- In Deutschland laufen Vorsondierungen zwischen SPD, Grünen und FDP für ein Ampel-Bündnis. Vor allem die Gegensätze zwischen Grünen und FDP sind groß.
- Dabei regieren ihre Schwesterparteien in vier Ländern der EU bereits gemeinsam: in Belgien, Luxemburg, Schweden und Finnland. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Eines scheint seit der Bundestagswahl festzustehen: Die Grünen und die FDP werden wohl der nächsten Bundesregierung angehören. Zum Beispiel in einer Ampel-Koalition mit der SPD. Da Grüne und Liberale bisher aber eher in Abneigung vereint waren, suchen sie jetzt fieberhaft nach gemeinsamen Standpunkten und Projekten.
Inspiration könnten Anrufe bei den Schwesterparteien in anderen europäischen Ländern liefern. In Luxemburg, Belgien, Finnland und Schweden regieren Grüne und Liberale bereits gemeinsam. Der Blick dorthin zeigt: Mit ausreichend Geld in der Staatskasse und einem Moderator an der Spitze lassen sich auch wacklige Koalitionen zusammenhalten. Garantiert ist der Erfolg aber nicht.
Luxemburg: Modernisierung mit der "Gambia-Koalition"
Europas dienstältestes Ampel-Bündnis regiert im Großherzogtum Luxemburg: Premierminister ist der Liberale Xavier Bettel. Seit 2013 koaliert seine Partei mit den etwa gleichstarken Sozialdemokraten und Grünen. Da die Parteifarbe der Liberalen blau ist, nennt sich das Bündnis Gambia-Koalition. Die Fahne des westafrikanischen Landes trägt Streifen in Blau, Rot und Grün.
Entstanden ist die Koalition 2013 aus dem Wunsch heraus, die Christdemokraten des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten
Nach der Wiederwahl der Gambia-Koalition 2018 konnten Sozialdemokraten und Grüne wichtige Prestigeprojekte durchsetzen: Seit Anfang 2020 sind Busse und Bahnen in Luxemburg kostenlos. Zum Anfang dieses Jahr ist laut "Luxemburger Wort" zudem der Mindestlohn gestiegen – auf 12,72 Euro für unqualifizierte und 15,27 Euro für qualifizierte Arbeitskräfte.
Der meist gutgelaunte und charmante Premierminister Bettel gilt als Garant dieser Koalition. Allerdings ist der Zauber des Neuanfangs nach acht Jahren längst verflogen. In der Corona-Pandemie warf die Opposition dem Gambia-Bündnis ein chaotisches Krisenmanagement vor. Das Problem explodierender Wohn- und Mietpreise in Luxemburg gilt zudem als ungelöst.
Belgien: Ein Kraftakt namens Vivaldi
In Belgien hört die amtierende Regierung auf den schönen Namen Vivaldi – ein Verweis auf dessen Konzertreihe "Die vier Jahreszeiten". Sieben Parteien aus vier Parteifamilien bilden das Kabinett: Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne.
Es ist ein Bündnis unter Kleinen: Alle sieben Regierungspartner haben bei den Wahlen 2019 weniger als zehn Prozent der Stimmen erhalten. Kopf der Regenbogen-Koalition ist der Liberale Alexander De Croo. Die Vizekanzler-Frage hat man in Belgien pragmatisch gelöst: De Croo hat sieben Stellvertreter beziehungsweise Stellvertreterinnen.
Das Bündnis kam im September 2020 zustande. Belgien stand damals unter dem Eindruck der Corona-Pandemie, die das Land schwer getroffen hat. Die Koalitionspartner schlossen sich zusammen, um Rechtspopulisten und Rechtsextreme aus der Regierung herauszuhalten. "Vivaldi" ist deswegen auch aus der Not geboren.
Der Koalitionsvertrag trägt den Titel "Für ein wohlhabendes, solidarisches und nachhaltiges Belgien". Alle Partner konnten darin einzelne Kernforderungen durchsetzen. Es soll eine monatliche Mindestrente von 1.500 Euro geben, außerdem mehr Geld für Erneuerbare Energien und die Polizei. Belgien hält am geplanten Atomausstieg 2025 genauso fest wie an seiner relativ strengen Flüchtlingspolitik.
