• Andrij Melnyk ist nach seiner Tätigkeit als Botschafter der Ukraine in Deutschland in seine Heimat zurückgekehrt.
  • In einem Interview mit "t-online.de" analysiert er die aktuelle Lage seines Landes – und wie der Westen mit den russischen Atomdrohungen umgehen sollte.

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Russland hat seit Beginn des Krieges in der Ukraine immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Die aktuelle Erzählung aus dem Kreml: Man müsse sich gegen eine "schmutzige Bombe" aus der Ukraine wappnen.

Erst kürzlich rang Kanzler Scholz auf seiner China-Reise dem Reich der Mitte eine deutliche Positionierung gegen einen russischen Atomschlag ab. Xi Jinping sprach sich mit deutlichen Worten gegen einen Atomkrieg aus – viele Medien deuteten das als diplomatischen Sieg für Scholz.

Melnyk: "Können nach dem Besuch des Kanzlers in China nicht ruhiger schlafen"

Das sieht der ehemalige Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andreij Melnyk, anders: "In der Ukraine können wir nach dem Besuch des Kanzlers in China jedenfalls nicht ruhiger schlafen", sagte er in einem ausführlichen Interview mit "t-online.de". Putin lasse sich nicht davon beeindrucken, dass Xi sich gegen einen Atomschlag ausspricht. Denn wer würde schon einen Nuklearangriff gutheißen?

Aus seiner Sicht wäre nur ein Ultimatum an Russland sinnvoll gewesen: "Wenn die Chinesen gemeinsam mit den Deutschen, den Amerikanern und anderen Atommächten den Russen klar signalisiert hätten: Schließt ihr das nicht sofort aus, wird das verheerende Konsequenzen haben. Dann hätte ich gesagt: Bravo, Kanzler Scholz."

Melnyk fordert atomares Russland-Ultimatum von der Nato – und versteht die deutsche Angst

Gleichzeitig müsste ein solches Ultimatum auch konkret benennen, "welche desaströsen Folgen ein russischer Atomschlag in der Ukraine für Putin hätte". Hier sieht er vor allem die Nato als größte Atommacht in der Pflicht: "Der Westen muss sehr deutlich machen, dass er vor einem nuklearen Zweitschlag nicht zurückschrecken würde, wenn Putin zur Bombe greift."

Melnyk sieht hierin eine Fortführung des "Gleichgewicht des Schreckens", welches die Welt schon im Kalten Krieg vor dem Einsatz von Atomwaffen bewahrte. Russland müsse klar sein: "Ein Atomschlag kommt einem Selbstmord gleich, weil die andere Atommacht adäquat reagieren würde."

Die Angst der Deutschen vor einem solchen Szenario kann Melnyk nur zu gut verstehen: "Die Bundesrepublik liegt geografisch vor der Haustür der Ukraine. Die Tschernobyl-Katastrophe hat auch Deutschland betroffen, noch heute, 36 Jahre danach, sind Gebiete in Bayern verseucht. Ein Atomkrieg in Europa hieße auch für Deutschland nichts Gutes, das wäre ein Armageddon für uns alle."

Verhandlungen mit Putin seien zwecklos

Verhandlungen mit dem Putin-Regime seien aber nicht möglich. Aktuelle Debatten – auch in Deutschland –, die Ukraine wolle gar keinen Frieden, seien "absurd": "Die Schlacht tobt auf unserem Boden, nicht in Russland, alles wird bei uns buchstäblich in Schutt und Asche gelegt. Wir Ukrainer sehnen sich nach Frieden. Doch solange Putin nur taktiert und sich als 'Friedensstifter' inszeniert, haben Verhandlungen keinen Sinn."

Stattdessen setze man auf einen Nachfolger Putins. Präsident Selenskyj habe mit seinem Dekret zum Verbot von Verhandlungen mit Russland bereits den Druck auf die Eliten im Nachbarstaat erhöht. Wollten diese "ihren Staat und ihr Leben nicht verlieren", müssten sie den Druck auf Putin erhöhen: Es würde reichen, ihn abzusetzen, etwa mit dem Verweis auf gesundheitliche Gründe, oder in den Ruhestand zu schicken. Dann werden wir schauen, ob sein Nachfolger ein echtes Interesse an Verhandlungen hat."

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