• Wegen der Verkürzung des Genesenenstatus steht das Robert-Koch-Institut massiv in der Kritik. Die FDP sägt am Stuhl von Präsident Lothar Wieler.
  • Wieler ist am Dienstag in der Bundespressekonferenz trotzdem guter Laune - nicht nur weil das ein besonderer Tag für ihn ist.
  • Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stärkt dem RKI-Chef den Rücken. Dabei steht auch Lauterbach wegen Wielers Vorpreschen unter Druck.
Eine Analyse
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Was Lothar Wieler sagt, ist immer ein guter Gradmesser für den Stand der Pandemie. Im vergangenen Herbst mahnte er eindringlich, die steigenden Corona-Infektionszahlen ernst zu nehmen. Deutschland sei ein großes Schiff, das auf eine Hafenmauer zusteuere, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts im November in der Bundespressekonferenz. Der Zusammenstoß sei kaum noch zu verhindern.

Der gleiche Ort, knapp drei Monate später: Wieler warnt zwar auch an diesem Dienstag vor zu großer Sorglosigkeit – er lässt aber Optimismus erkennen. Die Infektionszahlen sind zwar in der Tat in ungeahnte Höhen geklettert, allerdings sorgt die Omikron-Variante überwiegend für milde Krankheitsverläufe. "In wenigen Wochen haben wir die Omikron-Welle überstanden. Bleiben wir ruhig und achtsam und aufmerksam. Dann können wir uns entspannt auf Ostern freuen", sagt Wieler.

Die Frage ist allerdings, ob Wieler ganz persönlich sich auf Ostern freuen kann.

FDP verliert Vertrauen in den RKI-Chef

In der regierenden Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP sägt einer der drei Partner hörbar an Wielers Stuhl. Grund ist die umstrittene Entscheidung des RKI, die Gültigkeit des Genesenen-Status von sechs auf drei Monate zu verkürzen. Viele Menschen standen damit von jetzt auf gleich ohne 2G-Nachweis (genesen oder geimpft) da, der für die Teilnahme am öffentlichen Leben derzeit nötig ist.

Heftige Kritik kam daraufhin von der FDP. Der designierte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte am Wochenende dem "Spiegel" (Bezahlinhalt), Wieler könne sich des Vertrauens der Liberalen nicht mehr sicher sein. Auch der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki stellte Wielers Zukunft an der RKI-Spitze in Frage – und warf dem grünen Koalitionspartner unangebrachte "Nibelungentreue" zu Wieler vor.

"Wir in der FDP haben uns über die rasche Entscheidung des RKI zum Genesenen-Status sehr gewundert", sagt Andrew Ullmann, Obmann der FDP-Fraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestages, unserer Redaktion. Das Institut hätte den Schritt gründlicher kommunizieren und einen adäquaten Übergangszeitraum vorsehen müssen, findet er. "Dies sieht man zwischenzeitlich im Gesundheitsministerium genauso und man hat entsprechend verbesserte Kommunikation versprochen."

Der Kritisierte nimmt die Kritik gelassen

Äußerlich lässt sich Wieler am Dienstag nicht anmerken, ob ihm die Kritik zugesetzt hat. Kein Wunder: Er hat an diesem Tag Geburtstag, wird 61 Jahre alt – und das feiere er hier, sagt er mit Blick auf die Journalistinnen und Journalisten. "Was kann es denn Angenehmeres geben, wir sind uns doch ans Herz gewachsen." Wirkte er Ende des vergangenen Jahres an diesem Ort noch eher resigniert, fast verzweifelt, scheint ihm der Job inzwischen wieder Spaß zu machen.

Zu den Zweifeln an seiner Person will Wieler nicht viel sagen. Das Robert-Koch-Institut arbeite wissenschaftsbasiert – und das seit zwei Jahren unter besonderen Bedingungen im Rampenlicht der Pandemie. Es ist nicht das erste Mal, dass der Experte die Wut der Politik auf sich zieht. Kurz vor Weihnachten hatte das RKI in einem Papier "maximale Kontaktbeschränkungen" gefordert, um die damalige Infektionswelle zu brechen. Das Papier ging über die Beschlüsse von Bund und Ländern hinaus und war mit der neu angetretenen Ampel-Koalition nicht abgestimmt.

Ampel will Unabhängigkeit des RKI stärken – eigentlich

FDP-Politiker Andrew Ullmann will, dass sich Wielers Behörde künftig auf ihre wissenschaftliche Arbeit konzentriert. "Das RKI muss unabhängig wissenschaftliche Empfehlungen aussprechen können, und das Gesundheitsministerium muss die Politik machen. Eine Durchmischung dieser Aufgaben führt sonst schnell zu Chaos."

