Statt Glühwein, Lichterketten und Heimeligkeiten steht die Adventszeit in diesem Jahr im Zeichen des Wahlkampfes. Am 23. Februar 2025 wird voraussichtlich der 21. Deutsche Bundestag gewählt, nachdem die Ampel-Regierung zerbrochen ist. Kleinparteien haben unlängst Alarm geschlagen. Parteiforscherin Heinrike Rustenbeck erklärt, was das für die Demokratie bedeutet.

Eine Analyse
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Wahlkampfstand statt Weihnachtsmarkt, Wahlplakate statt Lichterketten und Wahlomat statt Wunschliste? So trist wird die Adventszeit wohl nicht aussehen. Immerhin startet die "heiße" Phase des Wahlkampfes standardgemäß erst vier bis sechs Wochen vor der Wahl – und somit im neuen Jahr.

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Doch die Parteien müssen sich jetzt dennoch schnellstmöglich organisieren und innerhalb kürzester Zeit einen Wahlkampf aufstellen, der eigentlich erst im kommenden Sommer geplant war. Und das bei eisigen Temperaturen.

Parteienforscherin Heinrike Rustenbeck von der Technischen Universität Chemnitz erklärt auf Anfrage unserer Redaktion, dass eine vorgezogene Neuwahl zwar als demokratisches Instrument verstanden werden könne, um die aktuelle politische Krise zu lösen, sie aber auch Risiken berge. Etwa logistische Fehler, wie bei der Wiederholung der Bundestagswahl 2021 in einigen Berliner Bezirken, "oder eine geringere Wahlbeteiligung durch fehlende Mobilisierung der wahlberechtigten Bürger*innen".

Ein vorgezogener Winterwahlkampf ist in der Bundesrepublik zwar kein Novum, allerdings ist das schon einige Jahre her.

Denn 1983 fand die Wahl des 10. Deutschen Bundestages Anfang März statt. Damals regierte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in einer sozialliberalen Koalition mit der FDP. Doch im Laufe der Legislatur traten immer mehr Differenzen zwischen den Regierungspartnern auf. Nach einem konstruktiven Misstrauensvotum am 1. Oktober 1982 wurde Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler gewählt. Der wiederum stellte am 17. Dezember die Vertrauensfrage, die er verlor. Es kam zu vorgezogenen Neuwahlen.

Anschließend wurde der Wahltermin jedoch sukzessive nach hinten verschoben. Das könnte auch zu den kommenden Bundestagswahlen geschehen. Zum Hintergrund: Eine Legislatur darf gemäß Artikel 39 des Grundgesetzes nur zwischen 46 und 48 Monate andauern. Das Zweimonatsfenster kann somit genutzt werden, um die Bundestagswahl immer wieder um zwei Monate nach hinten zu verschieben.

Nur noch drei Monate Zeit: Auch das BSW hat zu kämpfen

Bis 23. Februar 2025 haben die Parteien noch gut drei Monate Zeit, um potenzielle Wähler und Wählerinnen von sich zu überzeugen. Antreten wird auch das BSW, die Partei der Ex-Linken Sahra Wagenknecht. Die neuen am Parteienspektrum haben sich mehr Zeit für ihren Wahlkampf erhofft. Hinzukommt: Trotz massiver Privatspenden wird das Geld so langsam knapp. Die Wahlkämpfe für die Ostwahlen waren teuer.

Etablierte Parteien erhalten nach Parteiengesetz eine sogenannte staatliche Teilfinanzierung. Anspruch darauf haben demnach alle Parteien, "die zur jeweils letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5 Prozent oder einer Landtagswahl 1 Prozent der für die Listen abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben". Das schließt das BSW mit ein. Doch die Finanzierung kommt erst im Februar. Zu spät für den Wahlkampf.

Unterstützerunterschriften werden zum Problem

Alle anderen Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind, müssen laut Bundeswahlgesetz zudem belegen, dass es genug Menschen gibt, die an sie glauben. Das bedeutet: Unterschriften sammeln. 0,1 Prozent der Menschen in dem jeweiligen Bundesland, maximal aber 2.000 Menschen, müssen dafür unterschreiben. Das sind deutschlandweit fast 30.000 Unterschriften, die Kleinparteien vorlegen müssen.

