Wie groß ist die Gefahr einer atomaren Eskalation des Ukraine-Kriegs? Bei "Markus Lanz" gaben ein Atomwaffen-Experte und der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski ihre Einschätzungen zu Protokoll. Ex-Linken-Chefin Katja Kipping attackierte Parteikollegin Sahra Wagenknecht.

Eine Kritik
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Immer wieder waren in den vergangenen Monaten atomare Drohungen aus Kremlkreisen zu vernehmen. Bei "Markus Lanz" ordneten Atomwaffen-Experte Frank Sauer sowie Ex-Oligarch Michail Chodorkowski ein, wie groß die Gefahr einer nuklearen Eskalation im Ukraine-Krieg aus ihrer Sicht ist. Linken-Politikerin Katja Kipping ließ sich vom Moderator in eine hitzige Diskussion zur Nato verwickeln und kritisierte ihre Parteikollegin Sahra Wagenknecht scharf.

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Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Seit Beginn seines Angriffskrieges in der Ukraine drohte der russische Präsident Wladimir Putin mal mehr mal weniger verholen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen. Doch wie real ist diese Gefahr wirklich? Bei "Markus Lanz" brachte unter anderem Atomwaffen-Experte Frank Sauer ein wenig Licht ins Dunkel und erklärte, warum er einen Einsatz von Nuklearwaffen für unwahrscheinlich hält. Hitziger wurde die Diskussion, als Linken-Politikerin Katja Kipping zu Wort kam und sich mit dem ZDF-Moderator über Sahra Wagenknecht und die Nato unterhielt.

Das sind die Gäste

  • Katja Kipping, Linken-Politikerin und Berliner Sozialsenatorin, verurteilte die durch Sahra Wagenknecht mitinitiierten "Friedens"-Demonstration am Wochenende in Berlin scharf: "Für mich ist Linkssein, auf der Seite der Angegriffenen zu stehen."
  • Robin Alexander, Journalist und stellvertretender "Welt"-Chefredakteur, befand: "Frau Wagenknecht erpresst die Linkspartei."
  • Frank Sauer, Politikwissenschaftler, räumte ein: "Die nukleare Drohung steht nach wie vor im Raum."
  • Michail Chodorkowski, Unternehmer und im Exil lebender Ex-Oligarch, hielt fest: "Wir sollten nicht Angst vor der Eskalation, sondern vor der Deeskalation haben."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Zu Beginn der Sendung ging Markus Lanz auf Ex-Oligarch Michail Chodorkowski ein, der aus London zugeschaltet war und seit vielen Jahren zu Wladimir Putins größten Kritikern zählt. "Hätten Sie es für möglich gehalten, dass Putin die Ukraine wirklich angreift?", wollte der Talk-Gastgeber wissen. Chodorkowski erwiderte: "Obwohl ich zehn Jahre lang eingesperrt war, betrachtete ich Putin vor dem Krieg lediglich als meinen politischen Opponenten. Der 24. Februar 2022 hat für mich alles verändert."

Der Exil-Russe weiter: "Davor habe ich nie gedacht, dass meine Heimat Russland mit der Heimat meiner Vorfahren Krieg führen wird. Seitdem ist Putin mein Feind und diejenigen, die an seiner Seite kämpfen, sind Gangster und nicht die russische Armee." Auf Putins Propaganda angesprochen, erklärte Chodorkowski nüchtern: "Leider ist die russische Bevölkerung noch nicht aufgewacht. Die Menschen in Russland glauben, dass, wenn Putin den Krieg nicht angefangen hätte, Bomben auf die russischen Städte gefallen wären."

Michail Chodorkowski sprach sich in der Sendung für mehr Waffenlieferungen aus: "Wir sollten nicht Angst vor der Eskalation, sondern vor der Deeskalation haben", bekräftigte er. "Putin versteht das Konzept 'Win-Win' überhaupt nicht. Er versteht nicht, dass man sein Wort halten kann und muss. Er hat so oft seine Versprechen gebrochen. Deswegen ist die Möglichkeit der friedlichen Verhandlungen sehr eingeschränkt."

ZDF-Moderator Markus Lanz lenkte das Gespräch daraufhin auf das Thema Atomwaffen und fragte konkret: "Wäre es möglich, dass Atomwaffen eingesetzt werden?" Der Ex-Oligarch hielt sich zunächst bedeckt, warnte dann jedoch: "Jeder Versuch, Putin zu beruhigen, dass die Nato kein Teil des Konflikts sein wird, führt dazu, dass Putin näher zu der Entscheidung rückt, taktische Atomwaffen einzusetzen. Was die strategischen, die interkontinentalen Atomwaffen angeht - das wird nicht kommen. Wenn er sich entschließt, die zu benutzen, dann sterben wir alle."

Atomwaffen-Experte Frank Sauer hakte ein: "Die Drohung ist für Putin nützlicher als die Tat. Er manipuliert damit unser Verhalten. Die ständigen Diskussionen über unsere roten Linien haben auch etwas mit seiner Drohung der Nutzung taktischer Nuklearwaffen zu tun. Wir können es nie ausschließen, dass es doch mal geschieht, dass eine Nuklearwaffe eingesetzt wird, aber ich halte das Risiko zurzeit für überhaupt nicht akut."

