Am 1. Januar übernimmt Rumänien turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft. Zahlreiche Europapolitiker und selbst der rumänische Staatschef befürchten ein Desaster. Denn das Land steckt in den Fängen einer zutiefst korrupten Regierung, deren Ehrgeiz nicht etwa Brüsseler Belangen, sondern vornehmlich dem finanziellen Vorteil ihrer Mitglieder gilt.
Wenn am 1. Januar um Mitternacht die Sektkorken knallen, übernimmt Rumänien für sechs Monate den Vorsitz der EU-Staaten. Doch je näher das Datum rückt, desto unverblümter äußern Politiker, dass ihnen angesichts dieser Tatsache so gar nicht nach Feiern zumute ist.
Es sei in "diesen schwierigen Zeiten" nicht hilfreich, wenn "eine Regierung die Präsidentschaft übernehmen soll, die selbst Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung mit Füßen tritt", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, dem "Spiegel". Noch deutlicher wurde sein Kollege Markus Ferber im Gespräch mit der "Welt": "Es herrschen in Rumänien chaotische Zustände. Die Regierung steht innenpolitisch unter Druck, sie hat keine Zeit, sich wirklich um Europa zu kümmern. Das wird katastrophal."
Vergleichsweise charmant war dagegen noch das Angebot der Finnen. Die hatten der rumänischen Regierung vor ein paar Wochen vorgeschlagen, die Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2019 gegen jene im zweiten Halbjahr zu tauschen, um Rumänien mehr Vorbereitungszeit zu gewähren.
Korruption wird Tür und Tor geöffnet
Ministerpräsidentin Viorica Dancila lehnte ab. Stattdessen brachte sie die Verantwortlichen in Brüssel einmal mehr gegen sich auf, indem sie ihnen Diskriminierung vorwarf. "Wir werden kritisiert, ohne es zu verdienen, wir werden bestraft, nur weil wir ein osteuropäisches Land sind", sagte sie.
Ein Sprecher der EU-Kommission konterte unverhohlen: "Offen gesagt sollten die, die so argumentieren, genauer beobachten, was wir tun." Die Kommission habe sich immer dafür eingesetzt, die Ost-West-Kluft in der EU zu schließen. Er sprach von "politischen Interessen" in Rumänien, in die die Kommission nicht verwickelt werden wolle.
Die "politischen Interessen" der Regierung Dancila nämlich gründen in erster Linie auf Eigeninteresse. Die führenden Mitglieder der sozialdemokratischen Regierungspartei PSD fühlen sich weniger dem Wähler denn ihrem Bankkonto verpflichtet, arbeiten nicht an einer politischen Idee, sondern daran, sich selbst zu bereichern und ihre Privilegien zu sichern.
Sie sind seit ihrem Amtsantritt Anfang 2017 vor allem damit beschäftigt, mit Gesetzen und Verordnungen die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden, um diese bei der Bekämpfung der Korruption zu lähmen. So hat die PSD unter anderem dafür gesorgt, dass die Polizei ergaunertes Vermögen nicht mehr so leicht beschlagnahmen kann und Bestechung, Unterschlagung und Amtsmissbrauch nun schneller verjähren.
Unliebsame Richter und Staatsanwälte mussten ihre Posten räumen, darunter die langjährige Leiterin der Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft, Laura Kövesi.
"Sie stehlen uns alles"
Treiber dieser Entwicklung ist der PSD-Vorsitzende Liviu Dragnea. Er konnte nicht selbst Ministerpräsident werden, weil er wegen Wahlmanipulationen vorbestraft ist und Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und Korruption gegen ihn anhängig sind. Er gilt jedoch als mächtigster Mann des Landes, Amtsträgerin Dancila als seine Marionette.
Bukarest am vergangenen Samstag: Rund 2.000 Menschen sind auf die Straße gegangen. Sie skandieren: "Die Gendarmerie schützt Diebe!" Und: "Wir haben es satt, dass sie uns alles stehlen!"
Es ist nicht irgendein Tag. Zum zwanzigsten Mal jährt sich das Ende der kommunistischen Diktatur unter Nicolae Ceausescu. Mit Massenprotesten haben die Rumänen den "Conducator" - auf Deutsch "Führer" - am 22. Dezember 1989 in die Flucht geschlagen. Doch in das Gedenken an dieses historische Ereignis mischt sich aktueller Frust. Auch in Sibiu (Hermannstadt) und Cluj (Klausenburg) demonstrieren Hunderte gegen die Politik der PSD, so, wie sie es in den vergangenen Monaten immer wieder getan haben.
Europaminister wirft hin
Nicht nur die Demonstranten, auch Staatspräsident Klaus Iohannis, der der bürgerlichen Opposition nahesteht, hat schon den Rücktritt der Regierung gefordert. Er nennt diese einen "Unfall der rumänischen Demokratie" und hat ihr wiederholt die für eine EU-Ratspräsidentschaft nötige Kompetenz abgesprochen.
Dass der mit den Vorbereitungen betraute Europaminister Victor Negrescu im November das Handtuch geworfen hat, hat nicht unbedingt dazu beigetragen, Iohannis' Urteil zu wiederlegen. Gleiches gilt für die Regierungsumbildung vor rund sechs Wochen, bei der Dancila Minister ausgewechselt hat.
Der Brexit, die Migrationsfrage, die Europawahl - es sind dicke Brocken, die bei der Europäischen Union für die Zeit der rumänischen Ratspräsidentschaft auf der Agenda stehen. Doch damit nicht genug der Misere: Auch Rumänien selbst wird aller Voraussicht nach wieder auf der Tagesordnung landen. Nachdem die EU-Kommission dem Land im November erhebliche Defizite bei Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung bescheinigt und das EU-Parlament den Umbau der Justiz in einer Resolution scharf kritisiert hat, steht ein Suspendierungsverfahren nach Artikel 7 zumindest im Raum. Eine unheilvolle Kombination.
Verwendete Quellen:
- dpa
- afp
- "Die Welt" vom 25.12.2018: "Wird der Rumänische EU-Vorsitz zu einem Desaster für Europa
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