- 1972 gewann Wolfgang Schäuble erstmals das Direktmandat im Wahlkreis Offenburg in der Ortenau. Seitdem hat er es nicht mehr abgegeben und bewirbt sich am 26. September im Alter von 79 Jahren erneut um den direkten Einzug in den Bundestag.
- Thomas Zawalski ist der Kandidat der Grünen und angetreten, um Schäuble die direkte Fahrkarte in den neuen Bundestag zu entreißen.
- Warum er an seine Chance glaubt, warum er mit 79 nicht mehr kandidieren würde und wie seine Begegnung mit Schäubles Ehefrau auf einem Offenburger Marktplatz verlief, verrät Zawalski im Interview.
Herr Zawalski, seit fast 50 Jahren ist
Thomas Zawalski: Herr Schäuble ist in der Region verwurzelt, er wohnt mit seiner Frau in Offenburg und hat sich in den ersten Jahren sicherlich stark um diese Region gekümmert. Aber das ist schon lange her. Die Menschen vermissen jetzt auch einen Menschen, der vor Ort ist, der im Wahlkreis aktiv ist, der mit den Menschen redet, der zuhört – und das ist Herr Schäuble schon lange nicht mehr. Seine Zustimmungswerte bei der letzten Wahl 2017 waren zwar noch gut, doch die bröckeln jetzt.
Aber eigentlich geht es für Sie maximal um Platz 2, oder?
Es geht um Platz 1, das sage ich ganz selbstbewusst. Denn so eine starke Region muss auch stark vertreten werden. Wir hatten in der Vergangenheit auch schon mal drei Bundestagsabgeordnete. Ein Abgeordneter, der wie Herr Schäuble ausschließlich oder zumindest sehr stark als Bundestagspräsident eingebunden ist, reicht nicht aus – und das merken die Leute.
Allerdings hat Schäuble sogar 2002 gewonnen, also nach der Schwarzgeld-Affäre und seinem Rücktritt vom CDU-Vorsitz. Damals holte er ein Ergebnis von 52,9 %. Ist das keine Abschreckung für Sie?
Nur weil jemand zehn Mal Weltmeister geworden ist, gibt es keine Garantie, dass er es auch beim elften Mal schafft. Ja, Sie haben Recht, er ist hier wirklich seit sehr langer Zeit Direktkandidat, aber wir Grünen haben die Strukturen in Baden-Württemberg auch in der Fläche verändert. Nehmen Sie das Ergebnis der Landtagswahlen vom März dieses Jahres: Die Landkarte mit den Wahlreisen war vor zehn Jahren fast nur schwarz, inzwischen ist sie fast nur noch grün.
Das ist also Ihr Mutmacher für den Kampf gegen Schäuble?
Das, und die Tatsache, dass es die CDU bis zum heutigen Tag nicht geschafft hat, eine Beziehung zu den Dingen zu entwickeln, die jetzt als wichtige Themen anliegen. Also zum Beispiel, wie wir aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen herauskommen. In den Gesprächen, die ich mit den Bürgermeister*innen in meinem Wahlkreis führe, aber auch mit den Bürgerinnen und Bürgern jetzt auf den Marktplätzen oder vor allem in den Unternehmen, merke ich: Die sind alle schon viel weiter. Die sagen zum Beispiel beim CO2-Preis: Mir ist es egal, ob der jetzt hoch oder niedrig ist, sagt mir nur, wie hoch genau. Die Zeit, dass die Karten neu gemischt werden, ist da. Deshalb kämpfe ich um Platz 1.
Was haben Sie, was Wolfgang Schäuble nicht hat?
Zunächst einmal habe ich ein starkes Wahl- und Grundsatzprogramm hinter mir stehen, welches konkrete Antworten auf die Zukunft gibt. Außerdem bin ich ein Quereinsteiger in die Politik. Ich komme aus dem Leben, aus der Wirtschaft. Ich spüre das immer wieder in meinen vielen Gesprächen mit den Unternehmen, egal ob mit Burda, den badischen Stahlwerken oder kleinen Startups: Es dauert fünf bis zehn Minuten, und dann merken meine Gesprächspartner, dass ich sie und ihre Anliegen verstehe. Ich weiß, wo der Schuh drückt. Das ist der Unterschied! Ich weiß, welche Dinge zum einen politisch nötig sind, kenne aber auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Menschen und versuche, das zu verbinden.
Wolfgang Schäuble taucht im Wahlkampf vor Ort kaum auf, gilt aber trotzdem schon als sicherer Sieger. Da könnten Sie sich das Ganze eigentlich auch sparen, oder?
Also, wer Favorit ist und wer nicht, fußt oftmals auf vergangenen Wahlen. Das hat aber nichts mit der Realität zu tun, die sieht anders aus.
Wie denn?
Herr Schäuble hat es in den letzten Jahren so gehalten, dass er den Menschen vor Ort nur eine Hand voll Präsenzauftritte zum Dialog anbietet. Ich habe Verständnis dafür, dass er als Bundestagspräsident natürlich stark eingebunden ist. Doch es ist schon ein Unterschied, ob man nur wenige Veranstaltungen im Format von Podiumsdiskussionen anbietet oder direkt auf die Leute zugeht.
