Persönliche Schicksalsschläge berühren am Mittwochabend bei "Maischberger". Doch wirkliche Aufklärung gibt's bei der Sendung über das Misstrauen gegen die "Schuldmedizin" nur in homöopathischen Dosen.
Die schnelle Talkshow auf Rezept geht ungefähr so: Man nehme ein Aufregerthema, setze ein paar Menschen mit festgefahrenen Meinungen gegenüber und mische eine Portion persönliche Betroffenheit unter - fertig.
Leider verpasst es "
Was ist das Thema bei Sandra Maischberger?
Man könnte dieses Urteil auch ins Positive wenden: Wer sich noch nie mit dem Phänomen der Impfskeptiker auseinandergesetzt hat, wer noch nie in eine Debatte um Für und Wider der Homöopathie geraten ist, der dürfte bei "Maischberger" etwas gelernt haben.
Der Einführungskurs unter dem Titel "Misstrauen gegen Schulmedizin: Weiße Kittel, nein danke?" streift in den 75 Minuten sehr viele Einzelaspekte: Den Glaubenskampf um die Globuli, die Debatte um die Impfpflicht und die Machenschaften übler Scharlatane.
Wer sind die Gäste?
ARD-Wetterexpertin Claudia Kleinert bekennt sich klar zur Homöopathie - sie greift bei Wehwehchen gern zu Globuli, den umstrittenen Kügelchen, in denen der Wirkstoff teilweise so stark verdünnt wurde, das er nicht mehr nachweisbar ist. Kleinert zieht allerdings eine klare Grenze: "Bei Entzündungen, die mein Körper nicht schafft, oder bei lebensbedrohlichen Krankheiten würde ich niemals nur Globuli nehmen."
Die ehemalige Homöopathin Natalie Grams wollte ein Buch über ihre guten Erfahrungen mit Globuli schreiben – und bemerkte im Verlauf ihrer Recherche, dass wissenschaftliche Studien ihre Beobachtungen widerlegen. "Die Argumente für Homöpathie sind auf Sand gebaut", sagt sie über ihre Abkehr von der Lehre. "Alles was hilft ist der Glaube daran, und eine gewisse Konditionierung."
Eine schwer erträgliche Geschichte erzählte Oxana Giesbrecht. Ihr damals sechs Monate alter Sohn steckte sich in einer Kinderarztpraxis mit Masern an, fünf Jahre später erkrankte er an einer unheilbaren Hirnhautentzündung. Er erblindete, verlernte Sprechen und Gehen, wurde zum Pflegefall und verstarb schließlich im Alter von 13 Jahren. Über die gestiegene Zahl von Masernfällen ist sie "entsetzt". Trotzdem hadert Giesbrecht mit der Impfpflicht, wie sie Gesundheitsminister
SPD-Gesundheitsexperte
Wohin das führen kann, erzählt Jaqueline Klaus. Ihr Vater geriet nach einer Krebsdiagnose in die Fänge eines Wunderheilers, der die Pseudolehre der "Germanischen Neuen Lehre" vertritt. Tumore erklärte der Heiler als Folge seelischer Konflikte, er empfahl seinem "Patienten", stundenlang ein von ihm geschriebenes Lied zu singen. Obwohl die Tochter versuchte, ihren Vater zu einer Chemotherapie zu bewegen, verstarb er letztlich ohne wirkliche Behandlung: "Da war kein Rankommen, das war ein perfides System."
Ursula Hilpert-Mühlig bemüht sich um eine klare Abgrenzung von solchen Scharlatanen. Die Präsidentin des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker stellt ihren Berufsstand lieber als Bewahrer des "alten Wissens" dar. Viele Menschen greifen darauf zurück, sagte sie, weil sie sich selbst einbringen wollen in den Heilungsprozess - und sich von Ärzten abgeblockt fühlen.
Was ist das Rededuell des Abends?
In aller Ausführlichkeit darf Hilpert-Mühlig den Ansatz der Heilpraktiker loben. "Wir behandeln den Menschen, nicht die Krankheit", das klingt natürlich nach einem vernünftigen Ansatz – den Karl Lauterbach genauso für die sogenannte Schulmedizin reklamierte. "Auch wir nehmen den Menschen ins Auge."
