Jüngste Wahlumfragen zeigen: Die AfD liegt bei den Landtagswahlen in Thüringen an erster Stelle. Was könnte das für die Demokratie Deutschlands bedeuten? Markus Lanz spielte das Szenario am Mittwoch durch.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Doris Neubauer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Zwei Jahre nach dem Angriff Russlands warnen Experten vor einem drohenden "Abnutzungskrieg in der Ukraine". Während Putin Gesellschaft und Wirtschaft militarisiert, flaut die Unterstützung für die Ukraine aus dem Westen ab. Deutschland sollte mehr Waffen wie Taurus-Marschflugzeuge liefern, sagen laut einer ZDF-Umfrage 51 Prozent der Bevölkerung.

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Die Unzufriedenheit mit der Außen- und Verteidigungspolitik sowie politischen Akteuren spielt vor allem extremen Parteien in die Hände: Die AfD könnte Umfragen zufolge bei der Landtagswahl in Thüringen ein Drittel der Stimmen erhalten.

Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

"Seid ihr bereit und willens, für den Frieden in Europa einzustehen und den Krieg zu vertreiben?". Für den CDU-Politiker Norbert Röttgen kann es auf diese Frage nur eine Antwort geben. Dass Deutschland nicht nur Taurus-Marschflugzeuge liefern müsse, sondern die Ukraine generell stärker unterstützen müsse, daran ließ er im Talk bei Markus Lanz keine Zweifel aufkommen. Krieg wäre der "absolute Ernstfall der Politik", und man müsse alles dagegen tun, dass er näher an Deutschland herankomme.

Wie das gelingen kann und welche Einflüsse der Ukraine-Krieg, aber auch die Terroranschläge in Israel mit ihren Folgen auf die Gesellschaft hierzulande hätten, darüber sprachen bei Lanz zudem die Politologin Sarah Pagung, "Stern"-Journalist Veit Medick und der Jurist Bijan Moini.

Das sind die Gäste

  • Norbert Röttgen, CDU-Politiker: "Darum ist es nicht Außen- oder Innenpolitik: Wir sind in einer geschichtlichen Zeit, wo die Deutschen in besonderer Weise und wo wir als Gesellschaft, als Nation klären müssen und die Europäer: Wer und was ist unsere Verantwortung? Was ist unser Interesse? Wer und was wollen wir sein?"
  • Veit Medick, Journalist: "Wenn Sie rechts und links ausschließen, warum sollte man eine Partei ohne Machtoption wählen? Warum eine Partei stark machen, wenn man weiß, dass sie weder mit der einen noch mit der anderen kann ... das macht keinen Sinn."
  • Sarah Pagung, Politologin: Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt - all das habe "Einfluss auf Gesellschaft jetzt und das sollte uns eigentlich dazu führen, darüber nachzudenken, wie wir außenpolitisch wirksam agieren können und nicht nur das machen, was innenpolitisch gerade opportun ist".
  • Bijan Moini, Jurist: "Es beginnt bei der Beamtenschaft (...), wenn dort der demokratische Geist wegbricht und der Glaube an den Rechtsstaat, an Menschenrechte, dann kann man effektiv - selbst wenn die Mehrheit daran glaubt - nichts mehr tun, erst recht, wenn die Mehrheit nicht mehr demokratisch denkt, wird es sehr, sehr schwierig."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

30 Minuten vor Sendungsende war es endlich so weit: Mit Bijan Moini, dem "brillanten" Juristen und Teamleiter der "Gesellschaft für Freiheitsrechte", konnte Markus Lanz ein "Gedankenspiel wagen, das von großer politischer Brisanz" wäre: Was wäre, wenn bei der Landtagswahl in Thüringen die AfD an die Macht käme. "Nur hypothetisch" wollte Lanz von Moini wissen, wie schnell ein Ministerpräsident Björn Höcke den Staat umbauen könnte.

"Der Fantasie sind - leider - keine Grenzen gesetzt", sagte Moini. Von banalen Dingen wie Leute in der IT-Verwaltung zu positionieren, die E-Mails mitlesen, bis hin zur Kündigung des Vertrags mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk MDR reichte die Palette. Man hätte zudem "viele Möglichkeiten, wie man das Leben für Geflüchtete schwer machen kann", könnte gegen linke Aktivisten polizeilich vorgehen, neue Lehrpläne einsetzen oder beschließen, als Thüringer Landesverfassungsschutz keine rechtsextremen Strömungen zu verfolgen.

Kurz: "Wenn man böswillig ist, dann könnte man den Parlamentsbetrieb sehr schwierig machen für die Opposition oder die Regierung, wenn man selbst die Kontrolle über den Verwaltungsapparat ausüben würde", erklärte Moini. Und "klar gibt es ein Gerichtswesen, aber bis der Rechtsschutz erreicht ist und umgesetzt wird", könnte es dauern. Bis dahin könnte "das, was unseren Staat ausmacht, ausgehöhlt" sein.

