Zum großen Jubiläum lud Maybrit Illner Bundeskanzler Olaf Scholz in ihre Sendung ein. Der Regierungschef gewährte Einblicke in das Innenleben der Ampel und attackierte Oppositionschef Friedrich Merz.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als Maybrit Illner am 14. Oktober 1999 erstmals mit "Berlin Mitte" auf Sendung ging, war Olaf Scholz noch einfacher SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag. In ihrer 1.000 Sendung prüfte die dienstälteste politische Talkmasterin der Nation eine Stunde den jetzigen Bundeskanzler auf Herz und Nieren. Und sie fühlte am Puls der Ampel-Regierung. Schlug da noch was?

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Schnell war deutlich: Es saß der Chef einer zerstrittenen Koalition vor ihr, der wenig Begeisterung für das kommende letzte Regierungsjahr mit Grünen und FDP ausstrahlte.

"Aus meiner Sicht ist es schon manchmal sehr schwer, all die vielen Streitigkeiten durchzustehen und alles dafür zu tun, dass gute Ergebnisse dabei herauskommen", gab Scholz ehrlich zu. Heraus kamen bei der Analyse der Ampel auch Sätze wie: "Wer ein Mandat hat, muss ein Mandat erfüllen." Oder: "Wer einen Auftrag hat, muss ihn abarbeiten. Da sollte sich keiner in die Büsche schlagen." Weniger Lust zu regieren, geht kaum noch, so der Eindruck.

Regierung hat keine Ambitionen mehr

Da überraschte es nicht, dass der Kanzler in den 60 Minuten bis auf die Änderung des bei vielen Unternehmen umstrittenen Lieferkettengesetzes kein nennenswertes politisches Vorhaben skizzierte. Böse Zungen könnten behaupten, dass die Ampel ja schon ausreichend damit zu tun hat, die eigene Krise zu moderieren.

Mit den miesen Zustimmungsraten für ihn und die Regierung konfrontiert, blieb Scholz gewohnt schmallippig. Ob seine Autorität nicht infrage gestellt werde, durch das ständige Gestreite der Koalitionspartner? "Es ist überhaupt nicht gut, dass es so läuft", sagte der 66-Jährige.

Der Kanzler erweckte den Eindruck, als sei er selbst über die Ego-Aktionen seiner Koalitionspartner verwundert. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck schlug zuletzt einen Deutschland-Fond vor, eine Art Sondervermögen für die Ankurbelung der Konjunktur.

FDP-Finanzminister Christian Linder erteilte dem prompt eine Absage. Er lehnt neue Schulden strikt ab und will flächendeckende Steuerentlastungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. "Ich stell’ die gleiche Frage", sagte Scholz und wiederholte die Frage Illners. "Was sollen sich da die Bürgerinnen und Bürger von merken?" Die Moderatorin fragte irritiert nach: "Das fragen Sie sich auch?"

Scholz will Mindestlohn erhöhen

Scholz sieht sich ein Stück weit auch als Leidtragender der Umstände. Diese schrecklich komplizierten Viel-Parteien-Koalitionen, die überall in Europa wie Pilze aus dem Boden schießen und ein sauberes Regieren erschweren. Das Argument, das nicht ernsthaft eine Entschuldigung für den gefühlten Endlosstreit in der Ampel sein kann, kramte der SPD-Kanzler gleich mehrfach hervor.

Kämpferisch gab sich Scholz hingegen bei Plänen der SPD für den Wahlkampf 2025. Da merkte man dem Regierungschef an, dass da irgendwo noch ein Feuerchen lodert. Er will den Mindestlohn bis 2026 auf 14 Euro erhöhen, auch die Renten sollen steigen. "Sie kämpfen jetzt, Herr Scholz, Sie kämpfen jetzt", stellte Illner fast amüsiert fest.

Kämpfen will er auch für die weitere Unterstützung der Ukraine, "damit Putin nicht durchmarschiert und das Land ausradiert". Die Lieferung der gewünschten Taurus-Marschflugkörper und eine Aufnahme des Landes in die Nato lehnt Scholz weiter ab. "Meine Haltung zu Taurus ist klar: Ich halte das für falsch". Er gebe nicht jedem nach, "der aus der Kulisse ruft: 'Das noch, das noch, das noch'", und trage auch dafür die Verantwortung, dass kein großer Krieg ausbricht.

Scholz kritisiert Merz

Daher hat sich in Scholz' Augen auch Friedrich Merz als möglicher nächster Bundeskanzler disqualifiziert. Einer Atommacht stelle man keine Ultimaten, erklärte Scholz. "Ich bin sicher, das will niemand in Deutschland wirklich." Sollte Putin nicht damit aufhören, die Zivilbevölkerung in der Ukraine anzugreifen, müsste Europa die Reichweitenbeschränkung für Waffen aufheben, hatte Merz kürzlich vorgeschlagen.

Merz kann es einfach nicht, so der Tenor des Kanzlers. Er selbst natürlich schon. Daher hält Olaf Scholz, dem schon 2021 niemand einen Wahlsieg zugetraut hatte, auch kommenden Herbst eine Überraschung für möglich. Wobei ein SPD-Erfolg angesichts des großen Abstands von gut 15 Prozent zur Union schon eine Sensation wäre. Dass der Kanzler keinen Humor hätte, kann nach der 1000. Illner-Sendung wirklich niemand mehr behaupten.

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