Die Militärhilfen der Amerikaner sind gewaltig. Zwanzig Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl wächst das Lager derjenigen, die mit Skepsis auf die großen Mittelabflüsse über den Atlantik blicken.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Adrian Arab sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es war ein Auftritt, der in seiner Symbolwirkung kaum überschätzt werden kann: Mit Joe Bidens Besuch in Kiew reiste Ende Februar zum ersten Mal in der Geschichte ein US-Präsident in ein aktives Kriegsgebiet, das nicht unter der Kontrolle von US-Bodentruppen stand. Was für den Secret Service ein Albtraum gewesen sein muss, erwies sich für die ukrainische Regierung vordergründig als Glücksfall: "Sie und alle Ukrainer erinnern die Welt jeden Tag daran, was das Wort 'Mut' bedeutet. Sie erinnern uns daran, dass Freiheit unbezahlbar ist. Dass man dafür kämpfen muss, so lange wie nötig", sagte Biden in Kiew in Richtung seines Gastgebers Selenskyj. "Und so lange werden wir mit Ihnen sein, Herr Präsident."

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Eine stärkere Rückendeckung im Krieg gegen Russland hätte es vom Anführer der westlichen Unterstützungsallianz nicht geben können.

Zumindest offiziell. Wie Journalisten der 'Washington Post' in den Tagen nach dem Biden-Besuch erfuhren, machten die freundlichen Unterstützungsbekundungen vor den Augen der Weltöffentlichkeit nur einen Teil der Botschaft aus, die Bidens Offizielle der ukrainischen Regierung aus Washington mitgebracht hatten. Hinter verschlossenen Türen sollen ranghohe Biden-Berater ihren ukrainischen Counterparts deutlich gemacht haben, dass man sich angesichts der umfangreichen Waffenlieferungen bald Erfolge wünsche – spätestens, wenn im April die ersten Panzer rollen.

"Wir werden weiterhin versuchen, ihnen klarzumachen, dass wir nicht ewig alles machen können", soll demnach ein ranghoher Biden-Berater gesagt haben. "'Solange es dauert' bezieht sich dabei auf den Umfang des Konflikts, nicht auf den Umfang der Hilfe." Es waren Worte, die das Versprechen der bedingungslosen Unterstützung in Teilen relativierten.

Amerika ist der größte Unterstützer der Ukraine

Gleichwohl sollten sie nicht über die Dimensionen hinwegtäuschen, mit denen die USA die Ukraine seit Beginn des Krieges aufrüsten. Allein mit der Hilfe der Europäer hätte es wahrscheinlich nur wenige Tage gedauert, bis nennenswerte Teile der Ukraine an den russischen Angreifer gefallen wären. Stand Februar haben die USA Hilfen im Wert von über 70 Milliarden US-Dollar in die Ukraine gelenkt, mehr als jedes andere Land in Europa.

Damit finanziert der amerikanische Steuerzahler Tonnen von Munition, Waffen und humanitärer Unterstützung an ein Land, das viele Amerikaner vermutlich erst seit Februar 2022 auf der Landkarte einkreisen könnten. Es ist eine politische Leistung der Biden-Administration, diese Hilfe, die erst diesen Februar um weitere 400 Millionen US-Dollar aufgestockt wurde, bislang aufrecht erhalten zu können.

"Die aktuelle Haltung der Amerikaner ist nach wie vor von Zustimmung zur massiven militärischen Unterstützung der Ukraine geprägt", erklärt Michael Werz, Senior Fellow am Center for American Progress. "Gleichwohl denkt inzwischen fast ein Viertel der Amerikanerinnen und Amerikaner, dass der Krieg die USA zu viel kostet." Eine Zahl, die sich seit Kriegsbeginn vervierfacht habe und die vor allem im konservativen Spektrum geteilt werde: "Am rechten Rand der Republikaner gibt es bereits seit Längerem die Auffassung, dass das Geld lieber in den USA ausgegeben werden solle", sagt Werz.

Joe Biden ist auf die Republikaner angewiesen

Die ersten Risse der Solidarität im republikanischen Lager dürften mithin der wichtigste Grund dafür sein, dass die amerikanischen Offiziellen bei ihrem Besuch in Kiew zur Eile mahnten. Seit die Mehrheit der Demokraten im Kongress zerbrochen ist und die Republikaner die Kontrolle über das Repräsentantenhaus übernommen haben, ist Joe Biden für die Unterzeichnung seiner Blanko-Schecks auf die Mithilfe der Republikaner angewiesen.

Zwar ist das Lager derjenigen, die die Ukraine-Hilfen mittragen, auch unter den Republikanern in der Mehrheit. Doch auch unter diesen Befürwortern wächst 20 Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl der Druck. "Der Ukrainekrieg, der anfangs Amerika vereinte, wird vor den Wahlen im nächsten Jahr zunehmend entlang parteipolitischer Linien gesehen", sagt der Amerika-Experte Josef Braml. "Im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes wird sich vor allem bei den Republikanern die innerparteiliche Debatte über die Ukraine zuspitzen."