Und wie ist das bei Ihnen?
Ich biete den Menschen meine Präsenz nicht nur ausschließlich an, weil Wahlkampf ist, sondern ich bin bereit, diese Verbindung mit dem Wahlkreis weiter zu pflegen und zu halten, auch zu den Bürgermeister*innen, die zum Beispiel mehrheitlich zur CDU gehören. Und das kommt wirklich sehr gut an. Die Leute warten wirklich darauf, dass jemand sagt: "Ich bin für euch da und vertrete unseren Wahlkreis wieder aktiv in Berlin."
Verspüren Sie nicht dennoch manchmal Frust?
Nein, auf keinen Fall! Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich hochinteressante Gespräche führe, ich lerne viele neue Dinge kennen, von der Industrie, aber auch von den Menschen, wie sie denken. Es liegt ein Veränderungswillen in der Luft. Und gerade auf die Ortenau bezogen habe ich das Gefühl, dass es wieder Politik zum Anfassen braucht. Die Menschen möchten jemanden haben, mit dem sie sprechen können, der wirklich zuständig ist. Mein Ziel ist es, diesen Wahlkreis so gut wie möglich zu vertreten. Ich möchte Volksvertreter im wahrsten Sinne des Wortes sein und für diese Region in Berlin das möglichst Beste erreichen.
Schäuble wird am 18. September, also gut eine Woche vor der Bundestagswahl, 79 Jahre alt. Finden Sie es gut, dass er noch einmal antritt?
Das muss er entscheiden. Ich persönlich möchte mit 79 Jahren nicht mehr antreten, aber das muss jeder selbst wissen. Es kommt auch darauf an, wie fit man noch ist. Aber was ich zumindest im Wahlkreis höre, ist, dass seine Kandidatur mit – diplomatisch ausgedrückt – viel Skepsis gesehen wird, und das wirklich parteiübergreifend.
Weil?
Weil man statt eines 79-Jährigen auch mal einen Jüngeren ranlassen könnte, weil man einen Wechsel, etwas Neues machen könnte.
Hatten Sie schon mal persönlichen Kontakt zu Schäuble?
Nicht zu ihm, aber zu seiner Frau.
Das klingt schon mal vielversprechend...
Ich bin schon sehr früh im Wahlkampf auf Marktplätzen unterwegs gewesen, habe dort ein bisschen Werbung gemacht und mich natürlich den Menschen vor Ort vorgestellt. In dem Rahmen habe ich dann auf dem Markt in Offenburg eine sehr sympathische ältere Dame kennengelernt, die ich natürlich genauso freundlich wie alle anderen begrüßt habe. Als ich ihr dann meinen kleinen Wahlkampf-Flyer überreicht habe, sagte sie: "Vielen Dank! Ich kann Sie allerdings nicht wählen, weil Sie gegen meinen Mann antreten." Ich habe sie dann gebeten, ihrem Mann schöne Grüße von mir auszurichten.
Sie und Schäuble sind sich also noch nie begegnet?
Nein. Das liegt aber nicht an mir. Wir hatten erst kürzlich mehrere Podiumsdiskussionen im Wahlkreis, wo er immer einen Vertreter hingeschickt hat. Das merken die Leute natürlich. Die wollen jemanden vor Ort haben, mit dem sie reden und sich auseinandersetzen können. Und nicht einen Vertreter, den sie am Ende eh nicht wählen können.
Zwischendurch schien das Kanzleramt für die Grünen schon zum Greifen nah, inzwischen hat sich die Stimmung wieder gedreht. Fühlen Sie im Wahlkampf Rückenwind von der Parteispitze aus Berlin oder eher das Gegenteil?
Das Kanzleramt war zum Greifen nah und das Kanzleramt ist zum Greifen nah. Man darf sich von den Umfragewerten nicht irritieren lassen, die sind immer sehr flexibel. Wir haben noch genug Zeit bis zur Wahl. Natürlich sind einige unnötige strategische und kommunikative Fehler passiert, das habe ich genauso bedauert wie Frau Baerbock auch. Ich kenne sie seit zwei Jahren und habe immer an ihr bewundert, dass sie so taff und standfest ist. Diese Stärke wird sie jetzt auch wieder nach vorne bringen. Das Rennen ist nach wie vor offen. Was die Grünen in der Ortenau angeht, kann ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass alle hinter Annalena stehen.
Wenn es mit dem Direktmandat nicht klappen sollte, rechnen Sie mit dem Einzug in den Bundestag über die Liste, wo Sie auf Platz 25 aufgestellt sind?
Ja, damit rechne ich, weil keine dramatischen Veränderungen erwarte, die zu einem anderen Weg führen würden. Ich sage es trotzdem nochmal: Wir haben Rückenwind und kämpfen um Platz 1. Das Votum der Bürgerinnen und Bürger zu kriegen, ist schon eine Kraft, die ich gerne als Unterstützung mit nach Berlin nehmen würde.
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