Markus Lanz stellte dennoch fest: "Das ist jetzt nicht wirklich beruhigend, was Sie da sagen." Der Experte stellte klar: "Es ist nicht seriös zu sagen, dass es nie passieren wird und Putin nur blufft. Aber ich glaube nicht, dass wir schlaflose Nächte haben müssen." Markus Lanz fragte daraufhin hoffnungsvoll: "Vielleicht hat Russland gar keine funktionierenden Atomwaffen mehr?" Frank Sauer dementierte prompt: "In Russland gibt es ungefähr 6.000 Sprengköpfe. Davon sind 1.550 strategische Waffen. Selbst wenn 90 Prozent nicht funktionieren würden, reicht der Rest aus." Lanz ergänzte: "Für die Apokalypse."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Bei der nuklearen Aufrüstung und atomaren Waffen in Deutschland schaltete sich auch Linken-Politikerin Katja Kipping ein. Sie erklärte kopfschüttelnd: "Ich weiß schon, dass es solche Waffen hier gibt. Ich würde mir niemals anmaßen, unterschiedliche Waffenarten aufzuzählen. Ich hoffe, dass sie nie eingesetzt werden."

Journalist Robin Alexander klärte auf: "Es gibt das Konzept der nuklearen Teilhabe. Deutschland ist ja Mitglied des atomaren Sperrvertrages. Aber die amerikanischen Atomwaffen schützen uns und ein Teil davon liegt auch bei uns." Über eine mögliche europäische Nuklearvereinigung sagte Alexander: "Der Gedanke liegt nahe, wenn die Amerikaner unsicher werden."

Ganz anderes bewertete dies Katja Kipping. Die Berliner Sozialsenatorin stellte im Gespräch mit Markus Lanz klar: "Die Idee der atomaren Abrüstung finde ich nach wie vor richtig. Es ist noch gar nicht so lange her, dass das Schicken von Panzern hochumstritten war. Jetzt wird ganz selbstverständlich über atomare Aufrüstung gesprochen. Das macht was mit einem, und ich merke in mir selbst eine Zerrissenheit."

Der ZDF-Moderator fragte daraufhin konkret: "Würden Sie sich klar zur Nato bekennen?" Die Linken-Politikerin reagierte ohne große Überlegung: "Ich halte nichts von Bekenntnissen. Ich will ja nicht in ein anderes Extrem fallen. Am Anfang ging's um Helme und jetzt um atomare Aufrüstung. Was kommt als Nächstes?"

Markus Lanz ließ dennoch nicht locker und fragte fassungslos: "Was ist an einem Bekenntnis zur Nato extrem?" Kipping gab nicht nach und konterte: "Die Nato ist ja zuallererst ein Militär-Bündnis", woraufhin Lanz fragte: "Das löst bei Ihnen nicht aus: Wie gut, dass es die Nato gibt?" Die Antwort der Linken: "Nein, das ist nicht mein Reflex."

Die frühere Linken-Parteichefin fokussierte sich im weiteren Verlauf der Sendung lieber auf das Friedensmanifest von Parteikollegin Sahra Wagenknecht und stichelte: "Für mich ist Linkssein, auf der Seite der Angegriffenen zu stehen und nicht mit Nazis und Rechten zu demonstrieren. Ich finde das eine besorgniserregende Entwicklung." Robin Alexander wollte dies jedoch nicht unkommentiert stehen lassen und reagierte auf die Wagenknecht-Kritik mit den Worten: "Es ist eine Illusion, dass es nur eine Frau in der Partei ist. Frau Wagenknecht hat sechs harte Anhänger in der Fraktion. Sie treibt die Partei immer weiter in die Bredouille, die auf Frau Kippings Gesicht deutlich zu lesen ist." Die Linken-Politikerin wollte sich darauf jedoch nur bedingt einlassen und reagierte verhalten: "Ich bin dafür, dass sich die Fraktion klar positioniert."

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Lanz gelang es, seinen Gästen, allen voran Katja Kipping und Frank Sauer, einige interessante Thesen zu entlocken. Ein roter Faden lief durch die Sendung und der ZDF-Moderator schaffte es, mit prägnanten Fragen die Debatte lebhaft zu gestalten. Vor allem die Diskussion zwischen Robin Alexander und Katja Kipping ließ der Talk-Gastgeber teilweise unkommentiert laufen, wodurch vor allem zum Ende der Sendung einige spannende Momente entstanden.

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Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Vor allem Atomwaffen-Experte Frank Sauer gab bei "Markus Lanz" einige wichtige Denkanstöße zur Gefahrensituation. Katja Kipping sorgte dagegen am Ende der Sendung für Fragezeichen, als sie über ihre politische Zukunft und ihre möglichen Pläne den Mantel des Schweigens hüllte.

Markus Lanz bilanzierte dennoch zufrieden: "Das war in vielerlei Hinsicht sehr erkenntnisreich."  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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