Die Bundestagswahl ist dieses Jahr langweilig? Von wegen. Selten war so unklar, welche Koalition sich nach Sonntag bilden könnte. Auch deswegen stehen Wähler vor einer schwierigen Entscheidung.
Von einem zumindest kann man schon ausgehen: Im nächsten Bundestag wird es wohl sechs Fraktionen geben. Wegen der konstanten Führung der Union in den Umfragen galt der Wahlkampf eher als fade.
Aber selten standen Parteien und Wähler vor so vielen unbeantworteten Fragen. Wer kann mit wem? Und wie wählt man am schlauesten?
Vor der Bundestagswahl herrscht in diesem Jahr große Unsicherheit. Was wir schon jetzt vermuten können – und was nicht:
Martin Schulz als Kanzler? Sehr unwahrscheinlich
Entschieden scheint nur das Rennen um den ersten Platz zu sein. Dass die SPD noch zur Union aufschließt, ist höchst unwahrscheinlich. Daher fallen auch die Kanzler-Chancen von
Eine Mehrheit könnte er wohl nur mit einer Drei-Parteien-Koalition erreichen - und das ist laut Umfragen ausgeschlossen.
Demnach liegt ein rot-rot-grünes Bündnis von SPD, Linkspartei und Grünen nur bei insgesamt um die 40 Prozent. Ähnliches gilt für eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen. Für eine Mehrheit reicht das nicht.
Große Unsicherheit wegen fehlender Koalitionsaussagen
Welche Koalition könnte sich stattdessen nach der Wahl bilden? Der Mannheimer Politikwissenschaftler Marc Debus nähert sich der Frage mathematisch.
Der Professor hat anhand verschiedener Kriterien berechnet, wie wahrscheinlich die Bildung einer bestimmten Koalition ist. Zu diesen Kriterien gehören zum Beispiel die inhaltlichen Schnittmengen zwischen Parteien, die Zahl der zu verteilenden Posten – und vor der Wahl gemachte Koalitionsaussagen.
Das Besondere bei dieser Bundestagswahl: Es gibt keine Konstellation, die auffallend gute Chancen hat.
"Häufig liegt die Wahrscheinlichkeit vor Wahlen bei über 80 Prozent für eine bestimmte Parteienkombination", erklärt Debus im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das geschieht insbesondere, wenn klare Koalitionsaussagen wie auch klare Mehrheitsverhältnisse vorliegen." Beides ist aber in diesem Jahr aber nicht der Fall.
Eher Jamaika als eine Große Koalition?
In dem Fall, dass CDU und CSU so stark werden, dass sie mit SPD, FDP oder Grünen eine Mehrheit erreichen würden, hat Schwarz-Gelb wohl die besten Karten.
Debus hat für diese Koalition eine Wahrscheinlichkeit von 33,4 Prozent errechnet – aber auch das ist nur wenig höher als die Wahrscheinlichkeit einer erneuten großen Koalition (32,2 Prozent) oder von Schwarz-Grün (31,2 Prozent).
"Nach unserer Analyse der Wahlprogramme sind die programmatischen Distanzen zwischen Union und FDP nur wenig geringer als zwischen Union und SPD", sagt Debus.
Doch auch eine große Koalition stehe nicht besonders hoch im Kurs. "Union und SPD betonen im Wahlkampf immer wieder, dass Bündnisse beider Parteien Ausnahmekonstellationen sein sollen."
Die letzten Umfragen lassen vermuten, dass es nach der Wahl am Sonntag nur für eine große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen reichen würde.
In diesem Fall hält Debus aufgrund seiner Analyse Jamaika (51,6 Prozent) für wahrscheinlicher als eine Neuauflage der GroKo (42,3 Prozent). Ob sich FDP und Grüne nach der im Wahlkampf vor allem zuletzt zur Schau gestellten gegenseitigen Abneigung aber wirklich zusammenraufen könnten, bleibt fraglich.
Kaum Anhaltspunkte für strategische Wähler
Auch die Wähler stellt diese Situation vor eine Herausforderung. Vor allem die sogenannten taktischen oder strategischen Wähler. Wer seine Stimme aus strategischen Gründen abgibt, der gebe sie nicht der Partei, die ihm eigentlich am besten gefällt, erklärt der Wahlexperte Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim.
"Wer strategisch wählt, möchte die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung beeinflussen", so der Professor. "Strategisches Wählen ist aber immer extrem schwierig, weil man sehr viele Informationen braucht." Für diese Wahl gelte das in verschärftem Maße, weil die Parteien klare Koalitionsaussagen eben vermieden haben.
Strategisches Wählen besteht häufig darin, einer bestimmten Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen: Wähler, die eigentlich eine der beiden Volksparteien bevorzugen, geben ihre Stimme dann einer kleineren – damit der mögliche Koalitionspartner es ins Parlament schafft.
Aber auch dafür gibt es diesmal eigentlich keinen Anlass. Denn nach den letzten Umfragen sind die vier kleineren Parteien nicht akut bedroht, unter diese Hürde zu fallen. Allenfalls könnte dieser "Rettungsimpuls" den schwächelnden Grünen zugute kommen, sagt Schmitt-Beck.
Gedankenspiele zur AfD
Und dann ist da noch das Thema AfD: Ihre Anhänger hoffen, dass die Partei als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzieht, andere wollen genau das verhindern. Doch ist das möglich?
Nach Einschätzung von Schmitt-Beck könnten diese Gedankenspiele Wähler noch am ehesten davon abhalten, eine Spaßpartei wie "Die Partei" oder andere chancenlose Kleinparteien zu wählen.
"Wenn ich die AfD kleinhalten will, darf ich meine Stimme nicht einer Partei geben, die es ohnehin nicht in den Bundestag schafft."
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