Dafür haben sie statt mehrerer Monate nun nur wenige Wochen Zeit. Das könnte für einige Kleinparteien zu einer nicht stemmbaren Mammutaufgabe werden. Eine Gefahr für die Demokratie.

Marcel Krohn, Bundesvorsitzender der Tierschutzpartei, betont auf Anfrage unserer Redaktion: "Die Herausforderungen sind für uns als kleine Partei immens und kaum zu stemmen. Allein die Unterstützungsunterschriften stellen in vielen Bundesländern, in denen wir nur wenige Aktive haben, eine hohe Hürde dar."

Im Gegensatz zum BSW kann die Tierschutzpartei für ihren Wahlkampf nicht auf Großspenden zurückgreifen. "Nur wenn sich Mitglieder (unbezahlten) Urlaub nehmen und ihre gesamte Zeit ins Unterschriftensammeln stecken, werden wir einigermaßen flächendeckend antreten können", teilt Krohn mit. "Ein ordentlicher Wahlkampf, in dem wir unsere Inhalte vermitteln können, wird kaum möglich sein." Die Tierschutzpartei sieht in dem vorgezogenen Wahltermin eine starke Benachteiligung, durch die der Wählerwille nicht mehr adäquat abgebildet werden könnte.

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Parteienforscherin nennt mögliche Folgen der vorgezogenen Wahl

Martin Sonneborn, Vorsitzender der Satirepartei Die Partei, setzt auf Glühwein und Weihnachtsmarkt im Wahlkampf. Auf Anfrage unserer Redaktion macht er dennoch auf die Problematik des Unterschriftensammelns im Winter aufmerksam: "Die deutschen Beamten werden es nicht schaffen, die rund 30.000 Unterstützerunterschriften, die wir ihnen vorlegen müssen, in derart kurzer Zeit zu prüfen. Dann müssen wir den ganzen Unfug wiederholen lassen." Deshalb wolle er eine Klage für das Bundesverfassungsgericht vorbereiten.

Auch die Parteienforscherin Rustenbeck hält das für möglich: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass der angesprochene Unmut seitens der betreffenden Klein- und Kleinstparteien zu Klagen führen könnte." Ebenso würden organisatorische oder rechtliche Unregelmäßigkeiten ein Konfliktpotenzial bergen.

Kleinparteien fordern Anpassung der Zulassungshürden

Dahingegen gibt sich die paneuropäische Kleinpartei Volt zuversichtlich. Sie sei gut aufgestellt für die Wahl, teilte Volt-Spitzenkandidatin Maral Koohestanian auf Anfrage unserer Redaktion mit. Sie gibt jedoch auch zu bedenken: "Der extrem verkürzte Zeitplan gefährdet den demokratischen Wettbewerb massiv. Während Volt die Hürden stemmen kann, werden viele kleinere Parteien an den formellen Anforderungen scheitern. Das ist ein echtes Problem für unsere Demokratie."

Politikwissenschaftlerin Rustenbeck betont, wie essenziell es ist, dass Klein- und Kleinstparteien weiter vertreten sind. Denn diese stellten für die Demokratie eine wichtige Rolle dar und konnten sowohl auf Landes- als auch Bundesebene in den vergangenen Jahren Wahlerfolge erzielen.

In einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Abgeordneten forderten nun acht Kleinparteien, darunter auch die Ökopartei ÖDP und die Tierschutzpartei, niedrigere Zulassungshürden für die Neuwahl – etwa in Form einer Halbierung der notwendigen Unterschriften. Ob dieser Brief Gehör findet, bleibt abzuwarten.

Unabhängig von potenziellen rechtlichen Streitigkeiten weist Rustenbeck jedoch auf die Auswirkungen auf die politische Debatte hin. Diese könne von einer besonderen Schärfe gekennzeichnet sein und damit zu einer verstärkten politischen Polarisierung in der Bevölkerung beitragen.

Verwendete Quellen:

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