Die gefährliche Reiserückkehrwelle setzt ein, viele feiern, andere demonstrieren gegen die Schutzmaßnahmen – und die Infektionszahlen steigen. Wie regieren, wie reagieren, was tun?

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Frank Heindl dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Dunja Hayali stellte am Donnerstag einige richtige Fragen, doch die Antworten zeigten wenig Entschlusskraft. Und wo sie nachfragen hätte müssen, blieb die Moderatorin beklagenswert harmlos.

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Das waren die Gäste des Abends bei Dunja Hayali:

Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Derzeit präsentiert er sich als scharfer Corona-Wächter, verordnet Maskenpflicht an den Schulen seines Bundeslandes schon von der fünften Klasse an.

Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linkspartei. Auch sie fürchtet die zweite Welle und hat mehr oder weniger dieselben Ideen wie Laschet – nur mit etwas mehr sozialem Touch.

Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Sieht die Gesundheitsämter bundesweit nach wie vor sehr schlecht aufgestellt.

Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Bundesland ist das erste, das nach den Sommerferien zum Regelunterricht zurückkehrt. Und sie ist vor kurzem von einer Krebserkrankung genesen – was Dunja Hayali zu einem eigenen Thema am Ende des Talkabends machte.

Roland Imhoff, Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz. Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen, meint er, empfinden eine massive Ungerechtigkeit, der sie sich hilflos ausgeliefert fühlten. Sie antworten mit Wut, Empörung und der Suche nach Schuldigen.

Nicht zu vergessen: die Moderatorin Dunja Hayali, die am vergangenen Wochenende eine Reportage über die Berliner Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen abbrach, weil sie die Sicherheit ihres Teams gefährdet sah. Ein längerer Einspieler fasste die Ereignisse auf der Demonstration zusammen.

Nicht unter den Gästen: Opposition. Demokratischer Streit? Wissenschaftliche Debatte? Politische Kritik? Fehlanzeige! Hayali hatte eine Teilnehmerrunde organisiert, in der man nur in Nebenaspekten unterschiedlicher Meinung war.

Das war der Höhepunkt:

Ute Teichert, per Video zugeschaltet, blickte eher grimmig in die Runde. Sie war die einzige, die substanzielle Kritik übte: Die Gesundheitsämter, argumentiert sie, tragen die Hauptverantwortung für die Wirksamkeit der Anti-Corona-Maßnahmen.

Sie sollen testen, Infektionsfälle nachverfolgen und die Quarantäne erkrankter Personen überwachen. Doch wie? Die Ämter, so Teichert, bräuchten "dringend mehr Personal in allen Aufgabenbereichen".

Die Frage, wie viel Personal denn fehle, wie groß also das Drama genau ist, wäre nun angebracht gewesen. Aber niemand stellte sie. Stattdessen wandte sich Hayali an Armin Laschet mit der Feststellung, das sei doch "eigentlich nicht zu fassen". Diese Feststellung blieb der Aufreger des Abends. Kritischer wurde es nicht, aufregender auch nicht.

Stattdessen durfte Laschet ausführlich beschreiben, seit März werde bei den Gesundheitsämtern nachgebessert, "aber es reicht noch nicht". Weil die Gesundheitsämter die wichtigsten Institutionen für die Corona-Bekämpfung seien, sei deren Ausstattung verbessert werden, aber noch nicht ausreichend. Auch die angestrebte Vernetzung der Ämter untereinander sei noch nicht erfolgt.

"Eigentlich nicht zu fassen"

Hier hätte Hayali ihre Bemerkung wiederholen können, denn in der Tat ist es "eigentlich nicht zu fassen", dass in den Behörden offenbar wenig vorangeht. Wir befinden uns, man muss daran erinnern, schließlich nicht am Beginn der Pandemie, sondern kurz vor einer von allen Anwesenden befürchteten zweiten Welle.

Warum also sind die erforderlichen Maßnahmen immer noch nicht getroffen? Die Antwort wäre möglicherweise interessant gewesen, aber die Frage wurde nicht gestellt.

Stattdessen Phrasen von allen Seiten: Katja Kipping fordert, man dürfe mit den vorläufigen Erfolgen "nicht leichtfertig umgehen", stattdessen müssen man "den Kampf energisch führen." Auf Hayalis Frage, wie man sicherstellen könne, dass Reiserückkehrer aus Risikogebieten die 14-tägige Quarantäne einhalten, antwortet Armin Laschet, es reiche nicht aus, zu appellieren. Und appelliert dann an die Betroffenen, sie sollten sich keinesfalls zu sicher fühlen.

Kipping sorgt sich, es könnte zu viel von Sanktionen gesprochen werden, wenn die Menschen sich nicht an die Vorsorgemaßnahmen halten. Politik müsse sich mehr am "Ermöglichen" orientieren. Außer der Idee, Maskenautomaten aufzustellen, gibt sie aber keine Beispiele dafür, was sie ermöglichen möchte. Ihrer Forderung nach kostenlosen elektronischen Geräten für alle Schüler stimmt Laschet ohnehin zu.

Scheinantworten statt präziser Vorschläge

Die Crux ist, wie bei vielen Talkshows: Die Moderatorin fragt nicht nach, fordert keine präzisen Vorschläge, sondern gibt sich mit Scheinantworten zufrieden. Die nicht stattfindende Diskussion zeigt vor allem eines: Hilflosigkeit der Politik und Einfallslosigkeit der Talkshow-Macher.

Darüber kann nicht einmal der Teil hinwegtäuschen, in dem Hayali über ihren abgebrochenen Filmdreh auf der Berliner Demonstration berichtet. Die kurzen Schnitte aus dem Demonstrationsgeschehen und ihre Versuche, mit den Gegnern der Corona-Maßnahmen ins Gespräch zu kommen, erklären wenig und beweisen nichts, der zugeschaltete Rechts­psycho­loge wagt nur allgemein gehaltene Statements, die sich vor allem auf Beschwörungstheoretiker beziehen.

Dass das Spektrum der Berliner Demonstranten vielschichtiger ist, darf man anmerken, ohne deren beängstigend sorglose Nähe zu Rechtsradikalen zu beschönigen.

Richtigerweise betont Armin Laschet mehrfach, die Politik müsse deutlich machen, dass sie genau abwägen, welche Maßnahmen wann notwendig seien. Vertan aber hat Dunja Hayali die Chance, in ihrer Talkrunde genau diesen Prozess des Abwägens und kritischen Diskutierens nachzuvollziehen.

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Stattdessen blieb ihr noch viel Zeit, um sich mit Manuela Schwesig über deren überstanden Krebserkrankung zu unterhalten. Auch ein Thema – aber in diesem Kontext fehl am Platz.

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