Woher kommt die Nachsicht mit Russland bei vielen Ostdeutschen? Warum sind mehr Menschen im Westen bereit, sich bei Energieengpässen einzuschränken? Darüber diskutierte Frank Plasberg am Montag (24.) mit seinen Studiogästen. Eine ostdeutsche Politikberaterin brachte Zündstoff in die Debatte, doch insgesamt fehlte es dem Abend an den entscheidenden Ableitungen.
Der Blick auf den Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen unterscheidet sich zwischen Ost- und Westdeutschland deutlich. Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Civey" ergab, sind in Westdeutschland 64 Prozent bereit, auch bei einer Energieknappheit auf Energie aus Russland zu verzichten – in Ostdeutschland nur 42 Prozent.
Hier sind auch deutlich weniger Menschen bereit, im Falle von Energieengpässen die Heizung herunterzudrehen oder weniger Auto zu fahren. Als Alternative zu russischem Gas favorisieren Ostdeutschen außerdem heimische Kohle, während die Westdeutschen mehrheitlich mit Solar- und Windenergie antworten.
Das ist das Thema bei "Hart aber Fair"
Bei
Das sind die Gäste
Antje Hermenau: Die Politikberaterin aus Sachsen kritisierte: "Die Menschen hier haben Angst, alles zu verlieren – auch durch Sanktionen, die nur uns schaden. Deshalb gehen sie zu Recht auf die Straße". Das sei eine Diskussion, die man gesamtdeutsch führen müsse und nicht nach Ost und West unterscheiden dürfe.
Ralf Fücks: "Ich verstehe, dass viele Menschen steigende Energiepreise und Arbeitslosigkeit fürchten. Aber ich habe null Verständnis dafür, sich kaltschnäuzig von der Ukraine abzuwenden", sagte der Publizist. "Was mich irritiert ist, dass man so fest die Augen verschließt vor der russischen Realität", so das Grünen-Mitglied. Russland als Friedensmacht oder eine Kraft des Fortschritts zu bezeichnen, dafür müsse man schon beide Augen verschließen.
Stephan Creuzberger: Der Historiker war sich sicher: "In Ostdeutschland findet gerade in Teilen der Bevölkerung eine Verklärung der Freundschaft zu Russland statt. Das war auch in der DDR meist keine Freundschaft auf Augenhöhe". Die Beziehungen seien staatlich inszeniert gewesen. "Es sind auch entsprechende Geschichtsbilder transportiert worden im Sinne der sowjetischen Interpretation", analysierte Creuzberger.
Jessy Welmer: "Meine Sorge ist, dass sich Ostdeutsche, die sich eigentlich schon in der Mitte des wiedervereinigten Deutschlands fühlten, dass die sich zurückziehen oder an die politischen Ränder gehen", fürchtete die ARD-Moderatorin. Sie lebe aber in der Hoffnung, dass sie in ihrer Generation den Gesprächskanal öffnen könne. "Dieses Ost-West-Ding ist für mich ein Lebensthema", gab sie zu.
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber Fair"
Die Politikberaterin Hermenau polterte häufig an diesem Abend. Gleich zu Beginn der Sendung attestierte sie einen "abgrundtiefen Hass unseres Führungs- und Spitzenpersonals, wenn sie zumindest im Frühjahr über Putin und Russland sprechen". Man habe hierzulande gefordert, Putin zu vernichten, es gebe Hasstiraden. Während man Russland verurteile, würde Kritik zum Beispiel Richtung Jemen fehlen. Plasberg kündigte schnell einen Faktencheck an, aber Hermenau fuhr fort.
"Dieser Unterschied ist aufgefallen und das haben die Menschen registriert. Und dann sagen sie sich: Na ja, der Russe hat viele Fehler, ich will auch den Putin nicht verteidigen und der Krieg ist nicht in Ordnung, aber, dass die 100 Prozent nur Teufel sind stimmt auch nicht." Man könne nicht ein ganzes Volk in Sippenhaft nehmen. Auch bei den Sachsen werde oft so getan, als seien es alles nur "braune Nazis". Das mangelnde Differenzieren geschehe aber nur zum Selbstschutz derer, die sich nicht in eine Diskussion wagen wollten. Der Moment des Abends, weil er in wenigen wütenden Sekunden von Hermenau zeigte, wie viel da brodelt.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Es gab einige Reibereien, aber kaum zusammenhängende Rede-Duelle an diesem Abend. Besonders Hermenau sorgte mit ihrem teils poltrigen Ton für kritische Blicke. Sie stieg ein: Die meisten, die aktuell auf der Straße seien, hätten Angst, dass "ihnen der Hintern auf Grundeis geht. Weil sie meinen, dass wir ein viel zu riskantes Spiel spielen und mit unserem mühsam bisschen Aufgebauten jetzt wieder an die Kante geführt werden", so Hermenau.
Das mache den Leuten großen Kummer. "Dann kommen natürlich auch mal die Erklärungsmuster ‚der Russe alleine ist nicht schuld‘. Ich selber sehe das übrigens auch so. An den Krisen, die wir hier in Europa zu bewältigen haben, ist der Russe bedingt schuld", sagte sie. Das werde jetzt als Ausrede benutzt.
Publizist Fücks schaltete sich ein: "Es war Russland, das Gas als Waffe eingesetzt hat gegen den Westen. Die haben schon vor dem Krieg angefangen, ihre Gaslieferungen zu reduzieren und die Abhängigkeit auszunutzen, in die wir uns sehenden Auges begeben haben", erinnerte er. Der Kreml nutze Energie als Waffe in einer Auseinandersetzung mit dem Westen.
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Richtiger Stil, aber zu wenig zielorientiert. Moderator Plasberg traf den Ton, er war nüchtern, wenig provozierend und einordnend. Fragte zum Beispiel: "Wo hört bei Ihnen das Verständnis auf?" oder "Hat sich Ihre Sicht auf Russland durch den Überfall verändert?" Aber es gelang ihm nicht, das Studio wirklich ins Gespräch miteinander zu bringen. In den größten Teilen der Sendung geriet Hermenau ins Abseits und der Rest des Studios war sich größtenteils einig. Vielleicht hätte es dann, sorgfältig und pointiert gesetzt, doch ein paar provokativere Fragen gebraucht oder das beständige Drängen auf die Frage: Wie kann man einander besser verstehen? Was muss passieren?
An einer Stelle machte Plasberg aber eine besonders gute Figur. Hermenau hatte zum Ukraine-Krieg gesagt: "Ich sehe das aus einer wirtschaftlichen Sicht". Plasberg entgegnete: "Wenn Sie es aus einer menschlichen Sicht sehen, so weit ist es von Sachsen nicht bis in die Ukraine, wenn Sie Angehörige verlieren, wenn Sie im Bunker sitzen, können Sie sich dann noch an einer wirtschaftlichen Sicht versuchen? "
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber Fair"
Entweder muss das Urteil lauten: Das Thema war in dieser Form zu groß für einen Abend bei Plasberg. Oder: Das Studio kam immer wieder vom eigentlichen Thema – der ost- und westdeutsche Blick auf Russland – ab und war dahingehend zu wenig diszipliniert. So oder so, der rote Faden ging dadurch verloren und die Debatte war kaum lösungsorientiert. Gleichzeitig kam es kaum zu Rededuellen. Nicht, weil es an Gesprächsstoff mangelte. Man hatte aber eher den Eindruck, Standpunkt für Standpunkt wurde aneinandergereiht, statt wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen.
Verwendete Quellen:
- ARD: "Hart aber Fair" vom 24.10.2022
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.