Es war ein hervorragender Tag für Kim Jong Un. Der Gipfel des Entgegenkommens, das Treffen in Singapur zwischen dem nordkoreanischen Machthaber und Donald Trump, hat für Kim seinen Zweck in nur fünf Stunden voll erfüllt. Das Land ist mit einem Schlag aus dem Schattendasein der Isolation ins Rampenlicht der politischen Weltbühne gehievt worden. Mit weitreichenden Folgen. Über einen Gipfel, der in vielerlei Hinsicht irritiert.
Es ist das erste Signal für "Appeasement" - von Beschwichtigung und gutem Willen.
Beim Gipfeltreffen in Singapur erscheint
Zum ersten Mal begegnen sich ein US-Präsident und ein amtierender Machthaber Nordkoreas nach Ende des Krieges persönlich – auf Augenhöhe, wie die Bilder suggerieren sollen.
Es entstehen Aufnahmen für die Geschichtsbücher. Nach den 13 Sekunden des ersten Handschlags wirkt es, als würden sich hier zwei alte Freunde treffen.
Kim Jong Un wie im falschen SciFi-Film
Die erste Gesprächsrunde unter vier Augen beginnt, dauert 48 Minuten. Im Anschluss ist US-Präsident
Es lief "sehr, sehr gut", er habe ein "exzellentes Verhältnis" zu Kim. Nordkoreas Machthaber weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass er allein schon dieses Zusammentreffen als Erfolg verbuchen kann, von der enormen Wirkkraft der Bilder ganz zu schweigen: "Viele Leute in der Welt werden dies für eine Art Fantasie halten, aus einem Science-Fiction-Film."
Kims Wandel vom weltweit geächteten Diktator zum international akzeptierten Staatsmann und Trump-Kumpel - diese Interpretation wird medial in die Welt versendet und von der nordkoreanischen Führung dank dem historischen Erzfeind USA über das eigene Staatsfernsehen als zeitversetzte Botschaft nach innen transportieren.
Vor dem Mittagessen ist Trump sogar zu einem Scherz mit der angereisten Weltpresse aufgelegt: "Bekommt jeder ein gutes Bild? Sehen wir freundlich, attraktiv und dünn aus? Perfekt."
Die perfekte Kehrtwende allemal. Hier treffen nicht der "senile Greis" und der "Raketenmann" aufeinander – wie sich Trump und Kim vor kaum einem Jahr noch beschimpft hatten.
Das Treffen ist ungezwungen, Kim scheint das Vertrauen des US-Präsidenten gewonnen zu haben.
Kim im Hintergrund, aber nicht mehr im Abseits
Im Anschluss steht ein gemeinsamer Spaziergang durch den hoteleigenen Garten an. Trump lässt Kim stolz einen Blick in seine Staatskarosse werfen und gibt sich hochzufrieden.
"Es ist besser gelaufen, als irgendjemand hätte erwarten können, Spitzenklasse", schwärmt Trump und informiert die Weltöffentlichkeit, dass eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet werden soll.
Kim hält sich höflich im Hintergrund - steht nun aber nicht mehr im Abseits.
Man muss sich schon daran erinnern, dass dies immer noch derselbe Kim Jong Un ist, der Menschenrechtsorganisationen zufolge in seinem Land über 100.000 Dissidenten in brutalen Arbeitslagern interniert haben soll, Tausende foltern und verschwinden ließ.
Es ist immer noch der Machthaber eines Landes, für welches das Auswärtige Amt dringend von Reisen abrät, auch, "da auf breiter Front schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen häufig vorkommen".
Doch mit unangenehmen Fragen zu Menschenrechten muss sich Kim gar nicht selbst auseinandersetzen, das erledigt der US-Präsident für ihn.
"Ich glaube, er will was machen. Er will die richtigen Dinge machen", wiegelt Trump alle Nachfragen von Journalisten ab. Das Thema sei ohnehin nur "verhältnismäßig kurz" angesprochen worden. Thema beendet.
Kim bekommt viel, Trump will fast nichts
Wirklich wichtig für Trump ist die Inszenierung der gemeinsamen Erklärung der USA und Nordkoreas, sie hat für Trump oberste Priorität. Die Urkunden werden von beiden Staatsmännern unterschrieben, es werden erneut Hände geschüttelt.
