Die Lage um das Atomkraftwerk Saporischschja spitzt sich erneut zu. Kiew und Moskau werfen sich gegenseitig vor, in allernächster Zeit einen Anschlag auf Europas größtes AKW verüben zu wollen. Die Entwicklungen der Nacht im Überblick und ein Ausblick auf den Tag.

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Moskau und Kiew bezichtigen sich gegenseitig eines angeblich unmittelbar bevorstehenden Anschlags auf Europas größtes Atomkraftwerk im Süden der Ukraine. "Wir haben jetzt von unserem Geheimdienst die Information, dass das russische Militär auf den Dächern mehrerer Reaktorblöcke des AKW Saporischschja Gegenstände platziert hat, die Sprengstoff ähneln", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache.

Möglicherweise solle ein Anschlag auf das Kraftwerk simuliert und die Ukraine als Drahtzieher beschuldigt werden. Selenskyj forderte internationalen Druck auf Russland, um das zu verhindern. Aus Moskau hieß es dagegen, die ukrainischen Streitkräfte planten selbst einen Angriff auf das AKW, das nahe der Front liegt.

"Leider gab es keine rechtzeitige und breite Reaktion auf den Terroranschlag gegen das Wasserkraftwerk Kachowka. Und das kann den Kreml zu neuen Übeltaten inspirieren", sagte der ukrainische Staatschef. Am 6. Juni hatte eine Explosion den Kachowka-Staudamm zerstört, woraufhin riesige Wassermassen aus dem angrenzenden Stausee strömten und Hunderte Ortschaften überfluteten. Die ukrainische Seite ist überzeugt, dass Russland das für die Kühlwasser-Versorgung des AKW Saporischschja wichtige Bauwerk absichtlich sprengte. Auch viele internationale Experten halten das für wahrscheinlich, Moskau hingegen dementiert und beschuldigt seinerseits Kiew der Tat.

Moskau und Kiew werfen sich geplanten Anschlag auf Atomkraftwerk vor

Schon vor Selenskyjs Videoansprache hatten sich beide Kriegsparteien am Abend mit Vorwürfen überzogen. Bereits in der Nacht zum Mittwoch würden die ukrainischen Streitkräfte versuchen, das AKW Saporischschja mit Raketen und Drohnen anzugreifen, behauptete Renat Kartschaa, Berater des Chefs der russischen Atomenergiebehörde Rosenergoatom, am Dienstag im Staatsfernsehen. Der ukrainische Generalstab wiederum schrieb in seinem täglichen Lagebericht über angebliche Sprengkörper auf dem Dach des AKW, deren Explosion den Eindruck eines Beschusses wecken solle.

Die Sprengsätze seien an den Dächern des dritten und vierten Reaktorblocks angebracht, sollten die Reaktoren selbst aber wohl nicht beschädigen, heißt es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. Die Ukraine werde nicht gegen die Normen des Völkerrechts verstoßen, betonte die Militärführung in Kiew zugleich.

Genau solch einen Verstoß warf Kartschaa den Ukrainern vor. Demnach soll nicht nur das AKW beschossen werden, sondern auch zeitgleich eine mit Atomabfällen bestückte Bombe abgeworfen werden. Beweise für die Anschuldigung brachte der hochrangige Moskauer Beamte nicht vor - genauso wenig wie die ukrainische Seite. Zwar werfen sich beide Kriegsparteien immer wieder geplante Provokationen rund um das Kraftwerk vor, zuletzt wurden die Anschuldigungen aber stetig schärfer. Jüngst trainierten Rettungskräfte in den Regionen um die ukrainischen Städte Cherson, Mykolajiw, Saporischschja und Dnipro bereits für einen möglichen atomaren Notfall.

Russische Truppen halten das Kraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine seit März 2022 besetzt. Der riesige Komplex geriet während der Gefechte mehrfach unter Beschuss, was international Sorgen vor einer Atomkatastrophe schürte. Aus Sicherheitsgründen wurde das AKW inzwischen heruntergefahren. Eine Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde ist vor Ort.

Selenskyj bedankte sich bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für dessen Bereitschaft, sich für die Sicherheit der Nuklearanlage einzusetzen. Er habe mit Macron über das Kernkraftwerk, aber auch über Waffenlieferungen und den bevorstehenden Nato-Gipfel kommende Woche in Litauen gesprochen, sagte der ukrainische Staatschef.

Selenskyj

Selenskyj dankt Scholz und erbittet mehr Hilfe

Auch dank der von Deutschland an die Ukraine gelieferten Flugabwehrsysteme haben dort viele Menschen die russischen Angriffe überlebt. Aber Kiew sieht weiteren Aufrüstungsbedarf. Die Entwicklungen der Nacht im Überblick und ein Ausblick auf den Tag.

Putin: Glaube weiter an russischen Sieg im Krieg gegen Ukraine

Russlands Präsident Wladimir Putin ist nach eigenen Angaben weiterhin von einem Sieg Moskaus im Angriffskrieg gegen die Ukraine überzeugt. "Daran gibt es keinen Zweifel", sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge am Dienstag bei einem Treffen mit Absolventen der Hochschule für staatliche Verwaltung. Der Kremlchef hatte den Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 selbst befohlen.

Als Kriegsziele gab er damals unter anderem den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine und die Entmilitarisierung des Nachbarlandes an. Außerdem müsse Russland zur eigenen Sicherheit den Nato-Beitritt der Ukraine verhindern, so Putin.

Nach mehr als 16 Monaten Krieg hält Russland zwar immer noch große Gebiete der Ukraine besetzt, ist aber weit von diesen Kriegszielen entfernt. Nach einer Reihe von Niederlagen im Krieg und einem Söldneraufstand jüngst im eigenen Land hat sich Putin zuletzt seltener offen darüber geäußert, ob er noch an einen Sieg glaube.

Dutzende Verletzte bei Angriff auf ostukrainische Stadt gemeldet

In der von russischen Truppen kontrollierten Stadt Makijiwka in der Ostukraine wurden nach örtlichen Behördenangaben 25 Menschen durch den Einschlag mehrerer Geschosse verletzt. Unter den Verletzten seien zwei Kinder, teilte der von Moskau eingesetzte Chef der teils russisch besetzten Region Donezk, Denis Puschilin, in der Nacht zum Mittwoch auf seinem Telegram-Kanal mit. "Die Druckwelle war für die Mehrheit der Bewohner von Makijiwka und Donezk zu spüren." Laut Puschilin wurden Wohnhäuser, ein Krankenhaus, Schulen und ein Kindergarten beschädigt. Russischen Militärblogs zufolge sollen für den Beschuss Himars-Artillerieraketen verwendet worden sein, die die Ukraine von den USA bekommen hat.

Nach ukrainischen Angaben ist die große Wucht der Explosion darauf zurückzuführen, dass bei dem Beschuss ein Treibstoff- oder Munitionslager getroffen wurde. Die Angaben der Kriegsparteien lassen sich zumeist nicht unabhängig überprüfen.

Was am Mittwoch wichtig wird

Die Ukraine setzt ihre Gegenoffensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete fort. Das russische Militär wiederum versucht, einen Durchbruch der ukrainischen Truppen an der befestigten Frontlinie zu verhindern. Angespannt bleibt die Lage um das Atomkraftwerk Saporischschja, wo sich die Warnung vor einem geplanten Anschlag zunächst nicht zu bestätigen schien. (dpa/lag)

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