (im Norden bis 16 Uhr), in Griechenland zwischen 15 Uhr und 17:30 Uhr. Auch im Süden Frankreichs oder in Portugal gibt es Ruheregelungen in der Nachmittagszeit. Doch die mehrstündige Siesta, die in den Mittagsstunden ein ganzes Land "lahmlegt" und in der Menschen sich ausruhen, entspricht wohl eher einem Klischee als der Realität.

"Mein Eindruck ist, viele Menschen in Deutschland haben ein sehr homogenes Bild von Siesta", sagt Ralf Christoph vom Zentrum für Integrationsstudien der TU Dresden. Der Romanist hat sich akademisch mit der Siesta und ihrer Bedeutung für Spanien beschäftigt und selbst in Spanien gelebt. "Wer im Sommer Urlaub in Andalusien macht, erlebt die Mittagshitze und dass zwischen 14 und 17 Uhr sehr viele Geschäfte geschlossen haben und kaum jemand auf der Straße ist. Das heißt aber nicht, dass das so das ganze Jahr und in jeder Region stattfindet – oder dass tatsächlich jeder zu Hause ist und ein Mittagsschläfchen macht."

Natürlich können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die lange Mittagspause dafür nutzen, sich auszuruhen oder für ein langes Mittagsessen mit der Familie. Viele erledigen in dieser Zeit allerdings auch lange Liegengebliebenes oder arbeiten weiter. Bei manch einem gilt es regelrecht als verpönt, die Siesta nicht produktiv zu nutzen, sondern sich nur auszuruhen.

Außerdem, so Ralf Christoph, sei die Siesta, die zwei oder drei Stunden dauert, nur in bestimmten Branchen üblich, denn natürlich muss die Grundversorgung der Gesellschaft, etwa in Krankenhäusern, durchgehend gewährleistet sein. "Eine gesetzliche Vorschrift, ob und in welcher Weise Unternehmen eine Siesta anbieten, gibt es nicht." Laut Europäischer Kommission beträgt die maximale Arbeitszeit in Spanien pro Tag neun Stunden, mit einer Pause von mindestens 15 Minuten. Das heißt: Betriebe können selbst entscheiden, in welcher Form die Mitarbeitenden Mittag machen können.

Mehr als nur eine Mittagspause

Im Süden Spaniens, wo noch viele Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, hat die Siesta nach wie vor einen hohen Stellenwert. Auf der anderen Seite gibt es größere Unternehmen in Städten wie Madrid oder Barcelona, die die Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice und klimatisierte Büroräume haben und sich oft an mitteleuropäischen Arbeitszeitmodellen orientieren, mit einer Mittagspause, die maximal eine Stunde dauert.

"Bei diesem Thema scheiden sich die Geister", sagt auch Christoph. Während die einen die voranschreitende Veränderung hin zu mitteleuropäischen Arbeitsstandards begrüßen, beklagen andere den Wegfall eines Kulturguts: In Spanien ist man mit der Siesta aufgewachsen. Sie gibt eine Struktur des Tages, wenn nicht in gewisser Weise sogar des Lebens vor.

In vielen Familien haben Eltern gemeinsam mit ihren Kindern zu Mittag gegessen, ehe es zurück in die Arbeit oder Schule ging. Denn natürlich sind auch die Öffnungszeiten von Schulen oder Kitas in Spanien an die Siesta angepasst. "Das sind Strukturen, die gesellschaftlich anerkannt und sozialisiert sind." Die große Herausforderung, vor der Spanien jetzt stehe, sei die Frage: Wie können diese gesellschaftlich verankerten Strukturen und die moderne Arbeitswelt miteinander vereinbart werden?

Zur Person: Ralf Christoph arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Integrationsstudien der Technischen Universität Dresden.
Informationen zur Methode von Civey: Für die repräsentative Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Civey die Antworten von 5.060 bzw. 1.071 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland berücksichtigt. Das Gesamtergebnis ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben unter anderem Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort angegeben und wurden registriert und verifiziert. Civey korrigiert Verzerrungen durch ein mehrstufiges Gewichtungsverfahren. Der Befragungszeitraum war der 19. bis 24. Juli 2023. Der statistische Fehler der Ergebnisse beträgt 2,5 bzw. 4,8 Prozent. Zusätzliche Informationen zur Methode finden Sie auf Civey.com und im Civey-Whitepaper.

Verwendete Quellen:

  • Telefonisches Interview mit Ralf Christoph
  • Bundesregierung: 7 Dinge, die Sie über Spanien wissen sollten.
  • Europäische Kommission: Lebens- und Arbeitsbedingungen: Spanien.
  • Europäische Kommission: Tabelle: Durchschnittliche normalerweise geleistete Wochenarbeitsstunden in Haupttätigkeit, nach Geschlecht, Alter, Stellung im Beruf, Vollzeit-/Teilzeittätigkeit und Wirtschaftszweigen.
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