Bei der Europawahl am Sonntag dürfen in Deutschland erstmals auch 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben. Können die Jugendlichen die Wahl beeinflussen? Welche Parteien könnten von den zusätzlichen Erstwählern profitieren?

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Auf Initiative der Ampel-Koalition setzte der Bundestag im November 2022 das Wahlalter für die Europawahl von 18 auf 16 Jahren herab. Damit dürfen 16- und 17-Jährige zum ersten Mal bei einer bundesweiten Wahl ihre Stimme abgeben. Nur auf Landes- oder Kommunalebene war dies bereits teilweise möglich.

Vorreiter dabei war Bremen, wo bereits 2009 das aktive Wahlalter für Landtagswahlen abgesenkt wurde. Anschließend folgten Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und zuletzt 2023 Berlin. In Nordrhein-Westfalen steht die Absenkung im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien.

Debatte um Wahlalter bei der Bundestagswahl

Werden unter 18-Jährige auch bald den Bundestag wählen können? Die Ampel-Koalition im Bund hat sich dies eigentlich in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Allerdings ist dazu eine Änderung des Grundgesetzes notwendig – es gibt jedoch Vorbehalte bei der Union und auch bei der FDP.

Gegen die Anpassung des Wahlalters führen Kritiker oft eine größere Beeinflussbarkeit der 16- und 17-Jährigen durch Peergroups oder Eltern an. Zudem wird vorgebracht, dass sie über eine geringere Reife und weniger Wissen verfügten, somit die Wahlentscheidungen schlechter seien.

Der Deutsche Lehrerverband sieht schon die Absenkung des Wahlalters bei der Europawahl skeptisch. Verbandspräsident Stefan Düll sprach sich in den Zeitungen der Funke Mediengruppe dagegen aus, auch bei Bundes- und Landtagswahlen Jugendliche wählen zu lassen. "Verantwortung über die eigene Person hinaus für das große Ganze zu übernehmen, ist etwas, das reifen muss."

Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin hält solche Argumente nicht für haltbar. "In unseren Studien haben wir 15- bis 20-Jährige verglichen und keine Unterschiede hinsichtlich Wissen oder Interesse gefunden", sagt er der Nachrichtenagentur AFP. Für das vorgezogene Wahlalter spricht zudem ein Argument, das der Politologe Uwe Jun von der Universität Trier "Generationen-Effekt" nennt: Die frühere politische Sozialisierung durch das Wählen mit 16 Jahren kann demnach zu einem stärkeren Interesse an Politik im Erwachsenenalter führen.

Experte: "Riesig ist der Einfluss nicht"

Die 1,4 Millionen Wahlberechtigten unter 18 bei der Europawahl seien "zahlenmäßig keine sehr große Gruppe", sagt der Politologe Jun AFP. Das ein oder andere Gewicht hätten sie allerdings schon. Von den Parteien würden sie aktiv umworben, "weil man anschlussfähig an die jüngere Generation sein möchte".

"Im Ergebnis wird man sagen: Riesig ist der Einfluss nicht", bilanziert Faas. "Der Kreis der Wahlberechtigten wird zwar moderat erweitert, aber die Wählerschaft insgesamt bleibt natürlich trotzdem eher alt."

Offenbar geringere Wahlbereitschaft als Erwachsene

Nicht eindeutig ist auch die Wahlbereitschaft der jungen Wählerinnen und Wähler. Diese zeigten häufiger eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung, erläutert Politikwissenschaftler Faas.

Dies scheint auch eine am Mittwoch durch die Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Umfrage zu belegen: Demnach wollen 57 Prozent der Befragten im Alter von 16 bis 25 Jahren bei der Wahl zum Europäischen Parlament am Sonntag ihre Stimme abgeben. Bei den Älteren zwischen 26 und 69 Jahren sind es demnach 62 Prozent.

Welche Parteien könnten profitieren?

Am beliebtesten waren bei jungen Menschen bei der letzten Bundestagswahl 2021 die Grünen und die FDP. Jun betont: "Auch bei den unter 18-Jährigen wissen wir, dass die Grünen wegen des Themas Klimaschutz populär sind." Die Partei könne deshalb bei der anstehenden Wahl auf überdurchschnittlich viele Stimmen von dieser Altersgruppe hoffen.

Hoffnungen kann sich aber auch die AfD machen. "Jugendstudien zufolge sind nationalkonservative Positionen wieder mehr en vogue bei der jungen Bevölkerung", gibt der Trierer Wissenschaftler zu bedenken. Grund dafür sei die Stärke der AfD in sozialen Netzwerken, insbesondere TikTok.

"Alles andere wissen wir nicht genau", sagt Jun zu den Präferenzen der unter 18-Jährigen. Diese verteilten ihre Stimmen zudem "'gleichmäßiger' über die Parteien hinweg, sodass sich das nicht an einer Stelle konzentriert", betont Faas. Der Berliner Politologe resümiert: "Junge Menschen sind weniger festgelegt, offener für Impulse aus der Situation heraus und damit eine für wahlkämpfende Parteien spannende Gruppe." (afp/mcf)

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