Was für eine Brandrede: Bei "Maischberger" macht CSU-Minister Gerd Müller die Discounter-Preise verantwortlich für "Sklaverei" und Kinderarbeit. Gloria von Thurn und Taxis redet sich anschließend um Kopf und Kragen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Ignorance is bliss", sagen die Briten. Frei übersetzt: Wem alles wurscht ist, der hat mehr Spaß im Leben. Wenn es noch einen Beweis für die ewige Gültigkeit dieses Satzes brauchte, hat ihn Sandra Maischberger an diesem Mittwochabend erbracht: Da hetzte sie in ihrem Vollgas-Format "Maischberger. Die Woche" mal wieder durch die Nachrichtenwoche, führte mit dem engagierten Entwicklungshilfeminister Gerd Müller ein spannendes wie ernüchterndes Interview – und brachte die Sendung dann mit einem Gespräch mit Gloria von Thurn und Taxis zu Ende, das als späte Sternstunde des Dadaismus durchginge. Wenn der Auftritt der selbsternannten Fürstin nicht in Wahrheit eine Zumutung gewesen wäre, der einem den Spaß an der Sendung verdirbt.

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Das sind die Gäste bei "Maischberger. Die Woche"

Davos, Esken, Künast-Urteil, Trump, Koalitionsumbildung, Libyen, Megxit: Es waren mal wieder eine Menge Bretter zu bohren für die Expertenrunde. "Morgenmagazin"-Moderatorin Anna Planken zeigte sich genervt vom "Duell" zwischen Greta Thunberg und Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum: "Die Mahnungen haben wir jetzt gehört, aber das 'America is better than ever' bringt uns auch nicht weiter. Die reden nicht miteinander, aber wir brauchen jetzt einen kühlen Kopf."

"Cicero"-Chefredakteur Christoph Schwennicke gestand der Jugend ein "heißes Herz" zu, vor allem angesichts der "Bigotterie" der Wirtschaftslenker in Davos. "Die hören sich das da an, das ist wie ein Ablasshandel." Gleichzeitig warnte Schwennicke aber auch vor einer "Infantilisierung der Politik". Kein gutes Haar ließ er an Robert Habeck, der Trumps Rede harsch kommentiert hatte.

Einspruch kam von Kabarettist Florian Schroeder, der die Diskussion um Habeck "verlogen" nannte: "Die Journalisten beschweren sich immer, dass wir nur standardisierte Formeln hören, und jetzt sagt mal einer, was er denkt."

Das ist der Moment des Abends

Wenn nicht alles täuscht, wurde das Publikum von "Maischberger" Zeuge der Gründung des sozialrevolutionären Flügels der CSU. Einziges Mitglied: Gerd Müller.

Was der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe in seinem verblüffenden Einzelgespräch mit Sandra Maischberger ablieferte, nennen YouTuber und ihre Generationsgenossen "Real Talk": Derart ungeschönt, unnachgiebig und selbstkritisch hat man wohl selten einen konservativen Politiker über die himmelschreiende Ungerechtigkeit im Welthandel reden hören.

Unser Fleischkonsum? "Dafür brennt in Brasilien der Regenwald." Ein halbes Kilo Avocados für 1,49 Euro? "Ein absoluter Skandal." Bananen unter einem Euro das Kilo? "Das führt zu Versklavung auf den Plantagen. Wie sollen die Menschen davon leben?"

All das "müssen die Menschen wissen", sagte Müller immer wieder. "Sie bestimmen beim Einkaufen über die Zukunft afrikanischer Kinder." Nur: Warum steht das nicht auf allen Verpackungen? Warum werden Produkte nicht mit einem Warnhinweis versehen, wie: "Dieser Preis garantiert kein würdiges Leben für die Arbeiter und provoziert Kinderarbeit“? Rhetorische Fragen, schon klar. Müller hat es mit freiwilligen Verpflichtungen probiert: Lidl stimmte zu, das Kilo Bananen nicht unter einem Euro anzubieten. Kurz danach drückte Aldi den Preis auf 88 Cent, Lidl knickte ein. "Diese Preise sind super dreist und super unmoralisch", befand der CSU-Politiker.

Nun plant Müller ein Lieferkettengesetz, das unter anderem Kinderarbeit ausschließen soll. "Da gibt es aber enormen Widerstand." Aus der Wirtschaft. Im Studio gab es für seine kämpferische Lehrstunde viel Applaus.

