Es sieht nicht gut aus für Donald Trump. In aktuellen Umfragen liegt der amtierende Präsident zwei Monate vor der US-Wahl hinter seinem Konkurrenten Joe Biden. Doch schon seit Längerem untergräbt er das Vertrauen in den Ablauf der Abstimmung - mit weitreichenden Folgen.

Eine Analyse
von Stephen Collinson

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Es ist nicht der erste und sicherlich auch nicht der letzte Angriff von Donald Trump auf die Integrität der US-Präsidentschaftswahl gewesen. Es war allerdings ein besonders verblüffender Moment: Der US-Präsident schlug am vergangenen Mittwoch den Wählern im US-Bundesstaat North Carolina tatsächlich vor, zu versuchen, zweimal abzustimmen, um so die Sicherheit der Briefwahl zu testen.

Das ist alles andere als eine Bagatelle: Trump ermutigte seine Anhänger dazu, eine potenziell illegale Handlung zu begehen. Die doppelte Stimmenabgabe per Briefwahl und direkt an der Urne bei der Wahl im November könnte mit einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 10.000 US-Dollar oder sogar bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.

Weitere Belege für die Einmischung in die kommende Abstimmung hatte Trump nur kurz geliefert: Das Heimatschutzministerium soll "ABC News" zufolge ein Geheimdienstbulletin zurückgehalten haben. In dem wird vor einem russischen Komplott zur Verbreitung von Fehlinformationen über Joe Bidens Gesundheitszustand gewarnt – genau jener Punkt, auf den sich Trump bei seinen Attacken auf seinen demokratischen Kontrahenten stützt.

US-Wahl 2020: Wenig neutrale Rolle des Generalstaatsanwalts

Wenn die Geschichte der US-Wahl 2016 eine breit angelegte Einmischungsaktion einer ausländischen Macht zugunsten von Trump war, so scheint die Geschichte der Wahl 2020 zunehmend ein Versuch des US-Präsidenten selbst zu sein, die Exekutivgewalt zu nutzen, um die Wahl zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Es hat wohl noch nie eine Wahl in den Vereinigten Staaten gegeben, bei der ein amtierender Präsident so öffentlich und schamlos versucht hat, das alle vier Jahre wiederkehrende Kernelement einer jeden Demokratie – die Abgabe der eigenen Stimme – als korrupt darzustellen.

Trumps Versuch, die Briefwahl zu diskreditieren, erhielt starke Rückendeckung von Generalstaatsanwalt William Bar. Der erklärte in einem CNN-Interview, der Corona-bedingte Wechsel vom klassischen Urnengang hin zur Briefwahl sei "leichtsinnig und gefährlich". "Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Wir sind hier ein sehr gespaltenes Land", sagte Barr in der CNN-Show "The Situation Room".

Der 70 Jahre alte Republikaner erklärte, Gegner aus dem Ausland könnten versuchen, betrügerische Briefwahlzettel einzuwerfen. Beweise zur Untermauerung dieser Behauptung lieferte Barr nicht. US-Geheimdienstbeamte betonen jedoch, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die Wahl im November auf diese Weise bedroht werden könnte. Barrs Bemerkungen wecken neue Bedenken, dass er als politischer Funktionär im Interesse Trumps handelt und nicht in der eigentlich traditionell neutraleren Rolle, die von einem Generalstaatsanwalt erwartet wird.

Eine Wahl, die jetzt schon unsauber ist

Die Bemühungen des Präsidenten, die Wahl zu diskreditieren, beschränken sich nicht auf falsche wie häufige Behauptung, dass die Briefwahl durch massiven Betrug befleckt ist. Trump warnte etwa wiederholt davor, dass die kommende Wahl die korrupteste in der Geschichte der Vereinigten Staaten sein wird. Angeblich würden die Amerikaner vielleicht nie erfahren werden, wer tatsächliche gewonnen hat.

Er drohte auch damit, Staatsanwälte und Sheriffs zu den Wahllokalen zu schicken, um sicherzustellen, dass es keinen Betrug gibt. Eine Taktik, die als Einschüchterung von Wählern – insbesondere von Minderheiten - ausgelegt werden könnte.

Trump hat absolut keine Bedenken, die Macht der Präsidentschaft zu nutzen, um die Demokratie zu untergraben. Wegen des Versuchs, die Ukraine dazu zu bringen, Bidens Wahlkampf wenigstens indirekt zu schaden, wurde Trump sogar angeklagt. Die Einschätzungen der US-Geheimdienste, Russland habe sich in die Wahlen von 2016 eingemischt, wies Trump hingegen stets zurück.

Trump und Biden Kopf-an-Kopf

Trumps jüngster Versuch, die Wahl mit allen Mitteln anzufechten, ist vor dem Hintergrund mehrerer neuer Umfragen zu sehen. Die zeigen immer noch einen landesweiten Rückstand auf Biden - entgegen der Annahme, dass Trump der Parteitag der Republikaner Ende August neuen Auftrieb verschaffen würde.

