Die Jamaika-Sondierungen stehen auf Messers Schneide. Union, FDP und Grüne konnten sich bisher nicht auf ein gemeinsames Papier einigen. Die Gräben sind so tief, dass fraglich ist, wie ein Kompromiss überhaupt noch zustande kommen soll. Gleichwohl scheint ein Scheitern für besonder für die Union keine Option.

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Die Jamaika-Sondierungen wurden verlängert, notfalls soll noch das ganze Wochenende verhandelt werden. Darauf haben sich Union, FDP und Grüne nach 15 Stunden Nacht-Marathon geeinigt.

Nun ist das Verlängern der Gespräche noch lange nicht als Scheitern zu werten. Doch die Hängepartie zeigt, wie hoch die Hürden wirklich sind, um Jamaika für Koalitionsverhandlungen fit zu machen.

Seehofer kann nicht nachgeben

Das Zünglein an der Waage sind vor allem Grüne und die CSU. Sie kommen in den Hauptstreitpunkten einfach auf keinen gemeinsamen Nenner.

Insbesondere die CSU hält eisern an ihrer Forderung fest: kein Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem, also eingeschränktem, Schutzstatus.

"CSU und Grüne liegen so weit auseinander, dass es schwer werden wird, Kompromisse zu finden", sagt Politikprofessor Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserer Redaktion.

Gerade bei diesem Thema werde die CSU kaum von ihrer Position abrücken. Sie hatte vor den Sondierungen bereits einen Kompromiss mit der CDU ausgehandelt. "Mehr geht für sie nicht."

Andererseits kommt ein Scheitern von Jamaika für Seehofer nicht infrage. Für Niedermayer ist klar: Er muss Jamaika hinbekommen – und zwar zu seinen Bedingungen. Denn in der CSU brodelt es seit dem desaströsen Wahlergebnis.

Seit der Bundestagswahl mehren sich die Stimmen jener, die Seehofers Rückzug fordern. Wenn Jamaika kommt, "dann könnte er Bundesminister werden und anderen den CSU-Vorsitz und die Geschäfte in Bayern überlassen."

Scheitern die Sondierungen in Berlin dagegen, würde unweigerlich Seehofers Rücktritt zur Diskussion stehen.

Vor diesem Hintergrund ist auch Seehofers demonstrative Zuversicht zu sehen. "Wir werden alles Menschenmögliche tun, um auszuloten, ob eine stabile Regierungsbildung möglich ist", sagte der bayerische Ministerpräsident der Deutschen Presseagentur.

Es hofft auf einen Abschluss der Jamaika-Sondierungen an diesem Sonntag. "Ich hoffe, dass wir das am Sonntag schaffen", sagte der bayerische Ministerpräsident.

Worte der Zuversicht

Doch nicht nur Seehofer steht unter Druck. Scheitern die Sondierungen, kann das auch für Angela Merkel gefährlich werden. Die Union ist als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgegangen. Damit ist Merkel mit der Regierungsbildung betraut. Kommt Jamaika nicht zustande, könnte das der Kanzlerin angekreidet werden.

Innerhalb der CDU würde das vermutlich ihre Kritiker aus der Reserve locken. Bereits in der letzten Amtszeit wurde parteiintern Kritik laut – vor allem wegen ihrer Flüchtlingspolitik. "Ob aber ein Scheitern der Sondierungen Merkels Karriereende bedeutet, wage ich zu bezweifeln. Sie ist angeschlagen, aber innerhalb der CDU kann sie momentan noch niemand ersetzen", gibt Niedermayer zu bedenken.

Wohl wissend, wie wichtig Jamaika demnach auch für die CDU ist, verbreitete Kanzleramtschef Peter Altmaier am Freitag Zweckoptimismus.

Im ARD-"Morgenmagazin" sagte Altmaier, er rechne damit, dass die Sondierungsgespräche zu einem konstruktiven Ergebnis führen werden.

Er halte "die Probleme für lösbar". Das habe das bereits erarbeitete Papier gezeigt – auch wenn noch Punkte strittig seien. "Man kann zusammenkommen, wenn man zusammenkommen möchte", sagte Altmaier. Die unterschiedlichen Positionen unter einen Hut zu bekommen, erfordere allerdings etwas Geschick.

Jamaika um jeden Preis?

"Peter Altmaier und Angela Merkel wollen Jamaika um jeden Preis", sagt Niedermayer. Das sei auch dem Umstand geschuldet, dass Merkel schon länger Schwarz-Grün wolle, so der Politik-Experte.

Hinsichtlich möglicher Kompromisse sei die Kanzlerin "auch inhaltlich viel flexibler als andere in der CDU."

Ebenso wie die hart verhandelten Inhalte spielt das Klima der Verhandlungen eine wichtige Rolle. Wie wenig Vertrauen untereinander vorhanden ist, brachte FDP-Vize Wolfgang Kubicki am Morgen zum Ausdruck: "Es besteht immer der Verdacht, dass man über den Tisch gezogen werden soll, was keine gute Voraussetzung ist für Kompromisse", sagte Kubicki in der ARD.

Wie tief die Gräben sind und wie schwierig die Sondierungen, zeige sich auch an Themen, die längst abgehakt seien und nun wieder hochkochten. "Das sollte nach vier Wochen nicht passieren", sagt Niedermayer.

Alle in der Zwickmühle

Ob die Sondierungen allerdings positiv enden, da ist sich der Parteienforscher nicht sicher. Laufen die Gespräche auf ein Scheitern hinaus, dann ist mit Neuwahlen zu rechnen.

Mit Blick auf diese Option müssten sich alle Beteiligten die Frage stellen: Wem wird bei einem Scheitern der Sondierungen der Schwarze Peter zugeschoben? "Und zwar nicht nur von den Parteien, sondern auch von den Medien", sagt der Politik-Experte.

Auch der SPD könnten Neuwahlen angelastet werden, so Niedermayer, "weil sie gleich gesagt hat, sie geht in die Opposition."

Die Frage ist auch, welche Ergebnisse Neuwahlen bringen würden. Im aktuellen Deutschlandtrend gewinnen die Parteien kaum Prozentpunkte hinzu oder verlieren welche: Demnach erhält die Union 31 Prozent der Wählerstimmen, die SPD kommt unverändert auf 21 Prozent. Die AfD erhält 12 Prozent der Stimmen (minus ein Prozentpunkt). Die Grünen (unverändert) und die FDP (minus ein Prozentpunkt) würden jeweils 11 Prozent der Bürger wählen, die Linke 10 Prozent.

Niedermayer aber wirft ein: "Die aktuellen Umfragen lassen nicht darauf schließen, was passiert, wenn neu gewählt werden würde." Auch dass die AfD von Neuwahlen profitieren würde, sei nicht sicher.

Neuwahlen als Argument für Jamaika ins Feld zu führen, sei nicht der richtige Weg. Denn fest stehe auch: "Eine Jamaika-Koalition wird eine Zwangsehe sein und keine Liebesheirat. Das ist kein gutes Omen für eine Regierung." Und komme Jamaika, dann sei fraglich, wie lange diese Koalition halten werde.

Resümierend lässt sich festhalten: Alle Parteien befinden sich in einer vom Wähler gemachten Zwickmühle. Keiner will am Ende derjenige sein, der nachgibt aber auch nicht derjenige, der Jamaika eine Absage erteilt.

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