Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist zu einem Staatsbesuch in Deutschland eingetroffen. Die von seiner Regierung geplante Justizreform sorgt auch hierzulande für massive Kritik. Die Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, Gabriela Heinrich, sagt: Die deutsche Politik darf gegenüber Netanjahu kein Blatt vor den Mund nehmen.

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Staatsbesuche sind in Berlin praktisch Alltag. Doch der aktuelle Gast versetzt die Bundeshauptstadt seit Mittwochabend in einen Ausnahmezustand. Die Bereiche rund um Kanzleramt, Schloss Bellevue und das Waldorf-Astoria-Hotel in der Nähe des Kudamms sind abgesperrt und mehrere Tausend Polizisten und Polizistinnen im Einsatz. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist in Deutschland – für einen durchaus heiklen Besuch.

Für den Donnerstag sind mehrere Demonstrationen angemeldet, auf denen sich die Teilnehmenden gegen die Siedlungspolitik der israelischen Regierung oder die umstrittene Justizreform aussprechen. Schon bei Netanjahus Abreise war es am Mittwoch am Flughafen in Tel Aviv zu Protesten gekommen.

Netanjahu: Regierung mit rechtsextremer Beteiligung

Angespannt sind auch die deutsch-israelischen Beziehungen seit dem Amtsantritt von Netanjahus Regierung im vergangenen Dezember, an der auch rechtsextreme Politiker beteiligt sind. Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, ist vorbestraft und hat 2021 in seiner Heimatsiedlung Palästinenser mit einer Pistole bedroht.

Im Konflikt mit den Palästinensern haben sich die Aussichten auf eine Annäherung verschlechtert: Netanjahus Regierung will Israelis die Rückkehr in vier Siedlungen im Westjordanland ermöglichen, die vor fast zwei Jahrzehnten geräumt worden waren. Der UN-Sicherheitsrat hatte die mehr als 200 Siedlungen in den Palästinensergebieten 2016 als Verletzung des internationalen Rechts bezeichnet.

Heftigen Widerspruch hat sich die Netanjahu-Regierung auch mit ihren Plänen für eine Justizreform einhandelt. Unter anderem soll das Parlament die Möglichkeit bekommen, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Kritiker sehen darin einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz.

Auch aus der deutschen Politik kamen zuletzt kritische Stimmen zu der Reform: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte im Februar bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen in Jerusalem: "In aller Freundschaft muss ich sagen: Am Ende haben wir hier eine Differenz." Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte in der vergangenen Woche, der "Umbau des Rechtsstaats" in Israel bereite ihm Sorgen. Das mag vorsichtig klingen – ist für diplomatische Verhältnisse aber eine ungewöhnlich deutliche Wortwahl.

Gabriela Heinrich (SPD): "Für Netanjahu-Regierung gelten demokratische Standards"

Genau richtig findet das Gabriela Heinrich. Die beiden Länder verbinde eine enge Beziehung, sagt die Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag gegenüber unserer Redaktion. "Die deutsche Politik ist gerade aufgrund unserer tiefen Freundschaft zu Israel verpflichtet, auch Differenzen und Sorgen über das israelische Regierungshandeln zu äußern und dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen", so Heinrich. Das betreffe insbesondere "die Justizreform und den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau".

"Deutsch-israelische Gespräche sind mit Blick auf die zunehmende Gewalt in Israel und den palästinensischen Gebieten zum jetzigen Zeitpunkt umso wichtiger", sagt Heinrich, die auch stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist: "Für die Netanjahu-Regierung gelten demokratische Standards." Auch sie blicke mit Sorge auf Tendenzen in Israel, die Rechtsstaatlichkeit einzuschränken. "Die massiven Demonstrationen und die großflächigen Streiks sind ein deutliches Zeichen, dass die Bürgerinnen und Bürger Israels einen Abbau des Rechtsstaates nicht hinnehmen."

Besuch beim Mahnmal Gleis 17

Der Besuch von Netanjahu wird zunächst im Zeichen der gemeinsamen Geschichte stehen. Zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht er das Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald. Von dort aus wurden 1941 und 1942 etwa 10.000 deutsche Juden in Arbeits- und Vernichtungslager deportiert und größtenteils ermordet.

Geplant sind auch Gespräche mit Scholz und Steinmeier. Wie heikel Besuche von Politikern aus dem Nahen Osten werden können, hat der Bundeskanzler im vergangenen Sommer erlebt: Da war Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zu Gast in Berlin und warf Israel bei einer Pressekonferenz mit Scholz vor, seit 1947 "50 Massaker, 50 Holocausts" in palästinensischen Orten verübt zu haben. Dass Scholz damals nicht sofort reagierte, sondern die Wortwahl erst im Nachhinein verurteilte, brachte ihm damals heftige Kritik ein.

Mit Material von dpa.

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