Beim Verlassen des Raumes tätschelt Kim Trump den Rücken. Diese Geste soll Nähe und Vertrautheit ausdrücken. Kim Jong Un ist ein Prestige-Coup in den Schoß gefallen, von dem er noch vor einem halben Jahr nicht einmal zu träumen gewagt hätte.
Und dabei musste Nordkoreas Machthaber noch nicht einmal an die persönliche Schmerzgrenze gehen. Denn als der Inhalt der Erklärung veröffentlicht wird, ist klar: Konkretes wurde nicht vereinbart.
Zwar bekennt sich Kim Jong Un "fest und unerschütterlich" auf eine atomare Abrüstung hinzuarbeiten, ein Zeitplan wurde aber nicht vereinbart, geschweige denn eine unabhängige Überprüfung durch Inspektoren der Internationale Atomenergie-Behörde IAEO.
Und auch von einer völligen Denuklearisierung ist keine Rede mehr. Die Sanktionen will Trump bereits aufheben, "wenn wir sicher sind, dass die Atombomben keine Größe mehr sind." Die Größe null wird durch diese Aussage nicht vorausgesetzt.
Dann aber folgt der Satz, der Kim endgültig zum Punktsieger des Gipfeltreffens macht: Trump will die Militärmanöver mit Südkorea einstellen und eventuell auch die rund 30.000 US-Soldaten aus Südkorea abziehen.
Es ist dies eine immer wieder vorgebrachte Forderung Pjöngjangs - und war bislang aus Gründen der Abschreckung gegenüber Nordkorea unverhandelbar für die Schutzmacht USA und alle Regierungen in Washington.
Für Donald Trump sind diese "Kriegsspiele", wie er die Manöver zuletzt nannte, aus Kostengründen und dem America-First-Prinzip allerdings ein streichenswerter Posten im Haushalt.
Amerikas Verbündete in der Region, Japan und Südkorea, reagieren hinter vorgehaltener Hand entsetzt. Es wirkt - wieder einmal - wie ein Alleingang des US-Präsidenten.
Selbst Mitarbeiter im Pentagon sollen Berichten zufolge überrumpelt worden sein, was das Verteidigungsministerium später dementiert. Minister James Mattis und die Belegschaft seien vorab über die Entscheidung informiert gewesen.
Am Ende bleibt wieder nur die Hoffnung
"Dealmaker" Trump lobt Kim als "sehr geschickten, sehr guten Verhandler". Die Ergebnisse des Gipfels in Singapur und die enorme mediale Symbolkraft des Treffens geben dem US-Präsidenten recht: Kim Jong Un hat bei diesem Gipfeltreffen mehr erreicht, als er sich erhoffen konnte.
Er musste dafür in keinem Punkt über Versprechungen hinaus, die Nordkorea auch schon früheren US-Regierungen - wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit - gegeben und nie eingehalten hatte.
Im Gegenzug erhielt Kim eine Quasi-Rehabilitierung durch ein bildgewaltiges Treffen mit einem US-amerikanischen Präsidenten auf Augenhöhe.
Sollte es tatsächlich zu einer Einladung ins Weiße Haus kommen, wie von Trump angedacht, wäre dies Kims Begnadigung und die endgültige Transformation vom Diktator zum Staatsmann - zumindest für die nordkoreanische Propaganda.
Denn ob es Kim Jong Un wirklich ernst meint mit der Abrüstung jener Waffen, die ihm bislang seinen Machterhalt - auch gegenüber den USA - garantiert haben, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten erst noch zeigen müssen. Viele Experten sind skeptisch.
Es bleibt dennoch die Hoffnung, dass sich durch diesen historischen Gipfel 70 Jahre nach Kriegsende die Tür zum Frieden und der Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel öffnet.
In diesem Fall hätte auch Trump zweifellos einen großen außenpolitischen Triumph errungen.
Bis dahin aber gehen die USA in maximale Vorleistung und beenden einen strategischen Mix aus politischer Isolation und militärischer Abschreckung, mit dem das Regime in Pjöngjang bislang davon abgehalten werden konnte, aggressive Rhetorik auch in die Tat umzusetzen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.