Düsseldorf - NRW-Innenminister Herbert Reul glaubt nicht daran, dass sich der Schutz von Politikerinnen und Politikern durch mehr Polizeipräsenz wesentlich verbessern lässt.
"Ist doch irre zu glauben, wir könnten alle Politiker einzeln beobachten", sagte Reul am Dienstag im "Morgenecho" auf WDR 5. "Allein von der Menge geht's nicht", stellte er fest. "Es sind doch Zehntausende." So viele Polizisten gebe es gar nicht, zumal die auch noch alles andere machen müssten.
"Ich will so eine Gesellschaft auch nicht, wo neben jedem Politiker auf der Straße auch noch ein Polizist steht", betonte der CDU-Politiker: "Wir dürfen uns nicht von ein paar Verrückten unsere Gesellschaft und unsere Art, Politik zu machen und Demokratie zu organisieren und miteinander zu reden und Bürgernähe zu haben, kaputt machen lassen."
Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA) erfasste für das vergangene Jahr insgesamt 265 Angriffe gegen Parteimitglieder und -repräsentanten beziehungsweise gegen Parteigebäude oder -einrichtungen. 2022 waren es mit 182 deutlich weniger gewesen. 2023 richteten sich mit 210 politisch motivierten Straftaten die meisten gegen Menschen (2022: 137), teilte das LKA auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf mit.
Hiervon wiederum lagen mit 82 Fällen die Grünen an der Spitze der Angriffsziele, gefolgt von CDU/CSU (64), AfD (44), SPD (18), FDP (12), sonstigen Parteien (5) und der Linken (2). Auch bei den Angriffen auf Parteigebäude traf es die Grünen mit 30 registrierten Straftaten (2022: 37) mit Abstand am häufigsten.
Nach dem gewaltsamen Übergriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke wollten die Innenminister von Bund und Ländern am Dienstagabend über mehr Schutz für Politiker beraten. Reul sagte, hinter dem Problem stehe eine allgemeine Verrohung und Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft, die sich nicht nur gegen Politiker richte, sondern zum Beispiel auch gegen Feuerwehrleute, Polizisten oder Lehrer.
Er warnte davor zu glauben, es gäbe "so was wie die Superlösung" dafür. "Solange es in dieser Gesellschaft diese Haltung gibt von Gewalt in der Sprache und Gewalt auch im Handeln, werden wir das nur begrenzt in den Griff kriegen. Wir können nicht jeden Einzelnen hundertprozentig rund um die Uhr schützen."
In Dresden war am Freitag der SPD-Politiker Matthias Ecke von vier jungen Männern beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden zusammengeschlagen worden. In Essen waren am Donnerstag die zwei Grünen-Politiker Kai Gehring und Rolf Fliß angegriffen worden.
Einen weiteren Vorfall hatte es bereits am 26. April in Düsseldorf gegeben, wie die "Rheinische Post" berichtete. Demnach war ein ehrenamtlicher Unterstützer der Grünen, der aber kein Parteimitglied ist, allein zum Plakatieren für die Europawahl unterwegs, als er von einem Unbekannten angepöbelt und beschimpft wurde. Nach dem Aufhängen der Plakate und auf dem Rückweg zum Auto habe der Täter dann mit der Faust zugeschlagen. Dabei habe der Helfer nach eigenen Angaben eine Prellung des Unterkiefers erlitten. Die Partei hat die Attacke angezeigt. Aufgrund der naheliegenden politischen Motivation ermittelt der Staatsschutz wegen Körperverletzung.
"Die Angriffe auf Politiker machen mich wütend", sagte der Parteivorsitzende der nordrhein-westfälischen Grünen, Tim Achtermeyer, der dpa. Diese Attacken seien auch im Zusammenhang mit einer aus den Fugen geratenen Sprache zu sehen. "Auch Politiker aus dem demokratischen Spektrum legen teilweise eine schaurige Rhetorik an den Tag", kritisierte der Grüne.
Die Stimmung radikalisiere sich immer weiter und das helfe den Extremen. "Die Bundesrepublik hat es immer ausgemacht, dass man bei aller politischen Härte auch am Wahlkampfstand keine Sorge um die körperliche Unversehrtheit haben muss", sagte Achtermeyer. Diese Attacken richteten sich nicht allein gegen einzelne Menschen oder Parteien, sondern gegen die Demokratie insgesamt. "Wir Grüne lassen uns jedenfalls nicht abschrecken. Wir lassen uns nicht in die Nische drängen, schon gar nicht mit Gewalt."
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