• RKI-Chef Lothar Wieler und Gesundheitsminister Jens Spahn rufen die Bevölkerung zu Kontaktbeschränkungen auf. Anders sei die vierte Corona-Welle nicht zu brechen.
  • "Wir sind in einer gemeinsamen nationalen Notlage", sagt Spahn am Freitag in der Bundespressekonferenz.
  • Spahn spricht auch von einem Lockdown für Ungeimpfte. Vor allem appelliert er aber an die Bevölkerung.

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Sprachbilder sind in der Corona-Pandemie besonders beliebt. Sie ermöglichen es, Botschaften anschaulich zu verdeutlichen. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), verglich die aktuelle Corona-Lage am Freitag mit einem Tanker: Deutschland sei ein großes Schiff, das auf eine Hafenmauer zusteuert.

Den Zusammenstoß werde man nicht mehr verhindern können, sagte Wieler am Freitag in der Bundespressekonferenz. Wenn sich alle anstrengen, könne man es höchstens noch hinbekommen, die Hafenmauer nur seitlich zu rammen.

Lothar Wieler: "Ich bin schon lange der Papagei"

Wieler und der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) saßen in der Bundespressekonferenz, um über die aktuelle Corona-Lage zu berichten. Seit Wochen warnen die beiden, seit Wochen steigen trotzdem die Infektionszahlen, seit Wochen werden die Äußerungen von Wieler und Spahn dringlicher.

"Es ist zehn nach zwölf", sagte Spahn. "Wir sind in einer gemeinsamen nationalen Notlage, die auch eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung braucht." Wieler erinnerte an den Virologen Christian Drosten, der in einem Interview mit der "Zeit" gesagt hatte, er wolle kein Papagei werden, der ständig die gleichen warnenden Sätze sagt. Wieler musste einräumen: "Ich bin schon lange der Papagei."

Die Zahl der Neuinfektionen ist in dieser Woche in ungeahnte Höhen geklettert. Spahn wies darauf hin, dass sich die Sieben-Tage-Inzidenz in den vergangenen vier Wochen verfünffacht hat. Einen Tag zuvor hatten sich Kollegen von ihm noch überrascht gezeigt über diese Entwicklung. "In den letzten drei Wochen haben wir eine unglaubliche Dynamik in dieser Pandemie erlebt wie nie zuvor seit dem März 2020", sagte Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, am Donnerstag im Bundestag.

RKI hat Situation schon im Sommer vorhergesagt

Es gab allerdings eine gewichtige Stimme, die schon im Sommer vor dieser Entwicklung gewarnt hat: Das RKI hatte am 22. Juli ein Papier mit dem Titel "Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22" vorgelegt. Darin hieß es: "Aufgrund verschiedener Faktoren ist für SARS-CoV-2 in Deutschland ein Anstieg der Infektionszahlen im Herbst und Winter 2021/22 sowie eine fortgesetzte globale Zirkulation des Virus zu erwarten."

Das RKI forderte im Juli unter anderem die Vorbereitung auf Booster-Impfungen. Zu einem Zeitpunkt also, als die Mehrheit der Öffentlichkeit noch nie etwas von dem Begriff gehört hatte.

Wieler und Spahn appellierten auch am Freitag noch einmal deutlich an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen – vor allem diejenigen, die bis jetzt noch gar nicht gegen Corona geimpft sind. Wieler verdeutlichte, dass Inzidenzen und Hospitalisierungsgrad unter Ungeimpften deutlich höher sind als unter Geimpften. "Hätten wir mehr geimpfte Erwachsene, wäre für alle Menschen in Deutschland die Situation jetzt eine unterschiedliche", sagte Spahn.

Für Spahn führt kein Weg um Kontaktbeschränkungen herum

Der Gesundheitsminister machte aber gleichzeitig klar, dass neuer Schwung bei den Impfungen den "Tanker" Deutschland allein nicht mehr bremsen wird in seiner Fahrt in Richtung Hafenmauer. Dafür sei es zu spät, denn die Effekte lassen sich erst in einigen Wochen sehen. "Allein mit Impfen und Boostern werden wir das Brechen der Welle, das wir jetzt brauchen, nicht mehr erreichen."

Vor einem Jahr befand sich Deutschland im November-Lockdown, der dann über den Winter in eine sehr lange Phase der Kontaktbeschränkungen überging. Spahn hält auch jetzt Kontaktbeschränkungen wieder für das Gebot der Stunde: "Das fällt schwer, das tut weh, das frustriert. Aber das nützt alles nichts. Es ist eben so."

Genau fünf Wochen sind es noch bis Weihnachten. Ob das Fest in diesem Jahr ähnlich aussehen wird wie 2020, wollten weder der Gesundheitsminister noch der RKI-Chef am Freitag vorhersagen. Er traue sich dazu keine Aussage zu, sagte Spahn. "Es liegt an uns, an jedem von uns."

Appelle statt Verbote?

Eines wurde in der Pressekonferenz deutlich: Die Politik und das RKI setzen derzeit vor allem auf Appelle. Spahn sprach zwar von einem Lockdown für Ungeimpfte, sprach sich für die Schließung von Bars und Discos in Hotspot-Regionen aus. Von einem allgemeinen Lockdown, von staatlich verordneten Kontaktbeschränkungen redete er aber nicht.

"Wir müssen jetzt die Notbremse ziehen", sagte Wieler – und meinte damit jede Bürgerin und jeden Bürger. Auf Treffen in geschlossenen Räumen, auf den Besuch von stickigen Bars und Restaurants solle man verzichten. "Wenn Sie sich mit einer Risikogruppe treffen, machen Sie vorher einen Selbsttest – auch wenn Sie geimpft oder genesen sind."

Dort, wo 2G (Zutritt nur für Geimpfte und Genesene) gelte, pochte Wieler auf strenge Kontrollen. "Wenn eine 2G-Regel nicht konsequent umgesetzt wird, dann kann sie auch nicht wirken."

Spahn sieht Impfpflicht für bestimmte Gruppen kritisch, will ihr aber nicht im Weg stehen

Längst sind es nicht mehr nur die Infektionszahlen, die dem RKI und dem Gesundheitsministerium Sorgen bereiten. Es ist vor allem die Situation auf den Intensivstationen. Die Krankenhäuser seien in vielen Regionen "am Anschlag", mahnte Wieler. Spahn nannte das Beispiel München, wo nur noch drei Prozent der Intensivbetten frei seien. "Drei Prozent ist faktisch nichts."

Bei allen Warnungen: Der Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht wollte sich Spahn nicht anschließen. Auch eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen – zum Beispiel für Pflegekräfte – sieht er kritisch.

Allerdings werde sich sein Ministerium, solange er es noch führt, einem solchen Schritt auch nicht verschließen. Wenn die mögliche neue Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine solche Impfpflicht einführen will, würde das Gesundheitsministerium auch vor der Amtsübergabe einen Gesetzentwurf erarbeiten.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz von Jens Spahn und Lothar Wieler
  • Robert-Koch-Institut: Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22
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