Das ist das Rede-Duell des Abends bei "Maischberger"

Vor einer Woche beklagte ein nachdenklicher Wolfgang Schäuble bei "Maischberger" den Auftritt des Ex-Bundesministers Günther Krause im "Dschungelcamp". Am Mittwochabend holte sich die Gastgeberin das Resterampen-Feeling ins eigene Studio: Gloria von Thurn und Taxis durfte zum Ende der Sendung ihre Meinung zur Unruhe in der katholischen Kirche und anschließend zu Gott und der Welt kundtun. An sich schon genug der Ironie, schließlich behauptet die 59-Jährige gern, man dürfe in diesem Land nicht sagen, was man denkt.

Eine bemerkenswerte Aussage für eine Frau, die auch an diesem Abend wieder als "Fürstin" angeredet wurde, als hätte es die Abschaffung der Adelstitel vor mehr als 100 Jahren nie gegeben. Der Ehrerbietung nicht genug, stellte Maischberger ihren Gast auch noch als "außerordentlich konservative Katholikin" vor. Mehr Verharmlosung als Understatement: Abtreibungen sind für von Thurn und Taxis "Massenmord", Migration ist "eine Form von Krieg", Homosexualität "wider die Natur".

Ihre Version der Vorgänge im Vatikan blieb offensichtlich auch für die Gastgeberin ein Rätsel: Die Abschaffung des Zölibats sei nur "ein deutsches Thema" von Leuten, die das Priestertum "zerstören" wollten. Und überhaupt sei der Streit zwischen Ex-Papst Benedikt und Franziskus nur eine Erfindung der Medien.

Waren diese Einlassungen für Nicht-Eingeweihte einfach nur schwer verständlich, driftete von Thurn und Taxis beim Thema Klimawandel vollends ab. Die Gegenmaßnahmen seien "nur Geldmacherei". "Und wer hat noch Geld in Europa? Wir Deutschen, weil wir fleißig waren. Wir waren die einzigen, die gearbeitet haben. Unsere Eltern und Großeltern. Und ich, ich habe noch als Kind gearbeitet. Kinderarbeit."

Zum Mitschreiben: Gloria von Thurn und Taxis, Spross einer Adelsfamilie, eingeheiratet in die Adelsfamilie mit dem größten privaten Waldbesitz Deutschlands, hat deswegen Geld, weil sie als Kind ganz fleißig gearbeitet hat.

Ein Interview, schlimmer als jede Dschungelprüfung.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Die Gastgeberin schien sich königlich, nein, fürstlich zu amüsieren mit der Frau. Immer wieder lachte Maischberger laut auf und frotzelte am Ende über ein gemeinsames Kabarett-Programm von Florian Schroeder und von Thurn und Taxis. Und natürlich, eine ironische Distanzierung musste auch noch sein: "Eine wie sie" werde sicher nicht von der CSU gefragt, ob sie in die Politik geht, sagte von Thurn und Taxis. "Warum nur?", antwortete Maischberger.

Anschlussfrage: Warum wurde die Frau dann eingeladen? Sicher nicht, um das Publikum zu informieren, was im Vatikan eigentlich vor sich geht. Da wäre eine Korrespondentin oder ein Insider die bessere Wahl gewesen. Also fürs Entertainment, für ein paar ungläubige Lacher? Dafür sind die Positionen der Rechtsauslegerin eigentlich zu ernst. Es sei denn, der Redaktion ist eh alles wurscht.

Das ist das Ergebnis

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller machte in seinem Interview einen interessanten Nebenschauplatz auf: Welches Land, fragte er lächelnd, werde denn eigentlich besser regiert als Deutschland? Diese Frage habe er auch Markus Söder gestellt, der – zum Unmut von Müller – eine Kabinettsumbildung anstrebt. Söder sei nur Bayern eingefallen, sonst nichts.
Christoph Schwennicke vom "Cicero" hatte noch ergänzende Ideen: Frankreich etwa, wo Präsident Emmanuel Macron "viel vorhat". Und Österreich, wo Sebastian Kurz es nach der FPÖ nun mit den Grünen probiert: "Da erkenne ich mehr Aktivität als in der Bundesregierung." Trotzdem, befand Anna Planken, sei die Diskussion nicht das, was Deutschland brauche, sondern "ein Showkampf". Alles Entertainment also. In der Politik wie in den Talkshows.

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