In beiden politischen Lagern wächst die Ablehnung

Sinnbildlich steht dafür eine kleine, aber besonders laute Gruppe rund um den rechtsextremen Senator Matt Gaetz, der im Februar einen Gesetzentwurf zur 'Ukraine-Müdigkeit' vorlegte. Dieses, von zehn weiteren Republikanern im Repräsentantenhaus unterstützte Vorhaben, sieht vor, sämtliche militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe für die Ukraine einzustellen und beide Kriegsparteien stattdessen zu einem Friedensabkommen zu drängen.

Eine Meinung, die im Übrigen nicht nur unter Republikanern geteilt wird: "Auch eine kleine Gruppe linker Demokraten will eine Verhandlungslösung, um eine Re-militarisierung der US-Außenpolitik zu verhindern", sagt Michael Werz.

Gleichwohl steht Gaetz' Position für eine Minderheit in einer Partei, in der Stand heute noch jene Falken die Oberhand behalten, die für Solidarität mit der Ukraine werben und dieses Versprechen zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz erneuert haben. Dass der Vorsitzende des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy zuletzt eine Einladung von Selenskyj nach Kiew ausschlug, ist jedoch ein Hinweis darauf, dass der Wind langsam zum Nachteil Bidens dreht, wenn es darum geht, auch in Zukunft gegenüber Kiew aus den Vollen zu schöpfen.

Dazu kommt, dass auch jene Republikaner, die für gewöhnlich einen weiten Bogen um das russlandfreundliche Lager rund um Donald Trump machen, im nahenden Präsidentschaftswahlkampf ihren Markenkern – nämlich die wirtschaftliche Kompetenz – herausschälen und deshalb aus der militärischen auch eine fiskalische machen werden. Derzeit sitzen die USA auf einem Schuldenberg von rund 31 Billionen Dollar, der auch durch die in Teilen auf Pump finanzierten Kriege im Irak, in Afghanistan und in Syrien angehäuft wurde.

Ohne Anhebung der Schuldenobergrenze zwischen Juli und September droht den USA damit spätestens Anfang August die Zahlungsunfähigkeit. Was bürokratisch klingt, ist in Wahrheit ein großes politisches Druckmittel – und eine schlechte Nachricht für die Ukraine.

Amerikanische Budget-Verhandlungen als Sargnagel für die Ukraine-Hilfe?

"Der harte Kern der republikanischen Fiskalkonservativen wird den drohenden fiskalischen Abgrund nutzen, um die von Präsident Biden und dem demokratisch kontrollierten Senat beabsichtigten Ausgaben massiv zu kürzen, nicht zuletzt für die Ukrainehilfe", erklärt Amerika-Kenner Braml. "Und je weniger Finanzierungsspielraum den USA zur Verfügung steht, desto schwieriger wird es, politische Verhandlungslösungen zu finden." Ein Rückgang der Ukraine-Unterstützung wäre dann gewissermaßen ein Kollateralschaden der US-amerikanischen Budget-Verhandlungen.

Dass nur innenpolitische Gründe für die Spannungsrisse zwischen Amerikanern und Ukrainer verantwortlich sind, wäre dann aber auch zu einfach. Auch zwischen der Biden-Administration und der ukrainischen Militärführung soll es zuletzt Differenzen in der Militärtaktik gegeben haben, wie die 'Washington Post' erfuhr. Insbesondere das Festhalten an der Befreiung der umkämpften Stadt Bachmut stößt demnach bei amerikanischen Militärberatern auf Missfallen. Die Ressourcen seien dort falsch eingesetzt, die drohenden Verluste viel zu hoch. Vielmehr sollten sich die Ukrainer auf die Frühjahrsoffensive konzentrieren, die nach Meinung der Amerikaner kriegsentscheidend sein kann.

Ein durchschlagender Erfolg der Ukrainer noch im ersten Jahresdrittel wäre vermutlich Joe Bidens bestes Argument für neue Militärhilfen.

Über die Experten:
Michael Werz ist Senior Fellow am Center for American Progress und Board Member der Atlantik-Brücke. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf die transatlantische Sicherheitspolitik, die Verknüpfung von Klimawandel, Migration und Sicherheit sowie aufstrebende Demokratien.
Josef Braml ist European Director der Trilateral Commission. Zuletzt erschien sein Buch "Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können". Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog "usaexperte.com".

Verwendete Quellen:

  • washingtonpost.com: U.S. warns Ukraine it faces a pivotal moment in war
  • congress.gov: Ukraine Fatigue Resolution
  • ifw-kiel.de: Ein Jahr Unterstützung der Ukraine: USA gehen voran, EU folgt
  • fiscaldata.treasury.gov: What is the national debt?
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