• Ungewöhnlich viele Menschen gehen in Kuba auf die Straße und fordern ein Ende der Diktatur.
  • Die Regierung unter Miguel Diaz-Canel schlägt die Proteste mit brachialer Gewalt nieder, lässt Regimekritiker verhaften. Eine Bloggerin trifft es während eines Live-Interviews.
  • Was die Menschen gerade jetzt auf die Straße treibt, warum die Regierung so hart reagiert und wie es weitergehen könnte, erklärt Expertin Michaela Braun.

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Sie wurde gerade live von einem spanischen Fernsehsender zu den beispiellosen Protesten auf Kuba interviewt, da schritten kubanische Sicherheitskräfte ein und nahmen die YouTuberin Dina Stars vor laufender Kamera fest.

Das harte Vorgehen der Regierung ist kein Einzelfall: Parteichef Miguel Diaz-Canel lässt unabhängige Journalisten, Künstler und Intellektuelle festnehmen oder positioniert Sicherheitspersonal vor deren Haustüren, schickt Schlägertrupps auf die Straßen Havannas und lässt das Internet staatlich reguliert abschalten.

Das Auswärtige Amt rät von nicht notwendigen Reisen zu dem Karibikstaat ab. Havanna-Klischees und Karibik-Träume würde man dort derzeit allerdings ohnehin nicht vorfinden.

Mangel an Lebensmitteln

Denn Kuba erlebt die seit Jahrzehnten größten Demonstrationen gegen das kommunistische Regime. Mit Sprüchen wie "Wir wollen Freiheit" oder "Heimat und Leben" skandieren die Kubaner durch die Straßen der Hauptstadt und weiterer Städte. Mehrere tausend Menschen haben Armut, Lebensmittelknappheit und Perspektivlosigkeit auf die Straße getrieben. Mit nur 40 Dollar im Monat müssen viele von ihnen auskommen.

"Die Demonstranten fordern ein Ende der Diktatur, des Kommunismus und der Planwirtschaft – eben all der Aspekte, die dazu führen, dass die Kubaner im Alltag unter unzureichender Strom- und Wasserversorgung, Mangel an Medikamenten und Nahrungsmitteln leiden", weiß Michaela Braun. Sie ist Referentin für Zentralamerika und Mexiko bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Rolle der sozialen Medien

Auch die Wirtschafts- und Gesundheitskrise habe die Proteste ausgelöst. "Diese jüngsten massiven Proteste in Kuba zeigen eine kubanische Bevölkerung, die angesichts der jahrzehntelang erduldeten prekären Situation im Land, die sich im Zuge der COVID-19-Pandemie nur noch verschlimmert hat, nun unerschrocken auf die Straße geht und ihrem Unmut und ihrer Verzweiflung Luft macht", beobachtet die Expertin.

Die Demonstranten haben ein Hilfsmittel zur Hand: die sozialen Medien. Internetzugang ist in dem kommunistischen Land mit Ein-Parteien-System mittlerweile weit verbreitet. "Das ermöglicht eine raschere Mobilisierung, Kommunikation der Demonstranten untereinander sowie öffentlich einsehbare Dokumentation der Protestaktionen", analysiert Braun. Die neuen Technologien seien ein Katalysator für den Wandel der kubanischen Gesellschaft.

Mut zu Protest gefasst

Die schlechten wirtschaftlichen und gesundheitlichen Entwicklungen auf Kuba sind schon seit Langem ein Grund für Wut, Frust und Perspektivlosigkeit. "Öffentliche Proteste und jede Art von Kritik und Opposition gegen das Regime inklusive der Existenz anderer Parteien neben der Kommunistischen Partei Kubas sind illegal, deshalb haben sich bis vor kurzem nur wenige Menschen getraut, ihre Unzufriedenheit auf die Straße zu tragen", erinnert Braun.

Der bedeutend gestiegene Zugang zu den sozialen Medien sei Schlüssel zum Verständnis, warum sich diese Proteste so schnell verbreiteten und warum sich Bürger, die normalerweise schweigen würden, nun dazu inspiriert fühlten und entschlossen hätten, Teil dieser Massenproteste zu werden, erklärt die Expertin.

Zeitpunkt ist kein Zufall

Dass die Proteste gerade jetzt stattfinden, ist aus Sicht von Braun kein Zufall. "Die Pandemie spielt eine multiplizierende Rolle, indem sie bestehende Missstände noch verschlimmert hat", sagt sie. Besonders die dritte Corona-Welle habe die Insel schwer getroffen.

