Vorbei ist sie, die kuschelige Erklär-Atmosphäre in den deutschen Talkshows. Auch bei Frank Plasberg und "Hart aber fair" ging es am Montagabend ordentlich zur Sache.
Die Hauptprotagonisten: ein Koch, der die Nase gestrichen voll hat von fehlenden Perspektiven für die Wiedereröffnung seines Lokals. Ein Schauspieler, dem das Virologen-Bashing auf die Nerven geht. Und eine verzweifelte Mutter, die sich fragt, wie lange sie die Situation ohne Kita und Grundschule mit ihrem Mann (beide im Homeoffice) und den drei Kinder noch durchhält.
Was ist das Thema?
Homeoffice, kein Konzert, Kino oder Kneipe – immer mehr Deutsche begehren gegen die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie auf, wollen ihre Freiheiten zurück haben. Gleichzeitig ist eine Debatte darüber entstanden, wo zuerst gelockert werden sollte.
Was ist wichtiger? Der Profifußball? Die Kitas?
Wer sind die Gäste bei "Hart aber fair"?
Prof. Dr. Melanie Brinkmann: Für die Virologin ist es immens wichtig, die Infektionszahlen nach den schrittweisen Lockerungen genau im Auge zu behalten, denn das heutige Infektionsgeschehen lasse sich aus den Statistiken immer erst zwei Wochen später ablesen. Brinkmann machte zudem Großeltern Hoffnung auf Treffen mit ihren Enkeln: "Wenn die Kinder jetzt in Quarantäne waren", so die Virologin, dann sei es "kein Problem", Oma und Opa zu sehen.
"Wenn wir so weitermachen wie bisher kommen wir an eine Klippe, wo wir alle hineinfallen", warnte Herrmann. Dann seien die Kollateralschäden höher als die Schäden durch Corona. "Das Schnitzel, dass ich heute nicht verkaufe, kann ich nicht morgen zweimal verkaufen."
Katrin Bruns: Bei der Mutter von drei kleinen Kindern wird das Nervenkostüm im Homeoffice immer dünner. "Wir sind voneinander genervt. Wir werden immer ausgelaugter". Die einen wollen lernen, die anderen – Bruns und ihr Mann – müssen arbeiten.
Ein fast unmöglich zu meisternder Spagat. Ihr fehlt eine Hoffnung und Perspektive, denn es sei ja absehbar, dass die Schulen nicht im Regelbetrieb laufen bis es einen Impfstoff gibt. Bruhns würde sich diesbezüglich klare Worte der Politik wünschen. Den Wunsch konnte ihr Malu Dreyer nicht erfüllen.
Was war das Rededuell des Abends?
Die am Montag veröffentlichten Infiziertenzahlen aus der 1. und 2. Fußball-Bundesliga sorgten für völlig unterschiedliche Deutungen. Alexander Herrmann sah in ihnen ein "wahnsinnig positives Signal" und erklärte: "Zehn von 1.700 und ein paar Zerquetschten. Ich weiß nicht, wie weit runter wir noch wollen?"
"Die Zahl sagt eigentlich überhaupt nichts!", gab Virologin Brinkmann zu Bedenken. "Doch!", platzte es aus Herrmann heraus. "Nein!", beharrte Brinkmann auf ihrem Standpunkt.
Dann setzte der Koch zu seiner Wutrede an. "Ihr sagt andauernd irgendwelche Zahlen. Wenn sie euch passen, dann sind sie richtig. Dann kommt ein anderer daher gekrochen und sagt: 'Ich bin auch Virologe. Das ist so nicht. Wir müssen jetzt diese Zahl nehmen.' Das ist genau das, was mich aufregt."
Brinkmann scheute zunächst den verbalen Konter, dafür sprang ihr Ulrich Matthes zu Seite: "Vor vier Wochen waren die Virologen die Allergrößten. Und jetzt fangen sie und viele andere an, die Virologen zu bashen. Das kann einfach nicht wahr sein."
Als sich die Gemüter beruhigt hatten, konnte Brinkmann auch noch ihr Argument vortragen. Die Aussagekraft der Tests bei den Fußballvereinen ist in ihren Augen nichtig, solange man nicht weiß, ob drei oder zehn aus einem Verein kommen und wie sie regional verteilt sind.
Was war der Moment des Abends?
"Es geht ums nackte Überleben", sagte Katrin Bruns, die Mutter dreier Kinder. Sie machte damit auf die verzweifelte Situation von Eltern aufmerksam.
Denn im Homeoffice arbeiten und mehrere Kinder betreuen – das ist für mehrere Monate am Stück für viele kaum zu bewältigen. Bruns fühlte sich von der Politik lange vergessen, wie sie betonte.
Wie hat sich Frank Plasberg geschlagen?
Im redseligen Ulrich Matthes fand Plasberg dieses Mal seinen Meister. Matthes redete, redete und redete – und schaffte es doch auf charmante Weise immer wieder, dass ihm Plasberg nicht das Wort abschnitt.
Einmal sagte er dem verdutzen Gastgeber sogar, dass er jetzt dran sei. "Darf ich? Darf ich?", fragte Plasberg später schelmisch grinsend, nachdem Matthes ihm nicht gestattet hatte, ihn zu unterbrechen.
Am Ende entschuldigte sich der Schauspieler, weil er die Interessen der Kunst so vehement vertreten hatte. "Aus Leidenschaft!", so Matthes. Plasberg sah es dem Aushilfs-Moderator nach.
Was ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"?
Deutschland rund eineinhalb Monate nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen: Die Momentaufnahme zeigte, dass die Ungeduld in Teilen der Bevölkerung zunimmt. Wobei es immer noch der privilegierte Teil der Deutschen war, der bei "Hart aber fair" abgebildet wurde.
Wie mag es erst einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern in der Zweiraumwohnung gehen nach der wochenlangen Quasi-Quarantäne?
Nachdenklich stimmte die Zuschrift einer Seniorin, die sich nach eigenen Angaben vorbildlich an die Hygieneregeln hält und beklagte, dass sie gern selber entscheiden wolle, was für Risiken sie eingehe. Nicht zu vergessen die vielen Menschen im Seniorenheimen, die teils extrem unter der Isolation leiden.
"Lagerkoller im Lockdown: Was lässt Corona von unserem Leben übrig?", fragte der Titel der Sendung. So pauschal lässt sich das nicht beantworten. Ullrich Matthes, am Theater fest angestellt, nahm die Situation recht gelassen hin, obwohl er auf vieles verzichten muss.
Bei Mutter Katrin Bruns werden dagegen die Nerven immer dünner, die Lebensqualität sinkt, der Lagerkoller nimmt zu. So war es auch keine Überraschung, dass bei der abschließenden Frage, mit wem man denn mal für einen Tag tauschen würde, jeder der Gäste mindestens einmal gewählt wurde. Nur die Mutter nicht.
Ein bezeichnender und ein wenig nachdenklich stimmender Schlusspunkt unter einen unterhaltsamen bis hitzigen Corona-Talk.
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