Nordkorea ist eines der am stärksten militarisierten Länder der Welt: 1,1 Millionen Soldaten stehen unter Waffen, Millionen Reservisten sind abrufbereit, das Atomprogramm wird vorangetrieben. Auch wenn ein Krieg als eher unwahrscheinlich gilt: Die Bedrohung ist real.

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Als Handelspartner ist Nordkorea international kaum von Bedeutung - und doch beschäftigt das Land die Weltpolitik. Der Grund: Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm. Südkorea, Japan und nicht zuletzt die USA fühlen sich bedroht.

Vor wenigen Tagen hatte Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un erneut eine ballistische Rakete Richtung Meer abfeuern lassen. US-Präsident Donald Trump reagierte, indem er eine Flugzeugträger nach Korea entsandte. Außerdem erhöht er den Druck auf China, gegen das Regime in Pjöngjang vorzugehen.

Wie groß ist die Gefahr, die vom nordkoreanischen Militär ausgeht? Wie stark sind die einzelnen Waffengattungen? Und welche Ziele könnte Kim mit Artillerie und Raketen treffen?

Riesiges Militär, schlechte Ausrüstung

Im Verhältnis zu den 24 Millionen Einwohnern nimmt das nordkoreanische Militär enorme Ausmaße an. Nach einem Bericht des US-Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2016 stehen allein bei den Bodentruppen über 950.000 Mann unter Waffen. Weitere sieben bis acht Millionen sollen in Reserveeinheiten organisiert sein.

Im "Globalen Militarisierungsindex" des Friedensforschungsinstituts BICC aus Bonn lag Nordkorea 2011 auf dem ersten Platz. In den vergangenen Jahren konnten keine verlässlichen Daten mehr erhoben werden.

Schätzungsweise 180.000 Soldaten werden den nordkoreanischen Spezialkräften zugerechnet: Sie sind auf asymmetrische Kriegsführung vorbereitet – Anschläge, Spionageeinsätze sowie Kommandoaktionen. Zudem verfügt die Koreanische Volksarmee (KVA) über rund 4.200 Panzer, 2.200 gepanzerte Fahrzeuge, 8.600 Artilleriegeschütze und 5.500 Mehrfachraketenwerfer.

Zur Marine zählen 60.000 Soldaten, 430 Patrouillenschiffe und eine der größten U-Boot-Flotten der Welt. Der Luftwaffe gehören über 110.000 Soldaten an – und mehr als 800 Kampfflugzeuge, 300 Hubschrauber und mehr als 300 Transportflugzeuge.

Allerdings darf die schiere Größe des Militärs nicht über seinen Zustand hinwegtäuschen: Besonders die Luftwaffe gilt als veraltet, seit Jahrzehnten wurden keine Kampfflugzeuge eingekauft. Die modernsten Jets, die MiG-23, stammen aus den 80er Jahren, auch die Flugabwehrsysteme sind überholt. Ein großes Problem stellten fehlender Treibstoff und mangelnde Trainingsmöglichkeiten für Piloten dar.

Allerdings sind etwa 70 Prozent der Bodentruppen in der Umgebung der demilitarisierten Zone an der Grenze zu Südkorea stationiert – und damit im Kriegsfall schnell einsetzbar. "Trotz einer Ressourcenknappheit und veralteter Ausrüstung kann Nordkorea ohne Vorwarnung einen Angriff auf Südkorea starten", heißt es im US-Bericht.

Südkorea und Japan in Reichweite

Bei einer militärischen Eskalation wäre die südkoreanische Hauptstadt Seoul gefährdet: Sie liegt nur rund 50 Kilometer von der demilitarisierten Zone entfernt und damit in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie, die zum Großteil an der Grenze stationiert ist.

Noch größere Sorgen bereitet den Nachbarn das Raketenprogramm. Laut "Spiegel Online" verfügte Pjöngjang 2013 über bis zu 1.000 Raketen, die meisten sind einstufige Kurz- und Mittelstreckenraketen. Sowohl der Erzfeind Südkorea als auch Japan liegen in Reichweite.

Anfang März stürzten drei Mittelstreckenraketen in der 200-Meilen-Zone vor der japanischen Küste ins Meer. Darüber hinaus besitzt Pjöngjang laut US-Angaben sechs Interkontinentalraketen mit einer Reichweite von mehr als 5.500 Kilometern und eine nicht bekannte Anzahl von Taepodong 2.

Diese Interkontinentalraketen könnten unter Umständen die Westküste des US-amerikanischen Festlands treffen. Offen ist, wie weit die Wissenschaftler Kims in ihren Bemühungen gekommen sind, das Raketen- und Atomprogramm zusammenzuführen.

Atomprogramm wird stetig weiterentwickelt

Laut Nordkorea-Experte Eric J. Ballbach ist aufgrund fehlender Inspektionen nicht klar, ob Nordkorea die Technologie besitzt, Atomsprengköpfe zu miniaturisieren und auf die Raketen zu installieren.

"Haben wir es nur mit Atombomben zu tun? Oder reden wir schon von der Wasserstoffbombe? Wie weit fortgeschritten ist das urangestützte Programm? Wie weit sind die Nordkoreaner bei der Miniaturisierung der Atomsprengköpfe?", zählte der Politologe von der Freien Universität Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion offene Fragen auf.

Sicher scheint zu sein: Raketen- und Atomprogramm werden stetig weiterentwickelt. "Nordkorea hat in beiden Bereichen in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht", erklärt Ballbach.

Auch der Bericht aus dem US-Verteidigungsministerium nennt keine konkrete Zahl an Atomwaffen. Das "Wall Street Journal" berichtete 2015, dass Nordkorea nach chinesischen Erkenntnissen über 20 Atombomben verfüge. Laut US-Angaben soll das Land wahrscheinlich auch im Besitz chemischer und biologischer Kampfstoffe sein.

USA gegen Nordkorea: Ungleiches Duell

Wie groß ist die Bedrohung für seine Nachbarn nun angesichts der hohen Militarisierung? Die Atomwaffen betrachtet Pjöngjang mehr als Garant seiner staatlichen Souveränität gegen eine als feindlich empfundene internationale Umwelt. Ein direkter Angriff – auch mit konventionellen Waffen – gilt als unwahrscheinlich.

Trotz des aufgeblähten Militärs hätte Nordkorea in einem Krieg gegen den Süden und die verbündeten Amerikaner letztlich keine Chance. Es wäre ein "sehr ungleiches Duell" schreibt "Spiegel Online". Auf der einen Seite eine riesige, aber schlecht ausgerüstete Armee im Norden, auf der anderen Seite eine etwas kleinere, aber modern ausgestattete Truppe in Südkorea.

Sollte es tatsächlich zu einem neuen Koreakrieg kommen, würde eine Gruppe - wie in jedem Krieg - ganz bestimmt verlieren: die Zivilbevölkerung.

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