Dass das Bündnis im notorisch zerstrittenen Belgien bisher hält, hat aus Sicht der Zeitung "De Tijd" zwei Gründe: Erstens haben der EU-Corona-Hilfsfonds und der zarte Wirtschaftsaufschwung nach der Krise Geld in die klamme Staatskasse gespült. Zweitens hat sich Premierminister De Croo als geschickter Moderator bewiesen: Die Stabilität seiner Regierung ist dem Liberalen wichtiger als die eigene Profilierung.
Finnland: Bündnis der Frauen
Die neue finnische Regierung sorgte Ende 2019 weltweit für Aufsehen. Alle fünf Koalitionsparteien werden von Frauen geführt, vier davon sind jünger als 40. Zur Regierung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Sanna Marin gehören auch die Grünen und die liberale Zentrumspartei.
Knapp zwei Jahre später fällt die Bilanz gemischt aus. Finnland hat die Corona-Krise vorerst gut gemeistert. Die Infektionszahlen blieben vergleichsweise gering, das Vertrauen in den Staat hoch. Die Schließung von Schulen und "Home Schooling" waren wegen Fortschritten bei der Digitalisierung weniger umstritten als in Deutschland.
Allerdings zeigt Finnland auch, wo Ampel-Bündnisse auf Probleme stoßen. Die liberale Zentrumspartei ist nach der Regierungsbildung in ein Umfragetief gerutscht. Um sich bei ihrer eher konservativen, ländlichen Anhängerschaft zu profilieren, setzte sie durch, dass in Finnland weiterhin Torf aus Moorböden verbrannt werden darf. Dabei werden zwar große Mengen an CO2 freigesetzt. Die Liberalen hatten laut "taz" aber vor allem die 4.000 Arbeitsplätze im Blick, die an der Torfverbrennung hängen.
Ein anderes Thema ist dagegen überraschend wenig umstritten: In Finnland geht bald ein neues Atomkraftwerk ans Netz – und das, obwohl die Grünen mitregieren. Im Land selbst ist das kein Widerspruch. Finnlands Grüne sehen die Kernkraft als nötige Brückentechnologie für die Energiewende an.
Schweden: Ein wackliges Konstrukt
In der schwedischen Regierung geben die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Stefan Löfven den Ton an. Die kleine grüne Umweltpartei ist mit rund vier Prozent der einzige feste Koalitionspartner. Um eine Mehrheit im Parlament zu haben, arbeitete Rot-Grün mit der schwedischen Linkspartei sowie mit zwei liberalen Parteien zusammen.
Die Liberalen ließen sich diese Unterstützung teuer erkaufen: Sie forderten zum Beispiel Steuererleichterungen und eine Lockerung des Kündigungsschutzes ein. Für Sozialdemokraten und Grüne waren das schwer zu schluckende Kröten.
Das wacklige Konstrukt geriet in diesem Jahr komplett ins Wanken, als auch die Mieten weiter liberalisiert werden sollten. Ministerpräsident Löfven konnte sich mit Mühe und Not im Amt halten – aber nur weil es im Parlament keine Mehrheit gegen ihn gab. Eine der beiden liberalen Parteien hat die Zusammenarbeit inzwischen beendet. Die Fernseh-Kommentatorin Elisabeth Marmorstein bezeichnet Löfvens Konstrukt als "eine der schwächsten Regierungen seit der Nachkriegszeit".
Verwendete Quellen:
- Belgium.be: Regeerakkoord 30 september 2020
- DeTijd.be: Een jaar Vivaldi: wordt De Croo meer dan een crisismanager?
- Luxemburger Wort: Mindestlohn steigt ab 2021 um 2,8 Prozent
- SVT Nyheter: ”En av de svagaste regeringarna sedan efterkrigstiden”
- Taz.de: Finnland zerstört CO2-Speicher
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