So zeigt eine aktuelle CNN/SSRS-Umfrage, dass Bidens Vorsprung konstant bei 8 Prozentpunkten liegt, 51 Prozent zu 43 Prozent unter den registrierten Wählern. In einer Umfrage der Quinnipiac University hinkt Trump sogar 10 Prozentpunkte hinterher.

Ganz gleich, ob der Präsident im Falle einer Niederlage einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Amt anstrebt oder ob er sich offenkundiger darum bemühen will, das Rennen zu manipulieren, ist eines klar: Angesichts seiner glühenden Unterstützung durch Millionen Amerikaner ist die Wahl – das Fundament für die Demokratie des Landes – bereits tiefgreifend verunglimpft worden.

Trumps Warnung könnte Chaos in den Wahllokalen auslösen

Jedes Mal, wenn der Präsident über die Briefwahl spricht, weckt er mehr Zweifel an der Integrität eines Systems, das in vielen anderen Demokratien ohne Probleme angewandt wird. In diesem Zusammenhang ist auch sein Vorschlag zu sehen, dass die Menschen in North Carolina einmal per Post abstimmen und dann nochmal in ihrem Wahllokal erscheinen sollten, um zu sehen, ob ihre Stimme gezählt wurde.

Wenn Trumps Empfehlung von Tausenden republikanischen Wählern befolgt wird, könnte sie zu beträchtlichem Chaos und Schuldzuweisungen in den Wahllokalen führen. Das wiederum könnte die Zeit, die zur Auszählung der Stimmen benötigt wird, verlängern. Schon jetzt spricht der US-Präsident von wahrscheinlichen Verzögerungen bei der Auswertung der Ergebnisse - um zu behaupten, dass die Wahl nicht sicher ist. Es ist eine sich selbsterfüllende Prophezeiung.

Fakt ist: Derzeit gibt es keine Beweise für die Unterstellung, dass in North Carolina eine erhebliche Anzahl von Briefwahlstimmen verloren gehen oder nicht gezählt werden könnten. Auf seiner Website schreibt der Wahlausschuss des Bundesstaates, dass es "zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen" bei der Briefwahl gibt. Wenn jemand "per Briefwahl abgestimmt hat und dann persönlich zur Abstimmung erscheint, wird der Wahlhelfer durch das Check-in-System darauf hingewiesen, dass die Person bereits gewählt hat", heißt es auf der Internetseite.

Auch der Sprecher des Wahl-Ausschusses, Patrick Gannon, sagte: Die Menschen müssten am Wahltag nicht zur Wahl gehen, um zu überprüfen, ob ihr Wahlschein ausgezählt worden sei. "Im Gegenteil, wir raten dringend davon ab, um anderen Menschen, die noch keinen Stimmzettel abgegeben haben, die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen."

Langfristige Auswirkungen einer schmutzigen Wahl

Die Abstimmungsmodalitäten, die sich von Staat zu Staat unterscheiden, sind oft kompliziert und können manche Wähler tatsächlich verwirren. Es ist also zumindest verantwortungslos, wenn ein Präsident mit all seiner Sichtbarkeit und Macht zusätzlich und immer wieder das System grundsätzlich infrage stellt.

Trumps ständige Behauptungen, dass die Wahl nicht frei und fair sein wird, drohen demjenigen, der im November gewinnt, tiefen Schaden zuzufügen.

Wenn Trump selbst verliert und dann behauptet, er sei betrogen worden, diskreditiert er das Ergebnis vor Millionen von Wählern, die ihn zwar unterstützten, aber eine Niederlage akzeptieren könnten, wenn er würdevoll abdanken würde. So, wie es von jedem besiegten Präsidentschaftskandidaten erwartet wird, der das Wohl der Nation über das eigene stellt. Doch zugleich könnte eine Wahl, die als von Trump gestohlen ausgelegt wird, unvorhersehbare Auswirkungen auf diejenigen haben, die glauben, um ihr Wahlrecht betrogen worden zu sein.

Der Eindruck einer unsauberen Wahl würde zudem die Hoffnungen zerschlagen, dass eine Biden-Administration eine geteilte Nation vereinen und die nationale Willenskraft aufbringen könnte, sich endlich gegen eine Pandemie durchzusetzen, die von Trump falsch gehandhabt wurde - und bereits fast 190.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Es würde auf der rechten Seite der Wählerschaft Misstrauen gegenüber Wahlen säen, möglicherweise noch über Jahrzehnte, was konspirativen Randgruppen wie QAnon weiter in die Karten spielen würde.

Und all dies scheint angesichts der Fakten so absolut unnötig.

Stephen Collinson ist Reporter bei CNN Politics. Er berichtet insbesondere über das Weiße Haus und die US-Politik. (Mehr Informationen auf cnn.com)

US-Präsident Donald Trump ruft seine Wähler zu illegaler Aktion auf

Angeblich um die Sicherheit des Wahlsystems zu testen, fordert der US-Präsident seine Anhänger auf, neben der Briefwahl auch persönlich im Wahllokal ihre Stimme abzugeben. Damit würden sich die Wähler allerdings strafbar machen.

  © CNN International

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