Die Ampel-Parteien haben sich daher vorgenommen, die Selbstständigkeit des RKI zu stärken. Es solle wissenschaftlich "weisungsungebunden" sein, heißt es etwas sperrig im Koalitionsvertrag. Ausgerechnet die FDP schrieb in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021: "Das RKI darf keine politikabhängige Behörde sein, sondern ist nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank zu einer unabhängigen Institution umzuwandeln." Wenn Lothar Wieler so eigenständig agiert wie zuletzt, ist das den Liberalen aber offenbar auch wieder nicht recht.

FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner schloss sich der Kritik aus seinen Reihen an: "Die fachliche und die Kommunikations-Entscheidung lag in den Händen von Herrn Wieler und ich glaube, man darf sagen, dass das außerordentlich unglücklich war", sagte er dem Fernsehsender RTL zur umstrittenen Verkürzung des Genesenenstatus. Es sei nun aber Sache von Karl Lauterbach, über Wielers Zukunft zu entscheiden.

Karl Lauterbach: "Herr Wieler hat mein volles Vertrauen"

Auch in den Medien ist in der vergangenen Woche spekuliert worden, dass der Bundesgesundheitsminister sich von Wieler trennen könnte. Offenbar hat er das aber nicht vor. "Herr Wieler hat mein volles Vertrauen, er sitzt ja auch erneut hier", sagt Lauterbach am Dienstag auf der Pressekonferenz. Er verstehe den gemeinsamen Auftritt als "Demonstration der Zusammenarbeit".

Die Diskussion um Wieler ist nur ein Aspekt einer größeren Uneinigkeit innerhalb der Ampel-Koalition. Die Liberalen drängen auf schnelle Lockerungen der Corona-Maßnahmen. FDP-Abgeordnete rufen auf Twitter nach einem "Freedom Day". Der baden-württembergische Landeschef Michael Theurer schreibt dort: "Der Zeitpunkt für Öffnungsdebatten ist jetzt."

SPD und Grüne dagegen warnen vor schnellen Lockerungen. Gesundheitsminister Lauterbach hat sie für die Zeit vor Ostern in Aussicht gestellt, will aber vorsichtig bleiben. Den Höhepunkt der Omikron-Welle erwartet er frühestens Mitte Februar. "Die Lage ist noch nicht wirklich unter Kontrolle", sagt er am Dienstag.

Auch Lauterbach steht unter Druck

Lauterbach hat eine Erkältung hinter sich – "corona-unabhängig", wie er betont. Die vergangenen Wochen haben ihm sichtlich zugesetzt. Der SPD-Politiker ist sozusagen per Votum des Volkes an seinen Traumjob gekommen: Als Wissenschaftler vom Fach mit medialer Dauerpräsenz erschien er wie die unumgängliche Besetzung für das Gesundheitsressort.

Nun aber kommen die Ministeraufgaben zu seinem ohnehin großen Pensum hinzu: Er muss auch eine Bürokratie führen und im Kabinett den Ausgleich mit den Regierungspartnern suchen. Es ist Lauterbach anzumerken, dass das Amt ihn fordert.

Von seinem Kurs will er aber nicht abweichen. Er habe besonders viel Wert darauf gelegt, seine Arbeit wissenschaftlich gut abzusichern, sagt er. "Ich bin bemüht und sehr ehrgeizig darin, dass wir gut durch diese Omikron-Welle kommen. Ich glaube, dass wir im Großen und Ganzen auf dem richtigen Weg sind." Wenn man einen großen Rückfall im Herbst verhindern könne, so würde ihm das "viel bedeuten".

Dass auch Lauterbach in den vergangenen Wochen in die Kritik geraten ist, hatte nicht zuletzt mit dem zweimaligen Vorpreschen von Lothar Wieler zu tun. Auch dem Minister wird schlechte Kommunikation vorgeworfen. Bisher scheint Lauterbach an seinem RKI-Chef aber festzuhalten. Ein Geschenk hat er für das Geburtstagskind Wieler am Dienstag zwar nicht dabei. Für derlei Nebensächlichkeiten hat der Pandemieminister derzeit aber wahrscheinlich ohnehein keine Zeit.

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Verwendete Quellen:

  • Corona-PK in der Bundespressekonferenz
  • Pressekonferenz von Bündnis 90/Die Grünen
  • Statement von Prof. Dr. Andrew Ullmann, FDP
  • FDP.de: Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021
  • Spiegel.de: "Des Vertrauens der FDP kann sich Herr Wieler nicht mehr sicher sein"
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