Als Beweis, dass etwa die weit verbreitete Akkupunktur nur Humbug sei, führt er eine Studie aus Harvard ins Feld: Nach der Behandlung von unerfahrenen Medizinstudenten fühlten sich mehr Patienten besser als nach der Behandlung durch Experten der "Traditionellen Chinesischen Medizin".
Die schmallippige Antwort von Hilpert-Mühlig: "Also wenn wir jetzt die Studienschlacht führen …" – "Die würden sie aber verlieren", giftet Lauterbach sofort zurück.
Würde sie wirklich? Eine Frage, die man hätte klären können, mit der Sandra Maischberger ihr Publikum aber etwas allein lässt.
Wie schlägt sich Sandra Maischberger?
Natürlich sollen Moderatorinnen dafür sorgen, dass alle Seiten gehört werden in einer Diskussion. Aber sie sollten auch dafür sorgen, dass die einordnen können, was gesagt wird. In der Diskussion zwischen Homöopathen und den sogenannten Schulmedizinern besteht eine enorme Schlagseite: Letztere haben die Wissenschaft auf ihrer Seite, Erstere den Glauben. Bei "Maischberger" kann man den Eindruck bekommen, beides stehe in der Medizin gleichberechtigt nebeneinander.
Als die Heilpraktikerin Hilpert-Mühlig sich in einer Erklärung verschwurbelt, warum wissenschaftliche Studien immer wieder die Wirkungslosigkeit von Globuli feststellen, lässt Maischberger es einfach durchgehen.
Was Hilpert-Mühlig sagt, lässt ihre Distanzierung von Wunderheilern aber plötzlich nicht mehr so glaubwürdig wirken: "Ich glaube die Art, wie wir Wissenschaft aufbauen, hat nicht die Möglichkeit, die Wirkungsweise wahrzunehmen." Im Klartext: Hilpert-Mühlig glaubt, wir hätten es mit einer Art paranormalem Phänomen zu tun. Irgendwie findet der Geist des Wirkstoffs den Weg ins Globuli-Fläschen.
Einen Nachweis für die Funktionsweise und die Wirksamkeit müssen Homöopathen nicht erbringen. Das könnte man als Fakt feststellen, ohne die neutrale Rolle der Moderatorin zu verlassen.
Was ist das Ergebnis?
Gefühl gewinnt, auch bei diesem Thema. Es passt ins postfaktische Zeitalter, wenn Menschen wie Kleinert zugeben, dass Globuli bei ihr wahrscheinlich nur wegen des Placebo-Effektes wirken – und sie trotzdem vehement verteidigen. "Ich habe das Gefühl, es wirkt", sagt die ARD-Wetterfee, und damit läuft jede faktenbasierte Diskussion ins Leere.
Was auch nicht weiter schlimm wäre, wenn es eine rein private Entscheidung wäre. Ist es aber nicht – einige Krankenversicherungen zahlen für homöopathische Mittel. Ob das richtig ist, diese Debatte hätte man an dieser Stelle führen müssen.
Oder was zu tun wäre, um die Bedürfnisse, die Menschen zu Heilpraktikern führen, auch innerhalb der Schulmedizin zu erfüllen. Ganz zu Beginn der Sendung fragt Maischberger kurz nach den Gründen für das Misstrauen der Menschen, und Karl Lauterbach räumt Fehler ein: "Wir operieren zu viel, verschreiben zu viel Antibiotika."
Immer wieder kommt zur Sprache, dass sich Ärzte oft zu wenig Zeit nehmen würden. Nun sitzt Karl Lauterbach seit 2005 für die SPD im Bundestag, agiert also nun schon in seiner dritten Großen Koalition als Gesundheitspolitiker - mit einem wirksamen Gegenrezept sind diese Regierungen noch nicht aufgefallen.
Was gegen Impfgegner hilft, die von der Weltgesundheitsorganisation mittlerweile als "globale Bedrohung" eingestuft werden, weil zu wenig Kinder gegen Masern geimpft sind? Eine Umfrage der Schwenninger Krankenkasse ergab jüngst eine überwältigende Mehrheit von 87 Prozent für eine Impfpflicht. Allerdings fühlten sich 40 Prozent der Befragten nicht ausreichend über Wirkungen und Nebenwirkungen informiert. Hoffentlich machen die Ärzte dabei in Zukunft einen besseren Job als "Maischberger".
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