Auch wenn dieser schlimmste Fall vermutlich nicht eintreten wird: dass die AfD ein Drittel der Mandate erhält, erschien dem Juristen als wahrscheinlich. "Das hat schon Sprengkraft, weil die Verfassung in Thüringen nicht mehr geändert und kein Verfassungsrichter mehr gewählt werden könnte, ohne dass die AfD zustimmt."

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Das ist das Rede-Duell des Abends

Die Wahlumfragen zur Landtagswahl in Thüringen machen deutlich: Die AfD liegt an erster Stelle, gefolgt von der CDU. Ob das die Partei von Norbert Röttgen in eine schwierige Position bringe, fragte Lanz Veit Medick. Der hatte ein "machtpolitisches Dilemma" erkannt, mit wem wolle die Partei regieren? Schließlich gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die AfD und Linksparteien.

Davon wollte Röttgen nichts wissen: "Ich kenne nur den gegen die AfD."

Als Medick darauf hinwies, dass der CDU-Politiker beim Beschluss im Vorstand saß und Lanz die Passage vorlas, wehrte Röttgen ab: "Wir führen gewiss keine Koalitionsdiskussionen. Wir haben eine klare Aussage gegen die AfD." Die CDU müsse stärker werden, um die AfD zu verhindern. "Mehr gibt es von uns nicht als Aussage und Politik, weil alles andere schädlich wäre."

Lanz: "Schädlich wäre, wenn Sie diese Diskussion nicht ehrlich führen."

Röttgen: "Wir sind ehrlich."

Lanz: "Aber nicht offen". Am Montag nach der Wahl würde sich vielleicht jemand aus der Partei vor die Kamera stellen und sagen, dass eine Koalition mit den Linken doch möglich wäre.

"Mit den Wahlergebnissen muss jeder umgehen, das weiß jeder", sah Röttgen hier keinen Widerspruch. "Aber wenn ich mich jetzt mit Wahlergebnissen beschäftige, werden sie Realität." Parteien, Medien und in der Öffentlichkeit stehende Menschen sollten jetzt Spielchen und Tricks sein lassen, appellierte er mit einem Seitenhieb auf Lanz und Medick. Solche würden nur der AfD nutzen.

Als Letzterer erneut einhakte, hielt sich Röttgen nicht mehr zurück: "Ich bin verwundert, was Sie am interessantesten aus dieser Diskussion mitnehmen", meinte er. Die Schwierigkeiten, die die CDU angesichts der "Staatsgefahrenlage" haben könnte. "Das finde ich ziemlich klein und wird dem Ernst nicht gerecht."

"Wenn Sie rechts und links ausschließen, warum sollte man eine Partei ohne Machtoption wählen?", brachte das Medick nicht zum Schweigen, "warum eine Partei stark machen, wenn man weiß, dass sie weder mit der einen noch mit der anderen kann [...] das macht keinen Sinn."

Lanz versuchte den Schlagabtausch zu beenden: "Herr Röttgen, Sie haben Glück, die Uhr ist auf Ihrer Seite. Wir sind leider am Ende der Sendung." Was witzig gemeint war, kam ganz schlecht an. "Sie haben Glück? Das ist unfair. Dass Sie werten", wollte der CDU-Politiker aber nicht locker lassen. Lanz: "Ich verstehe, dass Sie sich quälen. Herr Röttgen, Sie sind durch." Röttgen: "Sie sind jetzt der Richter...?" Lanz: "Nein, es sollte humorig sein..." Röttgen: "Das ist misslungen."

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So hat sich Markus Lanz geschlagen

Dass sich Markus Lanz mit dem Ukraine-Krieg intensiv beschäftigt, hatte schon seine im November ausgestrahlte Dokumentation "Ukraine - Leben mit dem Krieg" gezeigt. Auch in der Diskussion punktete er mit seinem Fachwissen sowie den persönlichen, emotionalen Eindrücken aus der Ukraine selbst.

Richtig aufzuleben schien der Moderator aber erst beim "Gedankenexperiment", das er mit dem Juristen Bijan Moin durchspielte. Im Anschluss daran traute er sich - mit Rückendeckung des "Stern"-Journalisten Veit Medick -, Norbert Röttgen Konter zu geben.

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Was passieren könnte, wenn Menschen als Ausdruck ihrer Unzufriedenheit mit dem System und der "etablierten Politik" zu Parteien wie der AfD wechseln, machte das Gedankenexperiment mit dem Juristin Moini deutlich. Und auch wenn dessen Eintreten nicht wahrscheinlich ist, die abwehrende Reaktion von Norbert Röttgen hinterließ ein flaues Gefühl im Magen.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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