"Das Fehlen einer angemessenen Gesundheitsversorgung, der Mangel an Medikamenten und die begrenzte Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen COVID-19 haben die prekäre Situation, in der die Kubaner leben, nur noch verschlimmert", erläutert Braun.

Verschärfte Lage durch Corona

Die ohnehin defizitäre wirtschaftliche Situation Kubas habe sich inmitten der Pandemie weiter verschlechtert, mit unmittelbaren Folgen für die schlichte Existenzfähigkeit zahlreicher Kubaner.

"Aufgrund der Handelsbeschränkungen hängt die Wirtschaft der Insel zudem stark vom Tourismus ab, der im letzten Jahr Pandemie-bedingt drastisch zurückgegangen ist", ergänzt sie. Die Regierung selbst schiebt derweil die alleinige Schuld auf die USA, die das Land seit Langem mit Sanktionen überzogen haben.

Neue Geldpolitik als Ursache

Damit nicht genug: Auch die neue Geldpolitik, die Anfang 2021 in Gang gesetzt wurde und die Abschaffung des doppelten Währungssytems umfasst, bekommen die Kubaner bitter zu spüren.

"Die Vereinigung der kubanischen Währung hat die Kaufkraft der Kubaner beeinträchtigt, die aufgrund des fehlenden Tourismus nun keinen Bargeldumlauf mehr haben", erklärt Expertin Braun. Letztlich dürfte auch der Zusammenbruch der Wirtschaft in Venezuela – dem wichtigsten Partner des Inselstaates – eine Rolle spielen.

Mehr Einblicke ins Land

Die sozialen Medien spielen noch an anderer Stelle eine Rolle: Sie geben Zugang zur Welt außerhalb Kubas. "Kubaner sind immer weniger isoliert von dem, was auf der ganzen Welt passiert, und im gleichen Maße verfügt die internationale Gemeinschaft über mehr Echtzeitinformationen und Einblicke in die politische, wirtschaftliche und soziale Lage des Landes", betont Braun.

So wurde beispielsweise die Inhaftierung des Rappers Denis Solis, Mitglied der demokratischen San Isidro-Bewegung (MSI) im November letzten Jahres live über Facebook übertragen. "Auch der anschließende Hungerstreik und die Inhaftierung von 14 anderen MSI-Mitgliedern wurden weltweit übertragen", ergänzt Braun. Die Beteiligung weiterer großer Teile der kubanischen Zivilgesellschaft, internationale Aufmerksamkeit und Kritik waren die Folge.

Regierung wurde überrascht

Auch die kubanische Regierung dürften die Proteste in ihrem Ausmaß überrascht haben. "Das extrem harte Vorgehen gegen Demonstranten und Regierungskritiker sowie das staatlich regulierte Abschalten des Internets könnte implizieren, dass das autoritäre Regime Kubas so nun versucht, möglichst schnell wieder die Kontrolle und Deutungshoheit über die Ereignisse zu erlangen, weitere Proteste im Keim zu ersticken und mögliche künftige Kritiker abzuschrecken", schätzt Braun.

Wie wird es auf Kuba weitergehen? Besteht Hoffnung auf ein freies Kuba? "Die Informationen über die anhaltenden Proteste sind inzwischen eingeschränkt", sagt Braun. WhatsApp, Facebook, Telegram und Instagram seien blockiert, auch das Internetsignal überwiegend eingeschränkt.

Machterhalt um jeden Preis

"Exilkubaner glauben, dass dies eine Sollbruchstelle ist und sehen in solchen organischen und furchtlosen Protesten Hoffnung auf Veränderung", meint Braun. Ob die Proteste weitergehen und die Regierung militärische Gewalt einsetzt, sei angesichts des derzeitigen Informationsmangels jedoch schwer einzuschätzen und vorauszusehen.

Beunruhigend sind derweil jedoch die Erklärungen des kubanischen Präsidenten: "Er hat die kommunistischen Loyalisten Kubas aufgefordert, gegen die Demonstranten zu demonstrieren oder sogar zu 'kämpfen'", sagt Braun. Ob die Diktatur also wirklich ins Wanken gerät bleibt noch offen.

Über die Expertin: Michaela Braun ist Referentin für Zentralamerika, Mexiko und das Regionalprogramm "Allianzen für Demokratie und Entwicklung mit Lateinamerika (ADELA)".

Verwendete Quellen:

  • Konrad-Adenauer-Stiftung: Länderbericht Mexiko. Proteste in Kuba: Ursachen, Entwicklungen, Perspektiven. Juli 2021
  • Interview mit Michaela Braun
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